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übrig als abzutreiben.“ Ich war im dritten Monat, zwei Tage nach der Untersuchung würde ich im vierten Monat sein. Ich sagte ihr: „Bitte lassen Sie mir etwas Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Ich komme dann wieder.“ Sie entgegnete: „Du hast keine Zeit. Du musst so schnell wie möglich handeln.“ Dschalal und ich kehrten heim ohne ein Wort bis zum nächsten Morgen miteinander zu sprechen. Ich erinnere mich ganz genau an jenen Tag, an die zermürbenden Fragen, die Ängste. Was sollte ich bloß tun? Kann ich Kinder in dieses Leben, in dieses Land gebären? Meine Kinder würden keine Geburtsurkunde, keine offiziellen Papiere, bekommen. Ihre Eltern sind ohne Arbeit in dieser von Ängsten beherrschten Gesellschaft. Dschalal sagte mir nur diese zwei Sätze: „Überlege gut und entscheide du. Ich will, was du willst.“ Ich musste eine Entscheidung in dieser bedrohlichen Lage treffen. Zu viel Gefühl war hier fehl am Platz. Ich bin vor allem ein rationaler Mensch, mir war klar, dass es unmöglich ist, Kinder in dieser Lage aufzuziehen. Wir gingen hin. Ich weiß nicht, was die Ärztin mir gegeben hat, doch ich fühlte jeden einzelnen Handgriff in mir, den sie während der Operation ausführte. Die Schmerzen waren unerträglich, die Zeit wollte nicht vorübergehen, bis ich sah, wie die Ärztin aus meinem Inneren meine Kinder herauszog. Gefühllos und kalt zählte sie: „Eins — zwei“, und warf sie in einen Mülleimer. Der Eingriff war selbstverständlich illegal und geheim. Als wir heimkehrten, war ich am Ende meiner Kräfte. Wir sprachen nie wieder darüber, als ob es nie geschehen wäre. Ich frage mich, wie viele Kinder ein solches Schicksal ereilt hat? Wie viele Mütter mussten das Gleiche durchmachen wie ich? Ich habe Tausende Kinder aus Syrien geschen, die ziellos in den Straßen von Beirut umherliefen, Kaugummi verkauften und für ein paar Cent Autoscheiben putzten. Wie oft habe ich von verschollenen Kindern gehört, die bis heute nicht mehr aufgetaucht sind. Manchmal denke ich, dass es das Beste war, meine Kinder nicht zur Welt zu bringen — das Beste für sie und uns. Nach langem Warten und unzähligen Bewerbungsversuchen, erreichte uns schließlich eine E-Mail von der Heinrich-Böll-Stiftung: Anfang 2016 würden wir ein Stipendium erhalten. Diese E-Mail war unsere Rettung, sie befreite uns aus unserer elenden Lage. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass wir nur einige Tage später Nachricht von der Unesco bekamen. Ich sagte der Verantwortlichen: „Danke für Ihr Hilfsangebot, aber ich habe schon abgetrieben. Kein Problem!“ Unser aktuelles Problem war, dass das Stipendium nur für Dschalal ausgeschrieben war. Wir waren nicht verheiratet. Wir mussten uns also trauen lassen, damit ich mit ihm nach Deutschland gehen konnte. Die Heirat war für uns cher eine formale Angelegenheit, der wir keine besondere Bedeutung beimaßen. Doch zum tausendsten Mal drang eine Mischung aus Bräuchen, Traditionen und Politik in unser Leben ein. Nach erneutem Hin und Her fanden wir einen Freund, der uns endlich aus der misslichen Lage heraushalf: Ein Geistlicher konnte uns eine nichtoffizielle Heiratsurkunde ausstellen, die wir mit den anderen notwendigen Papieren vorlegten, um gemeinsam nach Deutschland einreisen zu können. In der Nacht vom 1. März 2016 ging unser Flug. Wir fuhren mit Freunden zum Flughafen und verabschiedeten uns von ihnen. Am Flughafen begegneten wir zwei Kindern im Alter von ungefähr neun und zwölf Jahren, deren Eltern im Krieg umgekommen 82 ZWISCHENWELT waren. Eine Stiftung hatte sich ihrer angenommen und halfihnen, nach Deutschland auszureisen. Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als uns der Sicherheitschef des Flughafens zu sich befahl. Er rief uns in sein Büro, wo wir Fragen zu unserer Reise beantworten mussten. Warum wir ausreisten, wollte er wissen, welche Kontakte wir in Deutschland hätten und was überhaupt ein Stipendium für Schriftsteller sei. Er und seine Kollegen hatten nur Spott und skeptische Blicke für uns übrig. Das Ende vom Lied war, dass man uns die Ausreise verwehrte, weil wir uns seit längerer Zeit unrechtmäßig im Land aufgehalten hatten. Ein kumuliertes Bußgeld wurde gefordert. Dschalal musste extra noch zum Innenministerium in Beirut fahren, um es zu bezahlen, sonst hätten wir nicht ausreisen dürfen. Ich stellte mir vor, was am Flughafen geschehen wäre, wenn ich nicht abgetrieben hätte. Ich wäre im achten Monat gewesen, entkräftet, nahezu unfähig, mich zu bewegen. Jeden Moment hätten die Geburtswehen einsetzen können. Wie wäre es ausgegangen, wenn ich in jener Nacht wegen all der Strapazen und Repressalien meine Kinder am Flughafen hätte gebären müssen? Was passiert wäre, wenn wir hätten abfliegen dürfen, kann ich gar nicht denken: Ich hätte meine Kinder in Deutschland zur Welt bringen können. Am nächsten Tag griff uns ein Freund finanziell unter die Arme, wir konnten das Bußgeld zahlen und den nächstbesten Flug nehmen. Wir flogen von Beirut nach Istanbul und von dort nach Bonn, wo uns Sigrun von der Heinrich-Böll-Stiftung in Empfang nahm, Sigrun, diese wunderschöne, liebenswürdige Frau. Ich zitterte am ganzen Körper, konnte kaum glauben, dass wir endlich angekommen waren. Auch Dschalal konnte es nicht fassen, wir wechselten nur wenige Worte und waren einfach nur glücklich. Wir hatten das Gefühl, gerettet zu sein. 2. März 2016: Hallo Deutschland! Sigrun brachte uns in ihr Haus, wo wir ein Zimmer mit zwei Betten bezogen. Ich stellte mir meine zwei Kinder in diesem Zimmer vor. Auch Dschalal muss an so etwas gedacht haben, denn wir seufzten beide auf. Die Tage vergingen in Ruhe und Frieden, wir waren in Sicherheit und besuchten viele deutsche Städte. Alles erschien uns unbegreiflich schön: die Menschen, die Orte, die Kinder. Wir konnten an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen, unsere Texte wurden übersetzt und in Zeitungen, in Anthologien und im Internet veröffentlicht. Wir beteiligten uns an arabisch-deutschen und deutsch-arabischen literarischen Workshops. Langsam kehrte das Leben in uns zurück. Genau zu jener Zeit, als wir uns entschlossen, Asyl zu beantragen, wurde ich mit meiner Tochter Eve schwanger. Das Stipendium war abgelaufen, seit zwei Monaten lebten wir in einem Kölner Flüchtlingsheim. Es war die schwierigste Phase meiner Schwangerschaft und unserer Zeit in Deutschland. Wir hatten lange einem großem Druck standgehalten und uns gegen unzählige Widerstände und unmenschliche Behandlung durchsetzen müssen. Die psychische Belastung, die ich damals aushalten musste, gefährdete meine Gesundheit und die meines ungeborenen Kindes. Wir mussten viel ertragen, auch Gerichtsverhandlungen gehörten unter anderem dazu. Hier ist nicht der Platz, um ins Detail zu gehen. Die Entscheidung, in Deutschland ein Kind zur Welt zu bringen, fiel mir nicht leicht. Ich dachte daran, wie schwer es sein würde, die Sprache zu lernen, als Flüchtlinge anerkannt zu werden und daran, welche Folgen es hätte, wenn Dschalals Aufnahmeantrag abgelehnt würde. Denn als Jemenit wurde er nur nachrangig behandelt, Syrern und Irakern gehörte der Vortritt.