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sich um unser Aufßensein kümmerten. Gab es Ihnen gar nicht zu denken ? Noch heute könnt‘ es mich kränken.” Aus dem Brief geht deutlich hervor, dass Mann die Nachkriegsnot vieler Schriftstellerkollegen kaum erfassen konnte. Dieser Eindruck des durch die Ferne und das finanziell gesicherte Leben fehlenden Verständnisses für die Existenznöte seines Schriftstellerkollegen in der Schweiz wird verstärkt durch einen Brief Manns aus dem Jahr 1952: Auch Sie — wenn Sie englisch schrieben oder französisch, wieviel besser wären Sie daran! Ihre Geschichten würden Ihnen nicht versauern und etwas dem „Verteufelten Theater“ Entsprechendes nicht Jahre lang bei den Verlegern herumliegen, wenn Sie Fry hießen, statt Frey. „Ein deutscher Schriftsteller — ein deutscher Märtyrer“ — sagt schon Goethe, selbst der?" Im Jahr 1949 brachte Frey seine privaten Erinnerungen an Hitler, seinen Frontkameraden und größten Massenmörder der Menschheitsgeschichte, unter dem Titel „Der unbekannte Gefreite — Persönliche Erinnerungen an Hitler“ zu Papier. Er schickte das Manuskript an den „Aufbau“, die älteste deutschsprachige jüdische Zeitung in New York. Doch der verantwortliche Redakteur Manfred George, der gleich Frey aus Deutschland hatte fliehen müssen, gab ihm einen ablehnenden Bescheid: Ich wünschte, ich könnte Ihnen über den „Unbekannten Gefreiten“ einen guten Bescheid geben. Wir haben uns aber entschließen müssen, ihn nicht abzudrucken, weil uns — Sie werden mir die Offenheit gestatten — die Arbeit stofflich etwas zu dünn schien. Außerdem stehen wir auf dem Standpunkt, je weniger von Hitler gesprochen wird, desto besser. Selbst abfallige Kritik stellt immer eine Propagierung dar. Besser, wenn er aus den Köpfen der Mitwelt ganz verschwindet.*' Im November 1956 erleidet der völlig verarmte und noch immer staatenlose Schriftsteller einen Hirnschlag. Vier Wochen später erhält er endlich die begehrte Schweizer Staatsbürgerschaft. Doch zu spät, denn am 24. Jänner 1957 stirbt Frey, einer der großen und zu Unrecht vergessenen Schriftsteller der deutschen Exilliteratur. Alexander Moritz Frey wurde als Schriftsteller von Thomas Mann, Heinrich Mann, Klaus Mann und Kurt Tucholsky geachtet. Er hatte Kontakt zu Stefan Zweig und Hermann Hesse und zu den Malern Franz Marc und Hans Arp. Klaus Mann erinnert sich in seinem Lebensbericht „Der Wendepunkt“ (1961) an Frey als einen „Erzähler von schr persönlich geprägtem Stil und Geschichtenerfinder von bizarrer, übrigens bemerkenswert ergiebiger Phantasie“”. Frey hat mit seinem moralischen und durch nichts korrumpierbaren Charakter und seiner asketischen Bescheidenheit den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, den österreichischen Ständestaat unter Dollfuß, den Nationalsozialismus und die harten Jahre im österreichischen und Schweizer Exil durchgestanden. Doch die Teilnahmslosigkeit des Verlagswesens für die Exilliteraten und die Wiederauferstehung der Nazi-Apologeten nach 1945 haben ihn mürbe gemacht und zerbrechen lassen. Sein zuletzt entstandenes Werk „Verteufeltes Theater“ (1957), eine „stilistisch feingeschliffene“” Novelle von 200 Seiten, behandelt eine chaotische Aufführung von Goethes „Faust“ in einem Provinztheater. Der Teufel kommt bei der Aufführung selbst vorbei und sagt: Wenn Gott will, verzeiht er auch den Mord. Der Mord ist katalogisiert, wir wissen es. Der zwischen Soldaten fällt unter die höchst ehrenhaften Morde.“ Damit rundet sich Freys Bild in seiner pazifisischen Grundhaltung von den „Pflasterkästen“ bis zum „Verteufelten Theater“. Walter Thaler, geb. 1941, Mag.et Dr. phil., AHS-Lehrer und Direktor des Bundesrealgymnasiums Zell am See; ab 1969 kommunalund landespolitische Tätigkeit (Vizebürgermeister und Bürgermeister von Zell am See, Landtagsabgeordneter, II. Präsident des Salzburger Landtages). Seit 2005 Buchpublikationen zu Politik, Kultur und Regionalgeschichte. Anmerkungen 1 Zit. nach Stefan Ernsting: Der phantastische Rebell Alexander Moritz Frey oder Hitler schießt dramatisch in die Luft. Zürich 2007, 34. 2 Alexander Moritz Frey: Der unbekannte Gefreite. Abgedruckt in: HansAlbert Walter: Der Meisterzeichner von Nachtstiicken und Traumgesichten. Alexander Moritz Frey wiederzuentdecken. Frankfurt/M. 1988, 246-248. 3 a.a.O., 245f. 4 a.a.0., 251. 5 Alexander Moritz Frey: Die Pflasterkästen. Ein Feldsanitätsroman. Coesfeld 2011, 143. 6a.a.O., 146. 7 Thomas Mann, Brief an Frey, 4.5.1929. In: Th. Mann: Briefe 1889 — 1936. Hg. von Erika Mann. Frankfurt/M. 1979, 292. 8 Adolf Hitler: Mein Kampf. Eine Abrechnung. München 1928, 180. 9 Frey, wie Anm. 5, 224. 10 Frey, Brief an Th. Mann, 5.5.1933. In: Walter: Der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten, 23. 11 Frey, Brief an Wolfgang Sauerländer, 4.11.1935. In: Adolf-HaslingerLiteraturstiftung. 12 Walter, 179. 13 Hildemar Holl: Alexander Moritz Frey. In: Adolf Haslinger/Manfred Mittermayr (Hrsg.): Salzburger Kulturlexikon, Salzburg 1987, 141. 14 Frey, Brief an Th. Mann, 2.3.1935. In: Walter, 25. 15 Schreiben der Schweizer Armee, 5.12.1942. In: Walter, 179. 16 Schreiben des Schweizerischen Schriftsteller-Vereins. In: Walter, Dokument 28, 207. 17 Zit. nach Thomas Mann: Briefe II — 1937 — 1947. Hg. von Erika Mann. Frankfurt/M. 1979, 154. 18 Walter, 158 — 237. 19 Frey, Brief an W. Sauerländer, 2.6.1940. In: Adolf-Haslinger-Literaturstiftung 20 Walter, 60. 21 Alexander Moritz Frey: Hölle und Himmel. Roman. Frankfurt/M. 1988, 12. 22 Frey, Himmel und Hölle, 286. 23 Walter, 77. 24 a.a.0. 57. 25 Frey, Holle und Himmel, 302f. 26 Frey, a.a.O., 214. 27 Frey, a.a.O., 220. 28 Frey, Brief an Ina Seidl, 28.9.1947. Zit. nach: Thomas Fitzel: ,,Ich sagte: nein — und machte mir Feinde“. In: Deutschlandfunk Kultur — Fazit(10.5.2013), auf: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ich-sagte-neinund-machte-mir-feinde.1013.de.html?dram:article_id=246074 (16.8.2018) 29 Ih. Mann, Brief an Frey, 17.9.1947. In: Thomas Mann: Briefe II, 548. 30 Th. Mann, Brief an Frey, 19.1.1952. In: Thomas Mann: Briefe III. 1948 — 1955. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt/M. 1979, 240f. 31 Manfred George, Brief an Frey, 23.6.1949. In: Dt. Literaturarchiv Marbach. Sign. 1528, Kasten 520. 32 Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Miinchen 1981, 360. 33 Ernsting: Der phantastische Rebell Alexander Moritz Frey, 195. 34 Frey: Verteufeltes Theater. Wiesbaden 1957. Zit. nach: Ernsting, 195. November 2018 19