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mit aller Muskelkraft von dort, von mir wegzukommen, und ich hätte doch so gerne eines der für mich geheimnisvollen Tiere mit beiden Händen ergriffen und geküsst (vielleicht wäre dabei ja eine Prinzessin für mich herausgesprungen). Aber meine aufgeregten Kinder-Pratzen griffen nur in das aufgewühlte, spritzende Element. Siebenunddreißig Mal gelang es den chillenden Karpfen, mir zu entkommen, beim achtunddtreißigsten Versuch hatte ich plötzlich ein sich heftig windendes Prachtexemplar von Cyprinus carpio in meinen Händen — und warf es vor lauter Aufregung in hohem Bogen über meinen Kopf nach hinten in den Teich zurück. „Bravo, das könnte ein neuer Sport werden, den du da kreiert hast. Jedenfalls in der Gegend.“ Hinter mir war der Mann, der einst in seiner Küche Salti gesprungen war, herangeschwommen und begann dann, mir den Begriff Tierquälerei zu erklären. „Meinst du wirklich, Opa?“ Schließlich willigte ich ein, zum Bootshaus zurückzuschwimmen und dort hinter dem Imbiss-Stand ein paar Runden RussischKegeln mit ihm zu spielen. Das war übrigens neben ein bisschen Schwimmen der einzige Sport, den er zu der Zeit noch ausübte. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Mär von meinem ersten Rennsieg Das Seltsame an meinen ersten Rennwagen war, dass er keinen Motor hatte. Mein Großvater meinte, dass die Hangabtriebskraft vollauf ausreichen werde, was ich schließlich nolens volens akzeptierte. Zur Holz-Karosserie meines Rennautos hatte ich ehrlich gesagt ebensowenig Vertrauen, auch wenn sie wunderbar ferrarirot lackiert war. Das Fahrgestell stammte von einem ausrangierten Kinderwagen. Aber mein Großvater, dachte ich letztlich, wird schon gewusst haben, was er da tat, als er das Ding zusammengebaut hat. Meine Großmutter hatte den hölzernen Pilotensitz mit einem Spitzendeckerl gepolstert. Ich genierte mich ein wenig dafür und bemühte mich, die peinlichen Spitzen mit meinem Hinterteil rasch und vollständig zu bedecken. Nur gut, dass es ein Heimrennen war. Die circa hundert Meter kurze Strecke führte einen Hügel hinunter, an dessen Basis das Haus meiner Großeltern lag. Dort wurde auch per Hand die Zeit genommen. Meinen ersten Vorlauf, daran kann ich mich noch gut erinnern, bestritt ich gegen einen blassen Buben mit einem voluminösen, unwahrscheinlich rotem Lockenkopf, der schon beim Start sehr nervös schien. Am Fuß des Hügels weiteten sich bei rund 50 Km/h seine Augen und er erbrach in sein Cockpit. Ich war wahrscheinlich eineinhalb Mal so schwer wie er (und sein Mageninhalt) und schlug ihn um vier, fünf Meter. Auch meine restlichen Läufe gewann ich allesamt überlegen. Die gute Küche meiner Mutter und Großmutter mit Schweinsbraten und Waldviertler Knödel, mit Augsburger und Petersilkartoffel, Rindsroulade und Semmelknödel, Selchroller und Serviettenknödel, Cordon Bleu und Eiernockerl, Fiakergulasch und Geschnetzeltem machte sich halt bezahlt. Ich hatte immer darunter gelitten, ein dickliches Kind zu sein. Beim Seifenkistenrennen aber war das plötzlich kein Nachteil mehr. Sämtliche Laufbestzeiten des Tages wurden von mir aufgestellt. Am Ende konnte ich mit Juan Manuel Fangio sagen: Das Auto war so gut, ich brauchte nur zu lenken. 52 ZWISCHENWELT Das tapfere Schneiderlein „Spring da nicht runter, Reichelt“, sagt der sprechende Zauberspiegel. „Ich bin Fallschirmspringer und meine Erfindung ist längst überfällig“, antwortet Franz Reichelt patzig. Der 4. Februar 1912, ein Sonntag, ist ein kalter Wintertag mit geringen Minusgraden. Rund um den Eiffelturm hat sich frühmorgens eine beachtliche Menschenmenge versammelt. Der Aero Club de France hat 10.000 Franc ausgelobt. Für den Konstrukteur des ersten zusammenfaltbaren Leicht-Fallschirmes, der diesen auch höchstpersönlich ausprobiert. Franz Reichelt ist Wahl-Pariser, dreiunddreißig Jahre alt und Schneider mit Migrationshintergrund. Ein sehr guter Schneider. Aus Österreich. Eigentlich aus dem Sudetenland. Die französischen Medien, denen er seinen Jungfern-Sprung, ja -Flug angekündigt hat, nennen ihn etwas despektierlich „das fliegende Schneiderlein“. Er selbst sicht sich cher als kraftvoller Sportsmann, genialer Erfinder und Vogelmensch. Unter der Menschenmenge rund um den Eiffelturm ist auch der Hilfsteufel Niedermühlbichler. Er ist Teil eines höllischen Komplotts zur Ermordung des Erbprinzen von Lusitanien, der sich gerne bei großen Sportveranstaltungen zeigt, und hat sich folgerichtig als rumänischer Anarchist verkleidet. Von Q — der sich übrigens freiwillig in die Hölle gemeldet hat, weil es dort, wie er sagt, für einen wie ihn mehr zu tun gibt — hat er einen riesigen Trommelrevolver erhalten, den er mühselig in einem mitgeführten Ranzen verstaut hat. 37 Sekunden wird er in etwa brauchen, um seine Waffe gegen das Mitglied des europäischen Hochadels in Anschlag zu bringen. Dafür hat das altertümliche Ding - so Q - ein Mordstrumm Kaliber. Was der Hilfsteufel Niedermühlbichler allerdings nicht weiß, ist, dass sich der Prinz von Lusitanien eine gewiefte Gegenstrategie hat einfallen lassen, um einem möglichen Attentat vorzubeugen. Völlig inkognito, verkleidet nämlich als italienischer Anarchist wird der Angehörige des europäischen Hochadels dem Spektakel rund um den Eiffelturm beiwohnen. „Spring da nicht runter, Reichelt“, wiederholt der sprechende Zauberspiegel. „Als Sportsmann will ich den Sprung ohne Betrug wagen, um der Welt den Wert meiner Erfindung ein für allemal darzulegen“, antwortet Franz Reichelt und zerschlägt den sprechenden Zauberspiegel am Kopf eines unsportlichen Zweiflers. Es ist noch immer Sonntag, der 4. Februar 1912. Der Boden unter dem Eiffelturm ist gefroren, aber das fliegende Schneiderlein schwitzt, als es mit seinem fast 10 Kilogramm schweren Eigenbau-Fallschirm die zahlreichen Stufen zur ersten Aussichtsplattform des Eiffelturms hochsteigt. Inzwischen wird der Prinz von Lusitanien von zwei Wachtmeistern der Pariser Stadtpolizei arretiert und abgeführt. Gerade auf italienische Anarchisten hat man in diesen Tagen bei der Sürete ein verstärktes Augenmerk. Niedermühlbichler und der Lusitanier giften sich, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Wenn man aus Wegstädi ist... Wegstädtl. Während des Dreißigjährigen Kriegs mehrmals verheert. Im Siebenjährigen Krieg fast permanent Kampfplatz zwischen österreichischen und preußischen Truppenteilen. Zwischen 1716 und 1851 dreimal abgebrannt. Dazu noch die eine oder andere Choleraepidemie und die ewig