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ins Badezimmer. Badezimmervorhang gibt es natürlich immer noch keinen, so prallte ich ohne die Flasche zurück und eilte ins Arbeitszimmer, unfassbar beschämt. In der immer dreckigen Badewanne hatte Belinda gestanden und geduscht. Ich hielt die Augen geschlossen und sah unter geschlossenen Lidern den Flaum, der wie ein Baumchen dem Schoß junger Frauen entspringt... Wieder gingen mir, wie beim Erwachen, die Worte durch den Kopf: Das Mädchen schüttelts Bäumelein, da fallt herab ein Träumelein... Und endlich schrieb er: DAS MÄDCHEN AM BRUNNEN Das Mädchen saß am Brunnen. Es trug ein sommerliches Leibchen - Hemdchen - und einen langen, leichten Rock. Das Mädchen hatte die Knie angezogen und lehnte am Sockel des Brunnens, aus dem eine leuchtende Fontäne senkrecht aufstieg. Das Mädchen schrieb auf den Knien eine Postkarte. Ich schaute zum Mädchen hoch, das konzentriert auf die Postkarte sah — oder so tat. In meinem Traum kehrte das Mädchen wieder. Bevor ich den Traum beschreibe, wäre ich dem Menschen, der dies liest, schuldig, ihn — oder sie — über die näheren Umstände dieser Begegnung am Brunnen zu informieren, nachdem ich diesen Menschen schon zum Komplizen in dieser Sache von heute Morgen gemacht habe, einen Blick auf ein Mädchen geworfen zu haben, das unter der Dusche steht. Dieser Umstand aber hat mich zur Erinnerung an den unmittelbar vorangegangenen Traum von heute Nacht geführt, all das fand heute statt, an einem beginnenden Frühlingstag des Jahres 1972, hingegen die Begegnung am Brunnen mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor, an einem Frühlingstag des Jahres 1918. Dazwischen liegt der Traum der letzten Nacht, der mich zur Erinnerung an das Mädchen am Brunnen geführt hat, und daran, dass sie eine Frau war. Die Fontäne hinter der Frau stieg jedenfalls gegen einen regenverhangenen norditalienischen Himmel, aus dem stellenweise die Sonne brach. Ich war kaum älter als die Frau, die auf die Postkarte starrte, mein Körper jedenfalls war nicht älter, obwohl ich mich fühlte wie heute, wie ein Greis, während mein schwimmender Blick in Richtung ihres Rockes trieb. Ich habe gesagt, die Frau am Brunnen habe so getan, als würde sie konzentriert die Feldpostkarte lesen oder betrachten. Ich muss an dieser Stelle auf zwei Fakten hinweisen in dieser fiktiven Erinnerung, die mein Stiefsohn in ein paar Jahrzehnten soeben zu Papier bringt: Anfangs habe ich davon gesprochen, dass die Frau eine Postkarte schrieb oder las oder so tat, als lese sie. Nun behaupte ich auf einmal, sie habe auf die Postkarte gestarrt, als wollte sie mich nicht ansehen. Das tut nicht gut, wenn wir an der Wahrheit interessiert sind, zuerst ein paar Möglichkeiten aufzuzählen, und dann plötzlich eine davon als Tatsache auszuwählen und die anderen nicht mehr gelten zu lassen. Auch wenn es in dem Fall möglich ist, dass die Frau gar nicht lesen konnte. Hätte sie jedenfalls von der Postkarte aufgeschen, sie hätte einen gleichaltrigen, kaum erwachsenen Soldaten in feindlicher Uniform geschen, sofern von meiner Uniform überhaupt noch viel zu erkennen war: Mein Geschlecht schleifte am Boden, mein Hinterteil war schlammverkrustet und entblößt, irgendwelche Fetzen um die Lenden, skurril akkurat zugeknöpfte Fetzen, ein Fragment von messingfarbenen Blechknöpfen in obszöner Disziplin auf einem 78 — ZWISCHENWELT zerschundenen Leib. Und das kam so: Meine Kompanie war in den Bergen hochgestiegen, und berichtenswert an diesem Aufstieg ist, dass damit ein toter junger Unbekannter hier ein Denkmal aus Tinte hat, aus Federstrichen, wo wir hintereinander gehen mussten, wo der Berg rechts abfiel und links hochstieg. An einer Stelle lag dieser tote junge Mann, einer von uns, und jeder stieg vorsichtig über ihn, als stiege er über seinen eigenen versehrten, totgeschossenen Leib, behutsam, wie in einem winzigen Verabschiedungsritual. .. Eine Lawine schnitt uns ab, von der Außenwelt, von der Versorgung, vom Kontakt. Wir verbrachten Tage und Nächte in den verschneiten Baracken unseres Lagers. Ruhr war ausgebrochen, alle Vorräte aufgebraucht, und jeden Morgen schritt der Leutnant die Reihen der am Boden abgelegten, neuen leblosen Soldaten ab und salutierte vor jedem einzelnen von ihnen. Ich war von der Ruhr verschont geblieben und hatte in einer leeren Baracke einen Sack schimmeliger Pferdemelasse gefunden, von der ich mir jeden Tag heimlich eine Hand voll in den Mund stopfte. So blieb ich am Leben. Eines Tages hatte auch ich die Ruhr... Ich wusste in diesem Moment, dass ich nicht wollte, dass an einem der nächsten Morgen der Leutnant vor mir salutierte. Ich bewegte mich hin zur Lawine und begann, darüber zu kriechen. Vier Tage kroch ich, bis ich als kot- und blutverschmiertes Bündel im Tal ankam. Irgendwie bewegte ich mich ins Zentrum des Dorfes, das Gesicht den Pfützen aus Schlamm und Schneematsch zugewandt, zugleich vor Fieber glühend. Ich habe diese Geschichte von meiner Überquerung der Lawine sicherlich dutzende Male meiner Familie erzählt, aber das Mädchen - die Frau am Brunnen kam bisher nicht vor. Auch in meiner Erinnerung nicht. Jetzt weiß ich, warum ich meine Biografie schreibe: Ich wäre sonst nicht am Schreibtisch gesessen, als ich meinte, alle schliefen, wäre nicht wegen eines Schnapses zur Durchreiche gegangen. Dadurch, dass ich morgens das nackte junge Geschöpf im Bad sah, fiel mir mein Traum der vorangegangenen Nacht von der Frau am Brunnen wieder ein, und mit dem Traum kehrte meine Erinnerung zurück. Und ich konnte mich schreiben zu meinem Fieber hin, den Gliederschmerzen, dem glasigen Blick, der die Pfützen wahrnahm, und dass sich eine Gestalt erhob und auf mich zukam. Ich hatte mich zum Brunnenrand geschleppt, wie in dem irrigen Versuch, Wasser zu bekommen, und wohl hochgestemmt, denn mein Oberkörper hing zu dem tiefim Schacht liegenden Wasserspiegel herab, einem dunklen Kreis, in dem am helllichten Tag Sterne sichtbar waren. Am Rand des Kreises war eine inscktengroße Unebenheit, das mochte ich sein, dahinter tauchte ein zweites Spiegelbild auf und ich spürte augenblicklich, wie mein Rücken warm wurde. Die Frau packte den über den Brunnenrand Zusammengesunkenen bei den Schultern, drehte ihn auf den Rücken, griff ihm unter die Achseln und rief eine weitere Person zu Hilfe. Sein Kopf fiel nach hinten, als er hochgehoben wurde, und sein Blick fiel unter das Kleid der Gestalt, die ihn trug. Er sah und konnte nicht glauben, dass er das Geschlecht einer Frau sah, ihren Bauch, und darüber die Brüste, alles bewegte sich, und er — das war ich, versuchte, den Kopf unter dem Kittel hervorzuheben, und da sah ich ihre Hände, die unter meinen Achseln hervorkamen, und die Postkarte, die sie sich zwischen zwei Finger geklemmt hatte. Die Frau deutete mir, ich könne den Kopf ruhig wieder hängen lassen, und als nächstes sah ich mein eigenes Geschlecht, ich lag in einem Zuber