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erste Panel widmete sich den Grundfragen des autobiographischen Schreibens: Mark H. Gelber (Be’er Sheva) plädierte in seinem grundlegenden Vortrag dafür, Autobiographien von HolocaustÜberlebenden als Genre der Weltliteratur zu begreifen und zu erforschen. Untersuchungen zu Übersetzung und Rezeption von autobiographischen Texten Überlebender seien ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Soonim Shin (Mainz) diskutierte in ihrem Vortrag die These Philipp Reemtsmas, der die im 20. Jahrhundert geschriebenen Autobiographien von Lagerüberlebenden als eine neue Art der Literatur bezeichnete. Sie ging im Unterschied zu Reemtsma davon aus, dass wegen der „Besonderheit“ der Shoah von einer Literatur sui generis der KZ-Überlebenden gesprochen werden muss. Evelyn Adunka (Wien) wiederum skizzierte in ihrem Beitrag die Kriterien für eine gute (jüdische) Biographie. Dabei stellte sie nicht die Zeit des Exils oder der Verfolgung in den Mittelpunkt, sondern ging auf Aspekte wie Familie, Jugend und jüdische Identität ein. Im zweiten Panel der Tagung standen ebenfalls grundsätzliche Überlegungen zur Arbeit mit autobiographischen Texten im Vordergrund. Konstantin Kaiser (Wien) gab einen interessanten Überblick über die Editionsgeschichte der Autobiographien des Widerstands und der Verfolgung. Marianne Windsperger (Wien) analysierte die Reden der Theodor KramerPreisträgerin Ruth Klüger, in denen diese sich an eine österreichische Öffentlichkeit wandte. Die Literaturwissenschaftlerin zeigte in ihrem Vortrag, wie sich die Zeitzeugin Ruth Klüger gegenüber Gedenkprojekten und tagesaktuellen Diskursen positioniert. Annelyse Forst (Salzburg) stellte ihr Forschungsprojekt zu Autobiographien von in Frankreich während des Krieges versteckten Kindern und Jugendlichen als historische Quelle vor. Zentral geht es dabei nicht nur um die Frage nach der Qualität der Erinnerungen als literarische Texte, sondern vor allem um den Informationsgehalt der erzählten Geschichten. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Texte Jahre, nachdem die Kinder versteckt gelebt hatten, dann von bereits erwachsenen Personen verfasst wurden, womit die nachträgliche Gestaltung der Erinnerungen berücksichtigt werden muss. Der erste Tag der Tagung wurde durch einen spannenden von Albert Lichtblau (Salzburg) moderierten Roundtable abgerundet. Dvori Barzilai (Tel Aviv/Wien), Maria Elena Galidescu (Wien) und Sonja Alfons Moseley (Oregon) berichteten über ihre eigenen Familien und ihre Kindheit unter dem Eindruck von Exil und Flucht. Dabei stand die Frage nach dem Umgang der Nachkommen, also der zweiten Generation, mit den Flucht- und Exilerfahrungen ihrer Familien im Vordergrund. Der zweite Tag begann mit einem Panel zu vergleichenden Ansätzen in der AutobiographieForschung. Teresa Canadas Garcia (Madrid) ging zu Beginn des dritten Panels der Frage nach, wie Autorinnen und Autoren, die Exil 88 — ZWISCHENWELT und Lagererfahrungen gemacht haben, ihre eigene Kindheit in ihren autobiographischen Werken darstellen. Sie berücksichtigte dabei vor allem, dass das Kind nicht wusste, welche Erfahrungen es zukünftig machen wird, die spätere Verfasserin oder der Verfasser rückblickend jedoch schon. Jürgen Doll (Paris) wiederum untersuchte Jakov Linds Selbstporträt unter der Perspektive, dass das Werk mehr über den Autor zur Zeit des Verfassens des Texts aussagt als über den Protagonisten seiner Erzählung. Doll ging der Frage nach, aus welchen Beweggründen der Autor gewisse Episoden seines Lebens ausließ und auf andere einging. Alana Sobelman (Be’er Sheva) wiederum untersuchte die Selbstreflexionen von SchriftstellerInnen und betrachtete das Verhältnis zwischen ihrem intellektuellen und empirischen Selbst. Mit Blick auf die Schriften Sarah Kofmans fragte sie nach den Möglichkeiten der Sprache selbst. Im vierten Panel beschäftigte sich Kristine Mateescu (Stuttgart) mit der Darstellung des Heimatverlusts in den autobiographischen Manuskripten und Exiltagebüchern des österreichischen Schriftstellers Oskar Jellinek. Klaus Bruckinger (Tübingen) untersuchte anhand der Erfahrungen des Germanisten Paul Hoffmann die Auswirkungen des Exils auf den Gebrauch der Sprache und die Wahl seiner Forschungsthemen. Paul Hoffmann verbrachte sein Exil in Neuseeland, seine Forschungssprache blieb jedoch Deutsch. Joseph W. Moser (West Chester, Pennsylvania) wiederum analysierte die Autobiographie seines Vaters Wallenbergs Laufbursche. Er unterstreicht hier die Kontextualisierung in der Geschichte als ein zentrales Merkmal des Werkes. Als Historiker ist es Johnny Moser ein Anliegen, nicht nur die eigene Familiengeschichte zu erzahlen, sondern diese mit den historischen Ereignissen der Zeit zu verbinden. Im fünften Panel der Tagung wurde das Ihema Autobiographik zu Exil und Widerstand ebenfalls aus der Perspektive von biographischen Annäherungen betrachtet. Ralf Georg Czapla (Heidelberg) nahm den Wiener Philosophen Paul Schrecker anhand der Tagebücher seiner Frau Claire Bauroff in den Blick. Die Aufzeichnungen geben einen spannenden Einblick in das Schicksal eines aus der Heimat vertriebenen, dargestellt aus der Perspektive einer in Deutschland Gebliebenen. Francoise Kreissler (Paris/Wien) berichtete aus dem Leben ihres Vaters Felix Kreissler im französischen Exil, im Widerstand und im Konzentrationslager. Als Grundlage dienten ihr hierfür zwei autobiographische Texte Felix Kreisslers. Sarah Knoll (Wien) beleuchtete in ihrem Vortrag die Erfahrungen des kommunistischen Widerstandskämpfers und KPÖ-Funktionärs Franz Marek im französischen Exil und der Resistance an Hand seiner Lebenserinnerungen. Dabei ging sie auch auf Probleme und Herausforderungen, wie das „Lesbar-machen“ eines Textes für eine heutige Generation, beim Herausgeben von autobiographischen Texten ein. Um einzelne autobiographische Darstellungen ging es auch im sechsten Panel. Irene Nawrocka (Wien) beleuchtete hier das spannende, aber auch widersprüchliche Leben des Begründers des schwedischen Filminstituts Harry Schein. Der in Wien geborene Schein emigrierte nach Schweden und war dort bestrebt, seine jüdische bzw. österreichische Herkunft zu verbergen. Ester Saletta (Bergamo) untersuchte das politische Engagement der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky zwischen 1938 und 1945 anhand ihrer 1985 erstmals veröffentlichten Erinnerungen aus dem Widerstand, wobei sie die Dimension ihre Rolle als emanzipierte Frau und berufstätige Architektin unterstrich. Marlen Eckl (Frankfurt am Main) ging auf das autobiographische Schreiben der Historikerin Gerda Lerner, einer Pionierin der Frauengeschichte, ein. Lerner, der nach dem , Anschluss“ Osterreichs an das Deutsche Reich die Emigration in die USA gelang, verarbeitete ihre persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus, dem autoritären Dollfuß-Schuschnigg-Regime und dem Nationalsozialismus sowie ihre politische Bewusstseinsbildung in ihren literarischen Werken. In ihrer 2009 erschienenen „politischen Autobiographie“ Feuerkraut entnahm sie ganze Passagen ihrem ersten Roman No Farewell. Abgerundet wurde der zweite Tagungstag durch einen Filmvortrag. Die Filmemacherin Melissa Hacker (New York) berichtete über ihre Erfahrungen bei der Arbeit mit Tagebüchern, Interviews und Briefen von Überlebenden und deren Verwendung im Film. Bei der Bearbeitung und Darstellung dieser Zeugnisse sind Fragen nach dem Blickwinkel des Filmemachers, der Stimme des Erzählers ebenso wie die Art der Darstellung der Überlebenden und der Quellen zu beachten. Das siebte Panel am dritten und letzten Tag der Tagung widmete sich nun wieder vergleichenden Ansätzen. Gleich im ersten Vortrag analysierte Helga Schreckenberger (Vermont) die autobiographischen Texte Hertha Paulis Der Riss der Zeit geht durch mein Herz (1970) und Lisa Fittkos Mein Weg über die Pyrenäen (1985). Beide Frauen beschrieben in ihren Texten ihre Erfahrungen in Frankreich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Im Fokus stand dabei die Frage, wie das Erlebte im Nachhinein inszeniert wird und welche gesellschaftlichen Normen zum Tragen kommen. Argumentiert wurde, dass die mit Gefahren verbundene Flucht aus Frankreich zu einem Autonomiegewinn der Frauen führte, bei der Selbstdarstellung aber auf vorgeformte weibliche Zuschreibungen zurückgegriffen wurde. Karl Fallend (Wien) stellte sein Projekt zur Edition der Briefe zwischen den emigrierten Psychoanalytikerinnen Marie Langer und Else Pappenheim vor. Dabei stand auch die Wandlung seiner eigenen Rolle als Student der beiden zum späteren Biographen und Herausgeber im Fokus. Regina Weber (Marbach) wiederum verglich die Autobiographien der Literaturwissenschaftler Heinz Politzer und Egon Schwarz. Beide teilten das Schicksal der vom NS-Regime