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ahnungslosen offenen kindlichen Wesen des primitiven unverfalschten ungehemmten Menschen habe ich noch nicht gesehen. Freys Briefe an Thomas Mann erlauben ebenfalls einen guten Einblick in die wesentlichen Lebensumstände seiner Salzburger Exiljahre im österreichischen Ständestaat. Frey warnte Thomas Mann wiederholt davor, sich in Wien niederzulassen. Frey schrieb unentwegt, doch seine Texte, die zumeist in Zeitschriften, wie „Die Sammlung“ erschienen, blieben ohne die entsprechende Würdigung. Er war sowohl im nationalsozialistischen Deutschland als auch im österreichischen Ständestaat vom Buchmarkt ausgesperrt, obwohl er bis 1933 zu den anerkanntesten Autoren gehört hatte. Nur bei einem Novellen-Wettbewerb, den Klaus Mann ausgeschrieben hatte, bei dem als Preisrichter Heinrich Mann und Bruno Frank fungierten, wurde ihm ein Preis in Höhe von 300 holländischen Gulden für die Novelle „Ein Mädchen mordet“ zuerkannt.'? Nach 1936, als die Nationalsozialisten auch in Österreich zunehmend an Bedeutung und Macht gewannen, wurde Frey immer wieder von politisch motivierten Einsätzen der Fremdenpolizei schikaniert. In Salzburg entstand auch Freys bisher unveröffentlichter Roman „Der Gefallene steht auf“. Frey sah voll Sorge, wie die immer drohender werdenden politischen Gewitterwolken, die aus dem deutschen Reich hereinzogen, die Österreicher nicht wirklich zu beunruhigen schienen. So schrieb er in einem Brief vom 2. Marz 1935 an Thomas Mann über die politische Schwüle vor dem Sturm: Die im Grunde immer lässigen Österreicher aus dem anderen Lager, die Ruhe haben wollen, sind jener agilen Perfidie [der Nationalsozialisten; WT], jenen puren Fanatismus nicht gewachsen ... Aber es gibt Leute, die nicht ohne Grund meinen, dass es eines Tages unvorstellbar scheußlich hier zugehen wird.“ Im März 1938, als Hitler in Österreich einmarschierte, flüchtete Frey weiter in die Schweiz nach Basel und zeitweilig nach Zürich. Dort wurde er, wie er selbst sagte, zum „Schriftsteller unter Ausschluss der Öffentlichkeit“. Denn die — ach so freiheitsliebende — Schweiz verbot ihm zu schreiben (!) und zu publizieren, aus Angst, er würde damit heimische Autoren verdrängen. Zudem war er von ständiger Ausweisung bedroht. So teilte ihm die Schweizerische Armee (!) — nicht etwa das Innenministerium oder die Baseler Fremdenpolizei — in einem Schreiben vom 5.12. 1942 Folgendes mit: ... müssen wir feststellen, dass Sie in verschiedener Weise die bestehenden Vorschriften übertreten haben: Sie haben sich als Mitarbeiter an verschiedenen Schweizer Zeitschriften betätigt, indem Sie denselben Beiträge geliefert haben, obwohl Ihnen jede Journalistik durch die Eidgenössische Fremdenpolizei seinerzeit ausdrücklich verboten wurde ... Wir befehlen Ihnen hiermit, von heute an jegliche Mitarbeit an Schweizerischen Zeitungen oder Zeitschriften einzustellen." Auch der „Schweizerische Schriftsteller-Verein“ zeigte wenig Engagement für den exilierten Kollegen und teilte Frey mit, dass ein Eintreten für ihn „nicht den geringsten Erfolg“ haben würde und er nur tätig sein dürfe, wenn die Behörde den Verein dazu aufforderte: Nach Rücksprache mit mafsgebenden Persönlichkeiten unseres Vorstandes kann ich Ihnen erklären, dass wir bereit sind, uns zu der Frage zu äußern, sofern wir von der zuständigen Behörde zur Vernehmlassung eingeladen werden.'® Unter diesem großen psychischen Drucks und der materiellen Not dürfte sich Frey wiederholt an Thomas Mann gewendet haben, um den trostlosen Lebensumständen in der Schweiz zu entfliehen. Er musste in einer nicht beheizbaren Dachkammer, die ursprünglich für Dienstboten als Bleibe verwendet wurde, hausen. In einem Brief aus Los Angeles an Frey wies Mann darauf hin, dass die Schweiz auf die Ausreise eines Exilanten drängen müsse, damit das American Emergency Rescue Committee tätig werden könne. Dazu bedürfe es auch noch eines Affidavit, um ein USA-Visum zu erhalten.” Doch niemand wollte sich für den Schriftsteller finanziell verbürgen. Der Herausgeber der „Bibliothek Exilliteratur“, Hans-Albert Walter, hat in seinem Buch „Der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten — Alexander Moritz Frey wiederzuentdecken“ die Dokumente der Schweizer Behörden, in denen die Härte der helvetischen Bürokratie gegenüber Exilanten deutlich zum Ausdruck kommt, penibel zusammengestellt." Wie erbärmlich die Lebenssituation Freys in Basel war und wie verzweifelt er sein Schicksal beklagte, zeigt ein Briefan Wolfgang Sauerländer aus dem Jahr 1940: Mit geht es schlecht in vieler Beziehung; es ist mir selber zum Kotzen, das zu sagen, aber ich kann es nicht verschweigen und will es auch nicht verschweigen. Ich bin fast völlig mittellos; die Einnahmen beschränken sich auf monatlich ein paar Franken für Buchbesprechungen und auf eine kleine Unterstützung ... Es geht mir gesundheitlich schlecht, ich habe sehr viel Migräne und viel Nervenschmerzen und Schlaflosigkeit, es rührt sicherlich mit von dem erbärmlichen Leben her. Nun droht hier denen, die geldlich schlecht dran sind, auch noch die Internierung. Weg von Basel darf ich nicht; wir Ausländer müssen an dem Ort bleiben, wo wir Aufenthaltserlaubnis haben: Hier ist es scheußlich und nervenaufreibend wegen der dauernden Vermutungen, die Deutschen könnten herüberkommen. Ihr in den U.S.A. seid für uns buchstäblich wie im Paradies Lebende. Haben Sie vielleicht etwas über meinen Roman gehört? Aber es ist wurscht, ich scheiße darauf. Ich scheifse allmählich auf alles. Und kann nur wünschen, bald und möglichst schmerzlos verreckt zu sein. Habe ich deshalb den saumäfiigen Dreck 1914 bis 18 mitgemacht, damit ich jetzt mehr denn je in der Tinte sitze?" Natürlich konnte Frey ohne Schreiben nicht leben. Daher schrieb er unter einem Pseudonym für die Zeitschriften „Maß und Wert“, „Merkur“ und „Atlantis“, schließlich auch für die Basler „NationalZeitung“, die „Neue Zürcher Zeitung“ und den „Tagesanzeiger“. Erst im letzten Kriegs- und im ersten Nachkriegsjahr konnte Frey die in der Schweiz verfassten Romane „Hölle und Himmel“ (1944), „Spuk auf Isola Rossa“ (1945) und die Tiergeschichte „Birl, die kühne Katze“ (1945) publizieren. Im Jahr 1948 folgte dann die Novelle „Hotel Aquarium“. Das bedeutendste in der Schweiz geschriebene erzählerische Werk „Hölle und Himmel“ schildert als Schlüsselroman Freys Salzburger Jahre. Das Lokalkolorit ist leicht festzumachen, denn die Salzach wird im Roman zur „Sturzach“, der Kapuzinerbergzum „Jesuitenhügel“, der Leopoldskroner Weiher zum „Suppentellersee von Schloss Rudolfskron“, das Cafe Bazar zum „Cafe Karawan“. Zudem wird immer wieder von den Festspielen gesprochen, und der Hausherr des Schlosses Rudolfskron, der zum Hofrat avancierte große „Iheatermann“, ist deutlich als Max Reinhardt zu erkennen. Wenn man der Lebensgefährtin Freys, Gussy Warschauer-Gerson, Glauben schenkt, so ist die Hauptperson des Romans, Wilhelm Walter Wegwart, nach dem Kaufmann Moser, bei dem Frey eine Zeitlang kostenlos wohnen konnte, gestaltet.” Die idyllische Kleinstadt Salzburg, die nur während der Festspielwochen aus ihrem Dämmerschlaf erwacht, konnte sich damals aber des Publikums- und Künstlerrummels nicht so recht erfreuen, November 2018 17