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Monika Vasik, geb. 1960 in Wien, studierte Medizin. Seit der Promotion 1986 arbeitete sie als Ärztin. Ihre literarischen Arbeiten umfassen Lyrik und Kurzprosa; schreibt auch Rezensionen. Veröffentlichungen seit 1997 in zahlreichen Literaturzeitschriften Manfred Wieninger Vier Sportmärchen Aus dem Sack Er hat schr viel geraucht in diesen Tagen, mein Opa. Das deutsche Exerzier-Reglement wäre ja noch zu packen gewesen und die neuen Dienstvorschriften und sogar die Kasernierung. Aber die reichsdeutschen Ausbilder... Wie sie ihn als Ostmärker gepiesackt haben, während der Ausbildung zum bespannten Artilleristen. Körperlich konnten sie ihn aber nicht brechen. Denn er ist wohl ein christlich-deutscher Turner gewesen, ein Wehrturner, um es in der Sprache seiner Zeit zu sagen. Und im Sommer hat er vom 10-Meter-Turm im Laaerbergbad die Salti vorgezeigt, die er am Reck und beim Abgang von den Ringen gelernt hatte. Beim Exerzieren am Geschiitz haben sie versucht, ihm den Nerv zu ziehen. Stundenlang ist das gegangen, Tag für Tag. Den Namen des allerschlimmsten Ausbilders hat er niemals wieder ausgesprochen, bis zu seinem Tode nicht. Mit den schweren Kommiss-Stiefeln ist der Turner dem Schleifer, der ihn schon wochenlang bis aufs Blut sekkiert hatte, ins Gesicht gesprungen, die Hände vorschriftmäßig am Geschütz und beide Beine voll durchgestreckt, absichtlich und mit aller Wucht. Die anschließende hochnotpeinliche Untersuchung gegen den Ostmärker hat schließlich ergeben, dass der kommandierende Ausbilder aus eigenem Verschulden zu nahe am Geschütz gestanden ist, nicht viel, vielleicht zehn Zentimeter oder weniger (aber das hat glücklicherweise genügt). Und da hatte der ganze Sport plötzlich einen Sinn. Die Karpfenwerfer von Goggitsch Den Salto vorwärts aus dem Stand musste er in der Küche der kleinen Werkswohnung zum Gaudium seines Töchterchens, später meine Mutter, immer wieder vorführen. Der Salto rückwärts (ebenfalls aus dem Stand) sei noch leichter, meinte er, und schon sprang er zur Demonstration des Gesagten wieder einmal vom Linoleumboden hoch. Im Sommer war das Trampolin der kleinstädtischen Badeanstalt sein Revier. Leider gab es nur ein Drei-Meter-Brett (in Wien wäre er einst vom Zehn-Meter- Turm beinahe Vize-Stadtmeister geworden). In der Zeit dominierte er in der Weinviertler Gegend, in der es ihn wegen einer schlecht bezahlten, aber sicheren Arbeitsstelle verschlagen hatte, mit seiner Beiwagenmaschine, einer auf viele Raten erworbenen Horex, auch diverse Gaudi-Motorradrennen (obwohl sich seine Frau standhaft weigerte mitzufahren, und er einen Sack Kartoffel in den Beiwagen legen musste, um halbwegs die Stabilität zu wahren), auf die lokal heftig gewettet wurde. Davor, lange Jahre davor trat er Mitte der dreißiger Jahre arbeitslos und ausgesteuert im „Ronacher“ als Kunstturner auf. Er hat später nur höchst selten und Anthologien. 2003 erhielt sie den Lise-Meitner-Literaturpreis. Buchpublikationen: himmelhalb (Gedichte, 2015); zwei.hautnah (Liebesgedichte, 2012); nah.auf.stellung (Gedichte, 2011). Homepage: www.monikavasik.com und ungern darüber gesprochen, weil er sich nicht selbst an den Hunger von damals erinnern wollte. Er war der erste leibhaftige Sportler, den ich persönlich kennengelernt habe. Der riesige, gackerlgelbe, adipöse Stoffbär mit den schwarzbraunen Glasaugen hatte es mir angetan. Wenn ich ihn nicht bekam, würde ich spätestens am frühen Abend hohes Fieber entwickeln und diverse Krämpfe und eine Art leichtes Will-Haben-Asthma. Der Mann, der einst in der Küche seiner Frau zum Gaudium seiner Tochter Salti gesprungen war, wusste das und nickte. »15 Treffer. 15 eindeutige Treffer“, forderte der Schießbudenbesitzer grinsend. Er trug ein schweißiges Rapid-Leiberl und einen breiten Gürtel wie ein Gewichtheber. Opa nickte abermals. „Ich lade Ihnen mal die ersten 30 Kugeln auf“, fügte der Standler hinzu, „Dann sehen wir weiter...“ Opa schüttelte behäbig den Kopf und legte das Geld für 15 Schuss auf die Budel. „Das ist zu wenig“, meinte der Schießbudenheini. Opa schüttelte abermals den Kopf. Gleichzeitig blickte er mit einer solchen Verachtung, mit einem solchen tiefen Abscheu auf den Luftdruck-Karabiner, dass es mir kalt über den Rücken lief. „Wenn heute nicht mein erster Schultag wäre...“, glaube ich, mich heute noch an einen meiner damaligen Gedanken erinnern zu können. Mein Großvater mütterlicherseits hat dann drei schnelle FünferSerien im Stehen hingelegt, mehr als zügig repetiert und die weißen Plastikstengel von 15 Plastikrosen eindeutig getroffen. Im sogenannten Polen-Feldzug, wie er mir viele Jahre später erzählt hat, ist er zum Pazifisten geworden. Zu meinem Schulanfang war er wahrscheinlich derjenige Pazifist weltweit, der am besten mit langläufigen Schusswaffen umgehen konnte. Aber ich könnte heute noch schwören, dass Großvater nach dem letzten von ihm abgegebenen Schuss leise „Scheiß Wehrmacht“ und dann noch „Scheiß Piefke“ gemurmelt hat. Kein Wunder, er ist eigentlich immer ein Freund klarer Worte gewesen. In kaum knietiefen Wasser verlandete der Goggitscher Badeteich gegen seinen dichten, langgezogenen Schilfgürtel zu. Dort pflegten sich an einer Stelle, die man kennen musste, riesige Karpfen zu sonnen, riesig aus der Sicht eines Acht- oder Neunjährigen. Ihre Schuppen glänzten grün- und rotgolden in der Untiefe. Immer wieder schwamm ich von der Mitte des Teiches, vom tieferen Wasser ganz langsam an sie heran. Kurz bevor mein Bauch und meine Knie den schlammigen Grund streiften, sprang ich auf und patschte mit breiten, kräftigen Schritten so schnell ich konnte auf die Stelle mit den sich baatzenden Fischen zu. Heija, da kam Bewegung in das Flachwasser, die panischen Karpfen versuchten November 2018 51