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In der Forderung „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ äußert sich moralische Empörung, aber keine Kritik, die sich zunächst einmal einen Begriff vom zu Kritisierenden bilden müsste. Und so schauen dann auch die Rezepte aus: Beispielsweise jene des reformistischen Flügels der Antiglobalisierungsbewegung, die sich in Form von Gruppierungen wie Attac als eine Art ideeller Gesamtsozialarbeiter konstituiert hat: Erst wird durchaus zutreffend das Elend in der Welt beschrieben — von den drastischen Verelendungstendenzen in den Metropolen bis zum Massensterben in den Hungerregionen. Doch dann fordert man angesichts dieses Leidens nicht den Umsturz aller Verhältnisse, „in denen“, wie es beim jungen Marx in der Einleitung zu seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie heißt, „der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, sondern — eine neue Steuer. Mit Tobin-Tax und Co. will man den ,,Auswiichsen“ des „wurzellosen Finanzkapitalismus“ zu Leibe rücken. Und so muss es einen auch gar nicht wundern, dass manche Verlautbarung der Globalisierungskritiker klingt, als wollten sie der nationalsozialistischen Unterscheidung in gutes „schaffendes“ und böses „raffendes“ Kapital nacheifern. Doch auch in diesem Fall stehen Kapitalismuskritiker von links keinesfalls alleine da. In Österreich griff kurz vor seinem Ableben der Haus- und Hofdichter der Kronenzeitung 2011 diese Unterscheidung auf und reimte in der auflagenstärksten Tageszeitung des Landes: „Das Spekulantenpack ist schädlich, doch nicht das Kapital, das redlich.“ Die Grundlage dieser Trennung ist keineswegs eine Erfindung der nationalsozialistischen Ideologie, sondern im Arbeitsfetischismus jeglicher Couleur angelegt: auf der einen Seite die Arbeitsplätze schaffenden, verantwortungsbewussten Industriekapitäne; auf der anderen das unproduktive Kapital der Zirkulationssphäre, das in gemeinschaftsfeindlicher Absicht rastlos seine Krakenarme um den Globus spanne und die „Würde der Völker“ angreife, zu deren Verteidigung europäische und lateinamerikanische Linkspopulisten ebenso antreten wie arabische Nationalisten oder Islamisten. Ein Paradebeispiel aus der Populärkultur für die Unterscheidung von bösem „raffenden“ und gutem „schaffenden“ Kapital bietet der ansonsten ausgesprochen unterhaltsame Spielfilm Pretty Woman, in dem der wurzellose Zirkulationskapitalist, in dem ohnehin schon das Gute schlummert, das aber durch den schlechten Einfluss des geld- und machthungrigen Anwalts nicht zur Geltung kommen kann, von der schönen Prostituierten zum bodenständigen Produktionskapitalisten bekehrt und aus den Fängen des in jeder Hinsicht als unmoralisch gezeichneten Winkeladvokaten befreit wird. In Europa schwingen sich Politiker nahezu jeglicher politischen Couleur zu leidenschaftlichen Anklagen gegen die „Spekulanten“ und „Finanzhaie“ auf. Gesellschaftskritik wurde schon längst durch die Markierung von vermeintlich Schuldigen ersetzt. Anstatt die gesellschaftlichen Gründe für das menschliche Elend ins Visier zu nehmen, werden Personifikationen der gesellschaftlichen Verhältnisse dem Volkszorn ausgeliefert. Anstatt für die Vollendung des Individualismus und für seine gesellschaftlichen Voraussetzungen zu streiten, klammert man sich an die Sklavenparole „Die Arbeit hoch!“. In der Huldigung des Prinzips der Arbeit finden rechts und links, sozialdemokratischer Etatismus und liberaler Verwertungswahn zueinander. Jemand wie Oscar Wilde hätte für dieses Theater nur Verachtung übrig gehabt. In Der Sozialismus und die Seele des Menschen heißt es ebenso knapp wie treffend: „Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen.“ Glück statt Arbeit Das zynische Achselzucken des Liberalismus, der angesichts der schlechten Einrichtung der Welt erklärt, die Menschen seien nun einmal so, und der über seine eigenen Konstitutionsbedingungen nichts wissen will, ist nicht viel besser als das linke Geraunze. Doch was sollte die Alternative zum traditionslinken wie liberalen Arbeitsfetischismus sein? Entspricht das Arbeitsregiment nicht der „menschlichen Natur“? Schon der Dandy und Gentleman Oscar Wilde hatte die passende Antwort auf derartige geschichtsvergessene Abwehrreaktionen parat: „Das einzige, was man von der Natur des Menschen wirklich weiß, ist, dass sie sich ändert.“ Gegen liberale Konkurrenzverherrlichung und linken Staatsfetischismus ginge es um eine Kritik der Arbeit, die weder mit dem traditionellen arbeitsfetischistischen Marxismus noch mit alternativen Verzichtsideologien etwas zu tun hat. Ihr geht es nicht um eine gleichmäßige Verteilung des Elends, sondern um seine globale Abschaffung. Sie will nicht Konsumverzicht, sondern Luxus für alle. Solch eine Kritik skandalisiert, dass Reichtum und Genuss den meisten Menschen vorenthalten werden, obwohl das angesichts der entwickelten menschlichen und gesellschaftlichen Fähigkeiten nicht notwendig wäre. Für diese Vorenthaltung bedarf es nicht des bösen Willens von „Heuschrecken“, wie die Charaktermasken des Finanzkapitals, welche die vermeintliche Würde der Arbeit beschmutzen würden, in zahlreichen Reden in sehr eindeutiger Tradition immer wieder tituliert werden, sondern allein der Logik eines Systems, das sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern der Verwertbarkeit des Kapitals orientiert. Eine Kritik der Arbeit richtet sich nicht gegen das Glücksversprechen der bürgerlichen Revolution, sondern versucht, seinen ideologischen Gehalt aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass dieses Versprechen in der bürgerlichen Gesellschaft kaum eingelöst werden kann. Solcherart Gesellschaftskritik will keinen falschen Kollektivismus oder gar Gemeinschaftssinn, sondern die verwirklichte Freiheit des Individuums, das sich über seine gesellschaftliche Konstitution bewusst ist. Dementsprechend verachtet solch eine Kritik die Parole „Die Arbeit hoch!“ und setzt dagegen die Vorstellung Theodor W. Adornos von einem versöhnten gesellschaftlichen Zustand, wie er sie in seinem Aphorismus Sur Veau in den Minima Moralia gefasst hat: „aufdem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen“, was übrigens auch eine schöne Alternative zu den drögen Gewerkschaftsaufmärschen oder der Klassenkampfsimulation linker Splittergruppen zum alljährlichen Tag der Arbeit ist. Klassenfahrt in die Volksgemeinschaft Der Vorstellung von der „Einheit der Arbeiterklasse“, die auf den diversen Aufmärschen zur Feier der Arbeit Jahr für Jahr beschworen wird, war immer schon ein Quentchen kollektivistischer Wahn und eine ordentliche Portion Konformimus beigemischt. Das Klassenbewusstsein, das stets als eine Art Geheimwaffe der Arbeiteremanzipation selbst noch bei den avanciertesten Vertretern eines kritischen Marxismus firmierte, ist lange schon entzaubert. Wird das Kapital vor dem Hintergrund der Marxschen Wert- und Fetischkritik als blinder gesellschaftlicher Prozess, als Selbstbewegung eines gesellschaftlichen Ungetüms begriffen, das sich durch das bewusstlose Handeln der gesellschaftlichen Akteure vollzieht und dabei stets und zum Nachteil des überwiegenden November 2018 29