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Disziplin anführen. Als der Publizist Carl Misch, der, über Paris nach New York emigriert, 1947 seine Bereitschaft bekundet, die Chefredaktion der Allgemeinen Zeitung in Mainz zu übernehmen, wird von Kollegen, die um ihre Stellung bangen, gewarnt, „Verpflegung, Versorgung, Unterkunft, Entlohnung seien mehr als dürftig“.*” Misch sagt ab. Es sind und bleiben die unbeliebten, als Krawallbrüder denunzierten Achtundsechziger-Studenten, die eine Abwicklung der alten Ordinarienuniversität einfordern. Unterstützung erhalten sie von denen, die Deutschland ab 1933 verlassen mußten. Selbst wenn sie nicht in persona zurückkehrten, ihr Denken ist zurückgekehrt. Hermann Haarmann, geb. 1946, Dr. phil., habil., Uniu.-Prof., Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften der Freien Universität Berlin, zugleich Direktor des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin (IKK). Anmerkungen 1 Herbert Marcuse in einem Gespräch mit Ulrich Wickert (1980), zit. nach Peter Erwin Jansen, Etablierung im Exil. Herbert Marcuse und Leo Löwenthal in Amerika, in: Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland, hrsg. von Monika Boll u. Rafael Gross, Göttingen 2009, S. 264. 2 Am 8. Januar 2018. 3 Vgl. dazu Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung, Frankfurt/M. 1969. 4 Zit. nach Kleine Chronik der FU, http://web.fu-berlin.de/chronik/chronik_1961-1969.html. 5 Vgl. dazu: 76 Studenten von der Polizei festgenommen, in: Frankfurter Rundschau vom 1. Februar 1969. Unter den Festgenommen befindet sich auch Hans-Jürgen Krahl, der sich mit Jürgen Habermas einen wissenschaftstheoretischen bedeutsamen Schlagabtausch zum Verhältnis von Arbeit und Interaktion liefert (H.-J. K., Das Elend der kritischen Theorie eines kritischen Theoretikers, in: ders., Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt/M. 1971, S. 251ff.). 6 Herbert Marcuse, zit. nach: Die Frankfurter Schule und Frankfurt, S. 265. 7 Theodor W. Adorno, zit. nach: Die Frankfurter Schule und Frankfurt, S. 266. 8 Herbert Marcuse, Neue Quellen zur Grundlegung des Historischen Materialismus, wiederveröffentlicht in: H. M., Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1969, S. 26. 9 Ebd., S. 37. 10 Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW; Ergänzungsbd. 1, Berlin/DDR 1968, S. 516. 11 Marcuse, Neue Quellen, S. 52. 12 Ebd., S. 52. 13 Leo Löwenthal in einem Gespräch mit dem Verf. in Berlin, Sommer 1990. 14 Vgl. dazu Leo Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie. Ein autobiographisches Gespräch mit Helmuth Dubiel, Frankfurt/M. 1980, S. 68. Weitere Informationen über das Stiftungskapital und seine Sicherung in Zeiten des Exils liefert neuerdings Jeanette Erazo Heufelder, Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule, Berlin 2017, S. 125ff. 15 Herbert Marcuse, Über die philosophischen Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsbegriffs, in: H. M., Kultur und Gesellschaft 2, Frankfurt/M. 1965, S. 22. 16 Ebd., S. 20. 17 Herbert Marcuse, Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, in: H. M., Kultur und Gesellschaft 1, Frankfurt/M. 1965, S. 17. 18 Ebd., S. 19. 19 Ebd., S. 18. 20 Ebd., S. 21. 21 Ebd., S. 39. 22 Max Horkheimer an Leo Löwenthal, 6. Juli 1934, in: M. H., Gesammelte Schriften, Bd. 15: Briefwechsel 1913-1936, hrsg. von Gunzelin SchmidNoerr, Frankfurt/M. 1995, S. 147. 23 Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. Geschichte ** Theoretische Entwicklung Politische Bedeutung, München 1988, S. 171, gemeint sind die „Studien über Autorität und Familie“. 24 Lowenthal, Mitmachen wollte ich nie, S. 96. 25 Herbert Marcuse, Über den affirmativen Charakter der Kultur, in: Kultur und Gesellschaft 1, S. 74. 26 Ebd., S. 82. 27 Ebd. 28 Ebd., S. 60. 29 Ebd. S. 88. 30 Ebd., S. 89 31 Herbert Marcuses, Nachgelassene Schriften, Bd. 5: Feindanalysen. Über die Deutschen, hrsg. von Peter-Erwin Jansen, Springe 2007, S. 30. 32 Ebd., S. 39. 33 Vgl. dazu Ulrich Herrmann, „Zurück zur Natur“ und „Vorwärts zum Geist“ — Das Janusgesicht der deutschen Jugendbewegung, in: Einspruch. Schriftenreihe der Friedrich-Wolf-Gesellschaft, Berlin 2007, S. 17ff. 34 Vgl. dazu etwa Michael Rohrwasser, Saubere Mädel, starke Genossen. Proletarische Massenliteratur?, Frankfurt/ Main 1975. 35 Herbert Marcuse, Kritik der Hedonismus, in: H. M., Kultur und Gesellschaft I, S. 128ff. 36 Ebd., S. 141. 37 Herbert Marcuse, Staat und Individuum im Nationalsozialismus, in: H.M. Nachgelassene Schriften, Bd. 5, S.157 (alle vorhergehende Zitate auf dieser Seite). 38 Franz Neumann, Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer, op. cit., hrsg. von Raffaele Laudani, Frankfurt/M. 2013. 39 Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie, S. 128. 40 Herbert Marcuse, Briefan Werner Krauss, 28. August 1947, in: Werner Krauss, Briefe 1922 bis 1976, hrsg. von Peter Jehle, Frankfurt/M. 2002, S. 379. 41 Thornton Wilder, op. cit. Ich erwahne dieses Theaterstiick auch deshalb, weil im Nachkriegsberlin eine hitzige Debatte geführt wird, ob denn nach Ende des Nationalsozialismus solch ein Stück überhaupt inszeniert werden dürfe, weil es an Zynismus heranreiche. Damit präludiert die Auseinandersetzung mit Wilder eine wesentlich brisantere, die um den Existentialismus des Jean Paul Sartre. 42 Herbert Marcuse, Vorwort, in: H.M., Kultur und Gesellschaft 1, S. 11. 43 Hermann Haarmann, Carl Misch, in: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd. 3, Teil 4, hrsg. von John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt u. Sandra H. Hawrylchak, Zürich u. München 2003, S. 163. Verstreutes Gesellschafisvisionen, Rückblick. - Dortmund, 20. Oktober 2005. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (bekannter unter WAZ) macht Vorschläge des Architekten und Städteplaners Albert Speer (Sohn des Gleichnamigen) publik: Er fordert einen „Rückbau“ der Städte, um der Realität einer sich allmählich verringernden Bevölkerung gerecht zu werden. Ein anderer Architekt beschäftigt sich mit dem Plan, Teile des entindustrialisierten Ruhrgebietes in Rentnersiedlungen umzuwandeln, wo Menschen höheren Alters mit ihren Ärzten und Pflegerinnen angesiedelt werden sollten. Es ist zu überlegen, was geschieht, wenn eine solche Mentalität malthusianischer Schrumpfvorsorge zusammenstößt mit dem Andrang von Menschen, die von anderswo her kommen. In der Rückwärtsbewegung nach vorne gestoßen zu werden, mag unbequem sein. November 2018 25