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Georg Rigerl Auf eigenartige Weise unsichtbar Rede am 12. März 2018 im Steiermärkischen Landtag bei der Präsentation des Buches „Orte und Zeichen der Erinnerung. Erinnerungszeichen für die Opfer von Nationalsozialismus und Krieg in der Steiermark“, herausgegeben von Heimo Halbrainer und Gerald Lamprecht. Im vergangenen Jahr habe ich recht intensiv die Steiermark bereist, zwischen dem Niederwechsel und den Schladminger Tauern, Bad Radkersburg und Bad Aussee und viel und vieles in diesem vielfältigen und schönen Land neu kennengelernt. Mein Auftrag war, etwa 400 Erinnerungszeichen für die Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges zu dokumentieren, und diese monatelange Auseinandersetzung mit der Geschichte und den vielen hundert Geschichten stößt einen hin auf die andere Landschaft unter der Oberfläche, eine zunächst unsichtbare Landschaft. Diese zweite, unsichtbare Landschaft oder Landkarte ist eine Landkarte der Gewalt. Aufder Suche nach diesen zu dokumentierenden Objekten habe ich viele Straßen und Plätze aufgesucht, Betriebe und Ämter, Kasernen und Bildungseinrichtungen, ich war auf schr vielen Friedhöfen, in Kirchen und auf Kirchhöfen, in der Grazer Synagoge, bei der Polizei und im Gefängnis, im Hochgebirge und unter der Erde. Und war in Gedanken mit tragischen Schicksalen, Tod und Verzweiflung, Folter und Verfolgung, aber immer wieder auch mit dem Mut vieler Frauen und Männer konfrontiert. Diese Erinnerungszeichen, die die Aufmerksamkeit auf diese verborgene Landschaft richten sollen, sind selbst oft schwer zu finden. Es bewahrheitete sich, was im Musil-Zitat in einem der einleitenden Texte im Buch gesagt wird, dass nämlich Denkmäler auf eine eigenartige Weise unsichtbar sind. Ein Beispiel unter vielen: 29. August 2017, kurz nach 10 Uhr, schönes Soemmerwetter. Mein erstes Ziel in Kapfenberg an diesem Tag ist der Rosa Jochmann-Platz. Nicht leicht zu finden, weil es keine Adresse mit dieser Anschrift gibt (wie übrigens bei einer Reihe von Straßen, Gassen und Plätzen, die nach Personen aus dem Widerstand benannt sind). GoogleMaps - sonst eine große Hilfe - kennt den Rosa Jochmann-Platz nicht, wohl aber z.B. eine Karte der Stadtgemeinde Kapfenberg. Also der ungefähre Ort ist klar. Das Auto am Europaplatz abgestellt. Zuerst den vermuteten Platz einkreisen, ein paar Aufnahmen aus der Entfernung, um die Gesamtsituation festzuhalten, von der geschlossenen Tankstelle gegenüber aus, vom Parkplatz vor dem Supermarkt... Auf der anderen Seite der stark befahrenen Straße ein Platz, der alles hat, was so zu einem Platz dazugehört: Parkplätze, ein paar Baume, einen Brunnen, eine cher abstrakte Stahlplastik und „Roccos Box“, einen Kiosk mit ein paar Tischen daneben, wo eine Runde gut aufgelegter älterer Personen ihr Vormittagsbier genießt. Dahinter: Tanzstudio Babsi, Kids Club Ballett, Brake Dance, Street Dance, HipHop. Sommerkurse werden beworben. Ich gehe rüber auf den Platz und nähere mich dem angedeuteten Schanigarten. „Wollen sie uns fotografieren?“ „Nein, nicht direkt. Ich suche den Rosa Jochmann-Platz, der sollte hier sein.“ „Rosa JochmannPlatz? Hier in Kapfenberg? Nie gehört.“ „Und wieso wollen S‘ den fotografieren?“ Ich erkläre mit knappen Worten das Projekt Erinnerungsbuch des Landtags. „Ja, die Rosa Jochmann, die kennen wir schon. Natürlich. Aber einen Rosa Jochmann-Platz...?“ „Wissen S‘ was: Fragen S° den Wirtn, der weiß alles!“ Ein paar Schritte weiter der Mann in der Würstelbude: „Der Rosa Jochmann-Platz? Des waas ich schon, wo der ist. — Da!“ Und er deutet mit dem Finger zu Boden. „Da iss er.“ Die Gruppe um den Tisch ist überrascht: „Na sowas! Des hätt ma uns net gedacht...“ „... aberisch ka Wunder. Weil da hinten is ja auch des Volkshaus.“ Mir sind inzwischen zwei Tafeln aufgefallen, die von dieser Perspektive aus nur von hinten zu schen sind. Ich gehe hin und verschaffe mir Gewissheit: Auf der größeren steht „Rettungszufahrt Urologe Dr. Sowieso“, darunter auf der kleineren „Rosa Jochmann-Platz“. Eine Dame aus der Runde steht auf. Das muß sie sich jetzt selber ansehen. » Latsachlich! Und da geh ich jeden Tag vorbei und sch das nicht!“ Wie soll man das auch sehen? Ein Schild, das keine praktische Bedeutung hat in einem Tohuwabohu aus visuellen Reizen. Zwischen geparkten Autos und Müllkübeln (das ist es nämlich, was meistens das Straßenbild prägt) eine Information unter hunderten, tausenden jeden Tag. Verkehrszeichen, Ampeln, Geschäftsaufschriften, Logos, Plakate... Aber es gibt auch andere Ursachen für die Unsichtbarkeit oder das Verschwinden von Denkmälern: den Ort die Tarnung das Gras das Altern Der Ort: Welchen Raum gesteht man der Erinnerung zu? Wo steht ein Denkmal? Wie prominent ist es platziert. Mit welchen anderen Objekten konkurriert es? Wenn man herumgeht, um den Ort, einen Platz, einen kleinen Park zu erfassen, wenn man nach einer guten Perspektive fur eine Aufnahme (mit einem ruhigen Hintergrund) sucht, kann man sich die vermutlich oft monatelangen Diskussionen vorstellen, die dann zu einem bestimmten Aufstellungsort geführt haben. Und es gibt ja auch einige Beispiele für Denkmäler, die man von prominenten Orten weg auf verstecktere Plätze gestellt hat. Dann gibt es die getarnten Denkmaler, optisch unauffällig ohne erklärende Texte, so gestaltet, dass der unwissende Passant keine Chance hat, Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen. November 2018 45