OCR
als ein lang hier lebendes Biindell das sich nicht öffnen! und! nicht entfalten darf Über die Jenischen informiert eine von Romedius Mungenast verfasste Einleitung. Und von ihm finden sich auch gut zwanzig Gedichte in Jenisch und Deutsch in der Anthologie — neben anderen jenischen Dichterinnen wie Simone Schönett oder Sieglinde Schauer-Glatz und Dichtern wie Günter Danzer oder dem legendären Peter Vonstadl, über den Felix Mitterer schrieb, er sei zwar ganz Einheimischer aber dabei ganz Fremder zugleich, der die Leiden seiner Vorfahren mit sich herumtrage und darüber fast krank geworden sei und ein Weiser zugleich. Es ist leider unmöglich, alle Schriftstellerinnen und Schriftsteller dieses Buches vorzustellen — weder mit ihren Texten noch mit ihren Biografien, wie sie sich für die meisten im Buch vertretenen, bestens recherchiert, finden. Sie sind so verschieden, wie die Lebenswege der Menschen eben verschieden sind: oft „typisch“; genauso oft eher das Gegenteil davon, — was immer das bedeuten mag -— und was jeder Leser selbst für sich herausfinden soll. Um wenigstens ein Beispiel zu geben, sei eine Lebensbeschreibung angeführt, die in ihrer Besonderheit doch sehr viel „Bezeichnendes“ enthält, und zwar die der inzwischen bekannten und mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichneten Dichterin Mariella Mehr, von der Romane wie „Steinzeit“ (1981) und „Angeklagt“ (2002), Gedichtbände wie „Widerwelten“ (2001) und „Das Sternbild des Wolfes“ (2003) weite Verbreitung und Anerkennung gefunden haben. Ihr Biogramm liest sich so: Geboren 1947 in Zürich, wurde als Angehörige der Jenischen Opfer des schweizerischen „Hilfswerks für die Kinder der Landstraße“, einem Projekt der Stiftung „Pro Juventute“, das ‚fahrenden‘ Eltern ihre Kinder fortnahm und in Kinderheime und Erziehungsanstalten steckte. Dort und in weiteren schrecklichen Einrichtungen erfuhr Mariella Mehr unvorstellbare Traumatisierungen, die schwerwiegende gesundheitliche Spuren an der Künstlerin hinterließen. 1975 trat sie an die Öffentlichkeit, zunächst journalistisch. Doch bald begann sie, ihre Biographie auch schrifistellerisch aufzuarbeiten. [...] Sie selbst sieht sich in erster Linie als RomaSchriftstellerin und ist Mitglied der „International Romani Writers“. Heute lebt die Schrifistellerin in der Toskana. Wie und welche Gedichte aus all diesem „Unsäglichen“ entstehen können, lässt sich gleich darauf nachlesen. Neben unfassbarem menschlichem Leid bedeutete die NS-Diktatur auch einen großen Einschnitt für eine an Humanität und Menschenwürde orientierte kulturelle Entwicklung in Europa. Neben die Vernichtung von Menschenleben trat auch die Vernichtung von Geist und Ideen. Die Verfolgung politisch anders Denkender begann mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Binnen weniger Monate waren auch Zeitungen und Zeitschriften gleichgeschaltet, Schriftstellerinnen und Schriftsteller ins Exil gedrängt. Verlage gerieten unter Druck: Traf dies zunächst vor allem die der Arbeiterbewegung nahe stehende Häuser, so gerieten bald all diejenigen in Bedrängnis, die von den Nationalsozialisten als „undeutsch“ diffamierte AutorInnen verlegt hatten. Für die ins Ausland vertriebenen Literatinnen und Literaten war die Situation nicht einfach. Finanziell sehr unterschiedlich gestellt, konnten die wenigsten von ihrem Ersparten oder von ihren aktuellen Einnahmen auskömmlich leben. Hinzu kam mit zunehmender räumlicher Ausdehnung des Herrschaftsbereichs von NaziDeutschland eine immer weitere Einschränkung des Gebietes, in dem überhaupt noch deutschsprachige Bücher verkauft und gelesen wurden. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das deutsche Reich und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren fielen weitere Gebiete mit deutschsprachiger Bevölkerung bzw. deutschsprachigen Bevölkerungsanteilen aus, in die bis dahin noch eine erhebliche Anzahl an Schriften auch von ExilschriftstellerInnen geliefert worden waren. Mit Beginn des Krieges und der weiteren 62 _ ZWISCHENWELT Expansion Nazi-Deutschlands wurden zudem die Orte, an denen überhaupt sicheres Exil zu erlangen war, immer weniger. Im Exil bildeten sich trotz aller Hindernisse und Widrigkeiten dennoch zunächst neue Publikationsorte heraus. Während ein großer Teil der deutschsprachigen Emigration nach Prag und Paris ging, wurde auch Amsterdam zu einem Ort deutschsprachiger Publizistik. Neben dem bereits im Jahr 1933 gegründeten deutschsprachigen Zweig des „Querido Verlags“ war dies auch der Verlag Allert de Lange. Der Geschichte des Querido-Verlages, der Biographien seines holländisch-jüdischen Gründers Emanuel Querido und des Co-Eigentümers und Verlagsleiters Fritz Landshoff sowie der Entwicklung der Exilliteratur-Szene in Amsterdam widmet sich der vorliegende Band von Bettina Baltschev. Die Autorin macht sich auf, im heutigen Amsterdam nach Spuren der Verlagsgeschichte zu suchen. So fließen im weiteren Text immer wieder aktuelle Beobachtungen an den entsprechenden Orten mit Beschreibungen der historischen Begebenheiten und Hintergründe ineinander. Den „Prolog“ zum Buch lässt sie in einem Antiquariat beginnen, in dem sie sich auf die Suche nach Büchern des Querido-Verlages macht und dort aus einem breiten Angebot eine Ausgabe von „D-Zug dritter Klasse“ von Irmgard Keun ersteht. Die Ausgangsprämisse ihrer weiteren Suche formuliert sie wie folgt: „Ich möchte herausfinden, wo die Autoren und Verleger der Querido-Bücher in dieser Stadt gelebt, gearbeitet und gefeiert haben. Ich will verstehen, was diese Stadt ihnen bedeutet hat. War Amsterdam ein Es bleibt nur mehr, den Herausgebern, Gerald Kurdoglu Nitsche und Bruno Gitterle, zu diesem wirklich gelungenen Werk zu gratulieren und ihm viele Auflagen und eine große neugierige Leserschaft zu wünschen. Armin Eidherr Gerald Kurdoglu Nitsche, Bruno Gitterle (Hg.): Steine am Weg. Gedichte und Erzählungen der einst oder immer noch Fahrenden in Europa. Edelsteine, Juwelen von und für unterwegs. Pavee, Travellers in Irland, assistiert von Imelda Blassnig; Sdmi in Lappland, Skandinavien (Sammlung: Christine Schlosser); Roma und Sinti (Sammlung: Karin Faistnauer, Melitta Depner, Beate EderJordan, Beatrice Ungar, Wolftraud Schreiber) und Jenische in Europa. Fotografien: Chiara Civenti, Josef Huber, Eric Jones, Branko Lenart, Christine Schlosser, Kveta Schubert, Beatrice Ungar. Malereil Grafik: Antoine-Albert Richard, Olimpio „Mauso“ Cari, Ceija Stojka, Eva Maria Walch und aus Sammlungen: Hans Jäger, Martin Lauffenburger, Willi Pechtl, Josef Schwarz. Landeck: EYE Literatur der Wenigerheiten 2017. 210 S. (Am Herzen Europas, Bd. 10). Paradies, weil sie zumindest zeitweise vor den Nationalsozialisten sicher waren und ihre Bücher eine geistige Heimat fanden? Oder war es die Hölle, weil das Gefühl, verbannt zu sein, nicht zu wissen, was der nächste Tag bringt, ihr Leben beherrschte? Vermutlich wird es keine eindeutige Antwort geben, aber genau dieser Ambivalenz möchte ich nachspüren.“ Emanuel Querido, Nachfahre sephardischer Juden, gründete nach einer Reihe von beruflichen Fehlschlägen u.a. als Schriftsteller im Jahr 1915 den gleichnamigen Verlag. Ein erster größerer kommerzieller Erfolg gelang ihm im Jahr 1918 mit dem Roman „Het vuur“ („Das Feuer“) des französischen Autors Henri Barbusse. Nach der Machtiibertragung an die Nationalsozialisten in Deutschland entwickelte Querido den Plan, ein deutschsprachiges Programm in seinem Verlag aufzunehmen. Uber einen Mittelsmann nahm er dazu Kontakt mit Fritz Landshoff auf, Sozialdemokrat und Co-Verleger des bereits auf Grund seines Programms ins Visier der Nazis geratenen Verlags Gustav Kiepenheuer. Nach seinem ersten Treffen mit Querido reiste der gut vernetzte Landshoff noch im April 1933 nach Südfrankreich und in die Schweiz weiter und kehrte nach einer Woche mit Verlagsvertragen u.a. mit Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Anna Seghers nach Amsterdam zurück. Die Motivation Emanuel Queridos zur Gründung eines deutschsprachigen Zweiges seines Verlages sieht Baltschev nicht nur in idealistischen Gründen: Zwar habe der sich als Sozialist verstehende Querido auch aus seiner politischen Haltung heraus gehandelt. Daneben habe er aber auch