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darauf geachtet, dass sich das Verlagsprogramm rechne und von Landshoff auch eine finanzielle Beteiligung am verlegerischen Risiko verlangt. Einer der wichtigsten Autoren des Verlags wurde der zeitweilig auch in Amsterdam lebende Klaus Mann, dessen literarisches Zeitschriftenprojekt „Die Sammlung“ später große Ressourcen kosten sollte, ohne größeren publizistischen Erfolg zu erzielen. Einer der ersten Bestseller des Verlages sei im Jahr 1933 Heinrich Manns Essayband „Der Haß. Deutsche Zeitgeschichte“ geworden, von dem fast 8000 Exemplare abgesetzt worden seien. Neben Arbeiten von Heinrich Mann erschienen im ersten Jahr des Bestehens auch Ernst Tollers „Eine Jugend in Deutschland“ sowie Lion Feuchtwangers „Die Geschwister Oppenheim“. In den nächsten Jahren entstand ein Verlagsprogramm, in dem mehrere Dutzend Bände verlegt wurden, darunter auch Sachbücher wie beispielsweise die Hitlerbiographie von Rudolf Olden. Schwerpunkt aber blieb die Belletristik, zum Beispiel mit Klaus Manns „Mephisto“ und Anna Seghers „Die Rettung“. Mit dem deutschen Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 endete die Geschichte des Querido-Verlages zunächst. Während Fritz Landshoff kurz vorher geschäftlich nach England aufgebrochen war und dort in Sicherheit bleiben konnte, hatte sich Emanuel Querido nicht auf eine Emigration vorbereitet. Bis 1943 gelingt es ihm zeitweise untergetaucht zu überleben. Im Juli 1943 zusammen mit seiner Ehefrau Jane verhaftet, verliert sich ihre Spur unmittelbar nach der Ankunft im Konzentrationslager Sobibor. Neben Querido überlebten auch weitere Personen aus dem Verlagsumfeld die NS-Diktatur nicht. So nahm sich der Literaturkritiker Menno ter Braak, langjähriger Begleiter des Verlagsprojekts, am Tag des deutschen Einmarsches das Leben. Ein Versuch Landshoffs, das deutschsprachige Verlagsprogramm nach Kriegsende wieder zu beleben, scheiterte nach wenigen Jahren. Baltschevs Darstellung bewegt sich entlang der Orte in Amsterdam, die die Verlagsgeschichte reprasentieren. Das sind das Verlagsgebaude in der Keizersgracht, die Literatencafés und Pensionen der Exilanten, die Theater und Ausgehorte der Bohemé und auch der Ort der Sommerfrische Zandvoort an der Nordsee. So entsteht ein dichtes Panorama von LiteratInnen, KünstlerInnen und den Orten, die für sie in ihrem Exil wichtig waren. Zur Darstellung und Veranschaulichung So groß war der Schaden am Ende vielleicht doch nicht. Die Ich-Erzählerin hat am Ende des knappen Romans, irgendwann Anfang der 1960er Jahre, immerhin ihre erste Liebe (bei „Dieter“ handelte es sich in Wirklichkeit um den Lyriker Reinhard Priessnitz), man spielt oft Halma und liest Brecht, Enzensberger und Ionescu. Am Schallplattenteller liegen Gedichte, Qualtinger und Jazz. Man ist bürgerlich-intellektuell, jiidisch und kommunistisch, letzteres nur bis zur Niederschlagung des Ungarnaufstands. Claudia Erdheim hatte ihren literarischen Stil in ihrem 1984 erschienen Erstling, der nun im Czernin Verlag eine Neuauflage erlebt, bereits gefunden: Das zeigt der Blick auf die seither erschienenen zwölf weiteren Romane und Erzählungen, die ebenso von jener lakonischen, oft der Umgangssprache folgenden Ausdrucksform gekennzeichnet sind, mit der sie in „Bist du wahnsinnig geworden?“ die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit schildert. Von ihren anderen Werken sei besonders der 2006 erschienene Roman „Längst nicht mehr koscher“ erwähnt, der auch ins Polnische und Ukrainische übersetzt wurde. Darin behandelte Erdheim in gewisser Weise die Vorgeschichte des hier besprochenen Bandes: die Geschichte ihrer galizisch-stämmigen, unternehmerisch erfolgreichen Familie (mütterlicherseits), von der sich einige Mitglieder vor 1900 in Wien niederließen. Im Fokus der Neuauflage steht hingegen die Beziehung zur Mutter, der Psychoanalytikerin "Tea Genner-Erdheim. Der dominanten Alleinerzieherin zweier Töchter (neben der im Oktober 1945 geborenen Claudia gibt es die einige Jahre ältere Maria) stemmen sich dabei die unkommentierten Beobachtungen des Kindes entgegen, oft in Form der direkten Rede der Mutter. Dem Leser bietet sich ein Blick durch das Schlüsselloch in die Wohnung der Familie, in der die Patienten der Mutter ein- und ausgehen. Es ist gerade das Spannungsfeld zwischen Berufs- und Privatleben, das vordergriindig eine Menge zutiefst komischer Momente zu Tage fördert. So erweist sich so mancher souverän vorgetragener Lehrsatz der „Göttin“, die von sich selbst behauptet, über „eine hohe Sublimationsfähigkeit“ zu verfügen, im Privalleben als nutzlos: Eigene Phobien werden entweder so lange es geht ignoriert (etwa im Fall der toten Vögel auf der Veranda) oder aber hysterisch den Mitmenschen umgebunden: So muss die ansonsten gern gescholtene Hausmeisterin schon mal mitten in der Nacht imaginierte Einbrecher verscheuchen: „Na schaun wir halt noch im Garten, aber da is auch sicher niemand, beruhigt die Hausmeisterin meine Mutter; war die einmal Irrenwärterin? Die Herrschaften glauben manchmal so komische Sachen.“ Der Umgangston mit Mitmenschen geringeren Standes zählte nicht zu den Stärken der standesbewussten Mutter: Kommunistische Einstellung hin oder her, einfache Bewohner des Zinshauses, das Genner-Erdheim gehörte, werden als „Pofel“ abgetan, der möglichst zu meiden sei. Das Vorführen derartiger Schattenseiten zählt zu den Vorziigen des Erdheim’schen Gesamtwerks, das nichts beschönigt und niemanden verschont. Im Jahr 1984 (die Mutter nutzt sie Briefe und andere Selbstzeugnisse der Akteure, aber auch deren literarischen Texte selbst. Der Autorin gelingt es, den zeitgeschichtlichen Hintergrund angemessen und sachgerecht in ihr spannendes und anregendes Darstellungskonzept zu integrieren. Bei aller offensichtlichen Freude an der Imagination, wie wohl die eine oder andere Begegnung der Akteure abgelaufen sein mag, gleitet die Darstellung nie ins Plauderhafte oder Klischeehafte ab. Ergebnis ist ein Buch, das sowohl Respekt vor den Belastungen und Anstrengungen des Exils und vor den Hoffnungen und Angsten der vorgestellten Protagonistinnen und Protagonisten ausdriickt, zugleich aber auch persönliche Auseinandersetzungen und Ambivalenzen im Verhalten nicht ausspart. Bettina Baltschev leistet so einen lesenswerten und wichtigen Beitrag zur Erinnerung an den kulturellen Verlust, den die Nazi-Diktatur für Europa bedeutete. Thilo Scholle Bettina Baltschev: Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur. Berlin: Berenberg Verlag 2016. 167 S. € 22,war sieben Jahre zuvor gestorben) wurde das von manchen Rezipienten im (psychoanalytischen) Bekanntenkreis durchaus kritisch gesehen. Auf den Mund gefallen ist die kindliche Stimme des Buches nicht: Der Mutter wurde Paroli geboten, so etwa durch die Schaffung des zweifelhaften Kosenamens: „Später sagen wir Grandy zu ihr; das hab ich mir ausgedacht; sie könnte ja meine Großmutter sein; die Leute glauben das ch meistens; gern hört sie das nicht; aber alle sagen jetzt Grandy zu ihr.“ Der historische Kontext ist bei alldem nicht zu vergessen: Die „Halbjüdin“ Tea Erdheim hatte die NS-Herrschaft nur knapp und mit einer Portion Glück körperlich unbeschadet überstanden: Der jüdische Vater erfuhr durch den Umstand, dass die Tochter in Wien blieb, einen gewissen Schutz vor der Deportation. Teastand unter enormem Druck, der sich tief eingebrannt haben muss: Politisch heikel war nämlich ihre Beziehung mit dem (von 1938 bis 1940 inhaftierten) Kommunisten Laurenz Genner, der nach Kriegsende KP-Unterstaatssekretär wurde. Und tatsächlich konnte Tea Ende 1944 die neuerliche, bereits eingeleitete Verhaftung Genners nur mittels der Verabreichung einer hohen Dosis Luminal abwenden. Es folgte die Flucht ins Wiener Umland (Kriegs-Episoden werden im Buch nur angedeutet). Nach Kriegsende trennte sich das Paar bald, Laurenz Genner konzenwierte sich auf seine politische Tätigkeit. Die Mutter verbot den Töchtern den Kontakt zum Vater kategorisch („Wenn ihr zum Vater geht, braucht ihr nicht mehr wiederzukommen.“). Die Aufgabe der Kindeserziehung lag allein bei November 2018 63