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Schinderei. Anstatt sich an Paul Lafargue, den Schwiegersohn von Marx zu erinnern, der das Recht auf Faulheit hochhielt, soll es ein „Recht auf Arbeit“ sein, für das beispielsweise am 1. Mai gestritten wird. Und man begibt sich nicht gerade auf Glatteis, wenn man prognostiziert, dass es auch bei den kommenden 1. Mai-Feiertagen aus den sozialdemokratischen und sozialistischen Postillen, vor dem Berliner Reichstag und auf dem Wiener Rathausplatz, auf den Kundgebungen von DGB und ÖGB wieder „Arbeit für alle!“ schmettern wird. Schon früh ist die gleichmäßige Verteilung des Elends, nicht seine Abschaffung zum Ziel des Mainstreams der Arbeiterbewegung geworden. Die Vordenker der Sozialdemokratie fürchteten wohl nur eines noch mehr als den Vorwurf des „nationalen Nihilismus“: als Verächter der Arbeit ins Visier des politischen Gegners zu geraten. Schon August Bebel verkündete Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Schrift Die Frau und der Sozialismus: „Die alberne Behauptung, die Sozialisten wollten die Arbeit abschaffen, ist ein Widersinn sondergleichen. Nichtarbeiter, Faulenzer gibt es nur in der bürgerlichen Welt.“ Lob der Faulheit Doch gab es stets dissidente Strömungen in der Linken, welche das Lob des Schuftens und Rackerns nicht mitmachen wollten. Sie blieben in aller Regel eine verschwindend kleine Minderheit. Marx hatte bereits als junger Mann konstatiert: „Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Hause.“ Die Fremdheit der Arbeit trete „darin rein hervor, dass, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird“, heißt es in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844. Lafargue, der auch ein scharfer Kritiker des Nationalismus in der sich herausbildenden Arbeiterbewegung war, schrieb eine Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“, für das gleichwohl bis zum heutigen Tag bei fast jedem 1. Mai-Aufmarsch gestritten wird. Friedrich Nietzsche diagnostizierte als Beobachter der brutalen Durchsetzung der Fabrikarbeit am Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Aphorismus Die Lobredner der Arbeit, dass „eine solche Arbeit die beste Polizei“ sei, da sie „jeden im Zaume hält und die Entwicklung der Vernunft, der Begehrlichkeit, des Unabhängigkeitsgelüstes kräftig zu hindern versteht“. Während Michail Bakunin als zentraler Vordenker des Anarchismus die Arbeit zur „Grundlage der Menschenwürde“ erklärte, beharrte Moses Hess, ein Freund von Marx und als „roter Rabbi“ einer der frühen Theoretiker des Zionismus, auf der Unterscheidung zwischen „freier Thätigkeit“ und „gezwungener Arbeit“. Während die Stalinisten den Produktivitätswahn auf eine massenmörderische Spitze trieben, hatte der russische Avantgardist Kasimir Malewitsch schon 1921 in seiner Schrift Die Faulheit als tatsächliche Wahrheit der Menschheit erklärt: „Die Arbeit muss verflucht werden, wie es auch die Legenden vom Paradies überliefern, die Faulheit aber sollte das sein, wonach der Mensch zu streben hat.“ Es ginge nicht an, dass sich nur die Besitzenden von der Arbeit emanzipieren, vielmehr sollte sich „die ganze Menschheit“ von ihr befreien. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert wollten Vordenker des italienischen Operaismus wie Mario Tronti eine ,,Arbeiterpartei gegen die Arbeit“ schaffen, und insbesondere die Autoren der Kritischen Theorie wandten sich gegen die Anbetung der Plackerei: Theodor W. Adorno kritisierte in seinen Minima Moralia ein Ideal menschlichen Verhaltens, das „am Modell der Produktion als Selbstzweck gebildet ist“; er wandte sich gegen das „Wunschbild des ungehemmten, kraftstrotzenden, schöpferischen Menschen“. Jene die Gesellschaft durchziehende Vorstellung vom „fessellosen Tun, dem ununterbrochenen Zeugen, der pausbäckigen Unersättlichkeit“ war ihm ein Greuel. Er fürchtete nicht „das Erschlaffen der Menschheit im Wohlleben“, sondern die „blinde Wut des Machens“. Oft genug verweigerten die Arbeiter und Arbeiterinnen den produktivistischen Vordenkern der Arbeiterbewegung mit ihrem Ideal der „schaffenden Sozialisten“ die Gefolgschaft. Die spanischen Proletarier brachten während des Bürgerkriegs in den 1930er Jahren mit ihrer selbstbewussten Verweigerungshaltung die anarchistischen Funktionäre der Gewerkschaft CNT zur Verzweiflung, die in ihren letztlich aus dem Abwehrkampf gegen die Faschisten resultierenden und also durchaus verständlichen Aufrufen zur Arbeitsdisziplin ihren bolschewistischen und stalinistischen Konkurrenten kaum in erwas nachstanden und beispielsweise im revolutionären Barcelona die Akkordarbeit wieder einführten. Die von den französischen Situationisten um Guy Debord aufgegriffene Parole „Ne travaillez jamais“ („Arbeitet niemals“) stammte nicht aus dem studentischen Milieu der 68er-Bewegung, wie ordnungsapologetische sozialistische und kommunistische Gewerkschaftsfunktionäre sofort behaupteten, sondern war in den 1960er und 70er Jahren ein geflügeltes Wort insbesondere in den subproletarischen Vierteln der französischen Hauptstadt. Es steht ganz in der Tradition jener Pariser Arbeiter, die in der linken „Volksfrontregierung“ in den 1930er Jahren keine Chance zur schwunghaften Steigerung der Produktivität sahen, sondern eine Möglichkeit, erstmals in ihrem Leben bezahlten Urlaub zu machen und an die Atlantikküste zu fahren. Einige Chronisten sprechen davon, die französischen Sozialisten und Kommunisten hätten nicht als Wegbereiter der Revolution, sondern des Massentourismus fungiert. Arbeitswahn & Antisemitismus Durchgesetzt haben sich jedoch ganz andere Traditionslinien. Die fanatischsten Lobpreiser der Arbeit waren schon immer zugleich die schlimmsten Antisemiten: Von Martin Luther, dem Protagonisten des protestantischen Arbeitsethos und Autor des Pamphlets Von den Juden und ihren Lügen, über den Industriellen Henry Ford, den Autor des Machwerks Der internationale Jude, für den es „nichts Abscheulicheres“ gab „als ein müßiges Leben“, bis zu Adolf Hitler. Luther war von dem Gedanken besessen, Juden zur Arbeit zu zwingen und forderte, „daß man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiße der Nasen.“ Ernst Jünger ließ Arbeit und Freiheit in eins fallen und proklamierte ein „für den Verzicht gerüstetes Glück“, womit er sich auch in diesem Punkt als veritabler Vordenker des nationalsozialistischen Opfer- und Arbeitskultes erwies. Den brachte der Führer der NS-Volksgemeinschaft am treffendsten auf den Punkt: Hitler proklamierte in Mein Kampf „den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird.“ Wie ernst er das gemeint hatte, konnte man später über den Toren der Vernichtungslager nachlesen: „Arbeit macht frei“. November 2018 2/7