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Tom Appleton Nobelpreis aus der Flaschenpost? Was tun, jetzt, wo der Nobelpreis für Literatur ein Jahr lang ausgesetzt wird? Ich hätte natürlich eine Antwort auf diese Frage, aber zunächst muss ich wohl erklären, warum ich ziemlich sicher bin, dass man in Schweden auf mich hören wird. Zunächst einmal geht mein Interesse am Nobelpreis für Literatur bis aufs Jahr 1963 zurück, als ich den Film „The Prize“ nach dem gleichnamigen Roman (1962) von Irving Wallace sah. Es war fast ein Spionagefilm, und tatsächlich war das ganze Drum und Dran der Nobelpreisvergabe in Stockholm auch in so ein fades Blau getaucht wie bei — „Get Carter“? — nein, oder „Payback“. Das war der Film. „Ihe Prize“, als Roman, war Irving Wallaces Goldener Schuss — und er brachte sogar einen langen Bericht heraus darüber, in Romanlänge: „Wie ich The Prize geschrieben habe“ - auch nicht übel. Erst später, als er einen Roman über Adolf Hitler verfasste, in dem „der Führer“ Jahrzehnte lang in einem Berliner Bunker die Jahre nach 1945 überlebt hatte, winkte ich ab. Aber dann kam „Fatherland“ von Robert Harris — und die selbe blöde Idee wirkte auf einmal wieder ganz normal. Akzeptabel. Und der Nobelpreis genauso. In manchen Jahren ein kompletter Blödsinn, dann wieder überfällig, Jetzt habe ich z.B. sieben Bände mit Kurzgeschichten von — wie heißt sie? — ich kann mir ihren Namen partout nicht und nimmer merken! — Alice Munro, ja! — sieben Bande mit Kurzgeschichten dieser kanadischen Autorin gelesen, sogar eine Best-Of-Sammlung. Die taugte aber überhaupt nichts. Munros Geschichten sind so, als setze man ein großes Puzzle zusammen, wobei man von den Teilen immer nur die Rückseiten sieht. Man hat keine Ahnung, was da zusammen passt und was nicht. Eigentlich sind die Geschichten urlangweilig. Aber verführerisch sind sie trotzdem. Man kann nicht von ihnen lassen. Natürlich hätte es in Kanada auch eine Margaret Atwood gegeben, mit „Ihe Handmaid’s Tale“, einem Roman, der jetzt gerade eine späte Nachblüte erlebt. Aber sei’s drum. Bei Elfriede Jelinek, bei Herta Müller, fand ich zunächst auch keinen Einstieg. Aber bei Svetlana Alexijevitsch war ich sofort begeistert. Also der Nobelpreis — nichts weiter als eine Leseempfehlung aus Schweden. Oder? In „Telepolis“ schrieb ich im Laufe einiger Jahre ungefähr drei Artikel, in denen ich bedauerte, dass Bob Dylan schon wieder keinen Nobelpreis bekommen hatte. Für Literatur, wofür denn sonst? Ich hatte es mittlerweile schon für gegeben hingenommen, dass man diesen Vorschlag gar nicht ernst nehmen könne. Er erschien mir selber wie ein Witz. Ein Mann, der ein halbes Jahrhundert lang durch seine Liedtexte nicht nur die Intellektuellen der westlichen Welt, sondern sogar Leute wie Joschka Fischer beeinflusst hatte - warum sollte der weniger nobelpreiswürdig sein als beispielsweise Nelly Sachs (1966)? Aber okay, Brecht hatte ihn auch nie bekommen. Und dann bekam er ihn doch. Dylan, nicht Brecht - tatsächlich. Dylan bekam den Nobelpreis für Literatur - für mich völlig unerwartet und ausgerechnet, als ich gerade in Finnland herumdüste. 6 _ ZWISCHENWELT Jetzt der relevante Punkt: Soeben beschloss das Nobelkomitee in Stockholm, das für den Literaturpreis zuständig ist, den Preis ein Jahr lang auszusetzen. Interne Probleme, die Greise des Komitees konnten ihre Pfoten wieder mal nicht kontrollieren. Da fragt man sich: Wann haben sie denn dieses Problem schon einmal gehabt? Naja, damals, während des Zweiten Weltkriegs, als sie befürchten mussten, Hitler würde in Schweden einmarschieren und die Qualitätsstandards des Preises ins Unerträgliche senken. Als würde Erdogan das Kultusministerium in Deutschland übernehmen. Oder Österreich. Die Schweden taten das einzig Richtige. Sie setzten den Preis einfach aus. Viele Jahre später schrieb ich einen Artikel, der im Wiener FORVM erschien (statt in der „Süddeutschen Zeitung“ am Wochenende, wofür er ursprünglich gedacht war). Der Titel: „Ein Nobelpreis mit der Flaschenpost“. Die Idee war einfach. Wenn es damals eine würdige Nobelpreisträgerin gegeben hätte — wäre es nicht an der Zeit, ihr endlich den Nobelpreis — posthum — zu überreichen? Mein Vorschlag damals (wie heute wieder) lautete: Gebt ihn an Vicki Baum. Nobelpreis aus der Flaschenpost? Unlängst erschien in den USA eine Klassiker-Ausgabe des Romans „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum. Unter dem amerikanischen Titel „Grand Hotel“. Mit einer Titelillustration, die vage an George Grosz erinnern sollte. Tatsächlich stammt der Roman aus dem Jahr 1929 und behandelt das Leben in einem Berliner Luxushotel der Goldenen Zwanzigerjahre. Zu einem amerikanischen Klassiker wurde das Buch als Film - in der Hollywood-Version von 1932, mit einer Starriege der Extraklasse, angeführt von Greta Garbo. Der Film ist heute immer noch beeindruckend und auf DVD erhältlich — bekam er doch damals den Oscar für den besten Film des Jahres. Wann hat ihr das ein anderer deutscher Autor jemals nachgemacht? (Oder vorgemacht? — Natürlich: Erich Maria Remarque. „Im Westen nichts Neues“ war der weltweit erfolgreichste Roman - übrigens ein Anti-Kriegs-Roman - eines deutschen Autors und als Hollywood-Film 1930 ebenfalls bester Film des Jahres.) Aber als Schriftstellerin war Vicki Baum dennoch einzigartig, unvergleichlich. Um sie mit einem anderen Schriftsteller zu vergleichen, muss man buchstäblich eine ganze Kohorte von Autoren bemühen. In ihr verbanden sich unterschiedliche Aspekte der Karrieren und Werke von: —B. Traven - wie er schrieb auch sie über exotische Schauplätze und mit politisch-aufklärerischem Unterton; — Günter Wallraff - so jobbte sie einige Wochen als Zimmermädchen im Berliner Hotel Bristol Unter den Linden, um ihren berühmtesten Roman zu recherchieren; verfolgte in New York Kaufhausverkäuferinnen bis in ihre Wohnungen hinein, um deren Lebensumstände für ein Theaterstück, das sie schrieb, kennenzulernen; — Egon Erwin Kisch — wie er recherchierte sie in China, in Südostasien, schrieb Tatsachenromane;