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Editorial Gedenk-Probleme erörtern einige Beiträge in diesem Heft. Elisabeth Malleier berichtet von einer Tagung des „Arbeitskreises zur Erforschung der NS-,Euthanasie‘ und Zwangssterilisation“ und weist dabei darauf hin, daß sich dieser nunmehr seit 35 Jahren bestehende Arbeitskreis ganz aus der Ininitiative der aus verschiedensten Berufen und Disziplinen kommenden Mitwirkenden gebildet hat, ohne universitäre Anbindung und ohne Auftrag öffentlicher Stellen. Auch die Theodor Kramer Gesellschaft entstand 1984 vor bald 35 Jahren aus eigener Initiative der GründerInnen, also Jahre vor der sogenannten Waldheim-Affäre. Die Gründung beruhte auf der Tätigkeit eines studentischen „Arbeitskreises Antifaschistische Literatur“, der schon Ende der 1970er Jahre aktiv wurde. Ohne persönlichen Einsatz Peter Paul Wiplingers und anderer wäre im oberösterreichischen Haslach an der Mühl vermutlich nie der „Euthanasie“-Opfer des Ortes gedacht worden Jetzt existiert dort nicht nur das obligate Kriegerdenkmal, sondern auch ein Gedenkstein an die in Hartheim Ermordeten, bis dahin spurlos Verschwundenen. Ihre Leichen wurden ja verbrannt. Gleichfalls eine Initiative ‚von unten‘ war der von Peter Gstettner 1994 initiierte Verein „Memorial Kärnten KorosSka“, der sich ganz besonders um die Wahrheit über den Bau des Loibl-Tunnels durch Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen bemühte. Dass dies nicht von Amts wegen geschah, musste der Verein heuer erfahren, als öffentliche Stellen ohne jede Kontaktaufnahme mit dem Verein zerstörerische bauliche Maßnahmen im Bereich der Überreste des Außenlagers Loibl-Nord veranlassten. Es gibt heute in Österreich — und nicht nur in Österreich — zahllose Initiativen von Menschen, die sich erinnern und Zeichen der Erinnerung setzen, ganz im Gegensatz zu jenem ehemaligen Bürgermeister von Hadersdorfam Kamp, der zum Massenmord an 61 freigelassenen Häftlingen des Zuchthauses Stein anmerkte: „Wir sind alle jung und haben mit alledem nichts am Hut. Ich sche nicht ein, daß sich eine ganze Gemeinde in Geiselhaft nehmen lassen soll.“ Es kommt also immer an auf die „Subjekte des Erinnerns“, auf diejenigen, die die Sache nicht aussitzen wollen durch Verschweigen und Verdrängen, für die Jahrzehnte des Vergessens keine Entschuldigung und Rechtfertigung der Fortsetzung des Vergessens sind. Auch illegale Mülldeponien verschwinden nicht dadurch, daß man nicht mehr wissen will, wo sie sind. Subjektloses Erinnern hingegen wird anvisiert in einem Beitrag von Magdalena Miedl „Die neue Erinnerungskultur“, den der Österreichische Rundfunk auf seiner Internet-Nachrichtenseite am 17. September 2018, am Tag vor Erev Jom Kippur, plazierte. Der Beitrag beginnt mit der Feststellung: ,,73 Jahre nach Kriegsende verandert sich mit dem allmahlichen Verlust der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch das Gedenken an den Holocaust. Die Medien übernehmen das Erinnern ...“ Können denn „die Medien“ an die Stelle von Personen treten, ist Erinnern keine Angelegenheit lebendiger Wesen mehr? Kein Wort wird hier verloren über die vielen regionalen und überregionalen wirklichen Werkstätten der Erinnerung, die Rede ist vielmehr vom „Einsatz“ neuer Mittel, als da sind „Computerspiele, Onlineplattformen, Apps“. Aufzeichnungen von Interviews mit 4 ZWISCHENWELT Die Gedenktafel für die „Euthanasie“-Opfer in Haslach am Mühl. Foto: Peter Paul Wiplinger. - Siehe P.P. Wiplingers Beitrag in diesem Heft, S. 73-74. ZeitzeugInnen sollen deren Verlust kompensieren. Daß ZeitzeugInnen auch schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben, die man vielleicht zur Lektüre empfehlen könnte, wird nicht einmal erwähnt. Wäre es nicht eine gute Idee, einmal Primo Levi oder Fred Wander zu lesen? Wie viele der Menschen, mit denen mich in Wien gemeinsame Interessen verbinden, trauere ich um Rudolf Gelbard, der am 24. Oktober nach langem schweren Leiden verstorben ist. Rudi, einer der wenigen jugendlichen Überlebenden des KZ Theresienstadt, war der Zeitzeuge par excellence. Er verband das Gedächtnis für die Verfolgten mit einem wachen politischen Bewußtsein, kapselte das einst Geschehene nie von den Fragen der Gegenwart ab. Ein streitbares Erinnern war seine Sache: Erinnern hieß bei ihm, Partei zu ergreifen für soziale Gerechtigkeit, für Menschenrechte von Flüchtlingen und gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Historiker aufgrund eines stets fortgesetzten Selbststudiums, wußte erauch um die Nachkriegsgeschichten der meisten europäischen Länder genau Bescheid, verblüffte mich immer wieder mit seinen Kenntnissen. Obwohl er zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus zu unterscheiden wußte, war seine Kritik stalinistischer Verfolgungspraktiken und Instrumentalisierungen des Antisemitismus unerbittlich. Ich sehe ihn vor mir mit seiner schweren ledernen Aktentasche, in der er in unersättlicher Wißbegier die Bücher mit sich schleppte, die er gerade las. Rudolf Gelbard übte verschiedene Brotberufe aus, zuletzt den ihm wohl gemäßesten als Redakteur der Tageszeitung Kurier. Beeindruckend war die Fülle seiner nicht beruflichen Aktivitäten —als Mitglied des Bundesvorstands der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen und der Kulturkommission der Israelitischen Kultusgemeinde, Mitbegründer des Republikanischen Clubs — Neues Österreich, Zeitzeuge an zahllosen Schulen, Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands... Rudi debattierte für sein Leben gern, er gab sich im Gespräch und war ein unermüdlicher Demonstrant. Auch das, das Demonstrieren, gehört zu seinen wesentlichen Arbeiten. Er wird mir und vielen fehlen und zugleich gegenwärtig bleiben. Konstantin Kaiser