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Sabine Bergler beschreibt in einem gerafften Abriss die Exil-Salons, von Marie-Louise von Motesiczky in Großbritannien, Stella Kadmon, Nadja Taussig, Else Lasker-Schüler und Anna Ticho in Israel, Ernst Römer in Mexiko bis zu Eric und Gertrude Zeisl, Salka Viertel, Mimi Grossberg und Gaby Glückselig in den USA. Im Nebenzimmer ist eine kleine Ausstellung über Teddy Kollek zu schen. Anlass der im Mai eröffneten Schau und eines Symposions in Zusammenarbeit mit der Moses Mendelssohn Stiftung war die Eröffnung des Smartment Business Hauses am Wiener Hauptbahnhof, das nach Kollek benannt wurde, und die Verleihung der Moses Mendelssohn-Medaille an die beiden Kinder Teddy Kolleks, dier Malerin Osnat Kollek und den Filmemacher Amos Kollek, der allerdings nicht anwesend war. „Stahlrosen zur Nacht“ Dine Petrik, 1942 in einem burgenlandischen Dorf als Tochter eines Musikers geboren, schreibt sich in ihrem autobiographischen Roman „Stahlrosen zur Nacht“ furchtlos in und durch die harte Kindheit eines Mädchens, einer Nachzüglerin, den erwachsenen Brüdern hintangestellt, voller Sehnsucht nach dem Vater, von Kinderarbeit geschunden. Die Autorin beginnt mit ihren Albtraumen, dem zuckenden Kinn des alten Nachbarn, der als Untoter begraben wird, klaubt die Sprachsplitter ihrer Kindheit zusammen, stellt sich den Illusionen über den als Retter aus der Leibeigenschaft ihrer Mutter fantasierten Vater. Die Brüder bleiben ihr fremd, der eine, bei der SS, kommt nie aus dem Krieg zurück, der andere, in den letzten Kriegstagen desertiert, zerbricht an der Häme im Wirtshaus, seinem ihm einzig in den Sinn gekommenen Zufluchtsort. Die Mutter hält den Rest ihrer verlorenen Welt, ihrer verlorenen Adelung durch Mann und Söhne, in unnahbarer Härte zusammen. Petrik schreibe, so der Titel einer öl-Rezension, „im Sog ihrer Kindheit“. Das sehe ich nicht so. Zweifellos war die Autorin beim Schreiben in keinem Sog, sondern hat mit sorgsam zerstückelter Sprache einen Pfad gelegt, dafür recherchiert, nachgedacht, sich selbst ermächtigt, sich dem vom Schweigen umgebenen Kind genähert, das keine Worte erhielt für das, was es fühlte, dem beigebracht wurde, dass keine Fragen zu stellen sind. Vermisst, heifSt das gefallen, Mutter? Iss fertig! Für ihre „Strophen eines Romans“ spricht Petrik nicht nur mit Familienmitgliedern und Menschen, die etwas gewusst haben könnten — aber mitunter nicht reden wollen -, sie sucht auch die Töchter von Josef Sirowatka auf, der in ihrem Dorf lebte. Der Gendarm Sirowatka war ein Aufdecker, ein Mann des Rechts, ermittelte in Rechnitz, Causa Kreuzstadel, machte sich unbeliebt. Zwei Mal wurde er ins Ministerium 70 ZWISCHENWELT Im Begleitbuch beschreibt Elke-Vera Kotowski, die bei Hentrich und Hentrich auch eine jüdische Miniatur über Kollek publiziert hat, viele Details aus der Familiengeschichte von Kollek und seiner späteren Frau Anna Helena (Tamar) Schwarz, der Tochter des Wiener Rabbiners Arthur Zacharias Schwarz. Neben bisher unveröffentlichten Familienfotos ist auch eine Postkarte mit einem wunderschönen Bild mit dem Titel „Die Glutäugige“ abgebildet. Modell dafür stand Tamars Mutter Alice Pappenheim. Dies schickte sich jedoch nicht, sodass Arthur Zacharias Schwarz vor der Hochzeit diese Karte aufkaufte; nur ein Exemplar hat sich erhalten. Daniela Pscheiden ergänzt Details aus der Vertreibung und Verfolgung der Familie Schwarz in der NS-Zeit, Abraham Rabinovich widmet sich Kolleks Karriere in Jerusalem. zitiert, musste den Fall abgeben. Bis heute ist das Massengrab der Ende März 1945 über 180 erschossenen ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter unentdeckt, wiewohl „man“ bis Anfang der Fünfzigerjahre Bescheid wusste. 1948 sind zwei aussagewillige Zeugen ermordet worden. Wer sich auf die Wort- und Satzscherben einlässt, die sich nach und nach zu einem Mosaik fügen, auf die, analog zur Selbstermächtigung, schrittweise sich bildenden Sätze, gerät vielleicht auf Anhieb in einen Sog, gewiss aber bei der nochmaligen Lektüre. Mit Beklemmung wird man gewahr, wie fortwirkte, was davor Gültigkeit hatte, die abgrundtiefe Verachtung von Deserteuren, die Brutalität und Gleichgültigkeit gegenüber Schwächeren und „Fremden“, fremd in welcher Weise auch immer. „Ich lebe wie in einer Hölle. Ich ertrage die Schmerzen nicht mehr“, wird im Abschiedsbrief des Bruders stehen. Das Seelenrückgrat gebrochen. Das Kind sieht und sieht, dass die anderen sehen und nicht sehen. Ihr Schulkamerad wird Jahre später an der Untätigkeit des Mainstream der Dorfbewohner zerbrechen. Wohl gibt es sie, die Gegenstimmen, und sie beginnen in ihrer Erinnerung zu leuchten, die Tante aus Lemberg, die die Ängste des verstummten Kindes benennt und dem Mädchen Mut macht, die späteren Einflüsse von Künsldern, die ungeschönte Wahrheit der Cousine. Ihr Vater-Bild, fantasiert wie jenes von Waisenkindern, zerbricht. Schlimmer noch: Er ist ihr erspart geblieben, wie ihre Cousine sagt. Der Vater, ein Nazi, eingesetzt in Wiener Neustadt im Außenlager des KZ Mauthausen, an den Endsieg glaubend, war drauf und dran, seinen Sohn, den Deserteur, auszuliefern. Die Mutter bleibt in ihrer Härte, ihrer Arbeitswut und impliziten Verachtung des eigenen Geschlechts bis zum Schluss ein Rätsel. Schade, dass Petrik nicht den Mut zu einem schmalen Büchlein hatte und es nicht an dieser Stelle enden ließ. Denn der weniger Marcus G. Patka beschreibt den Besuch Oskar Kokoschkas bei Teddy Kollek in Jerusalem, Werner Hanak beleuchtet Kolleks Rolle bei der Entstehung des Wiener jüdischen Museums. E.A. The Place to Be. Salons als Orte der Emanzipation. Salons — Places of Emancipation. Hg. von Werner Hanak, Astrid Peterle und Danielle Spera. Wien: Amalthea 2018. 215 5. € 29,95 Verfolgt, verlobt, verheiratet. Scheinehen ins Exil. Persecuted. Engaged. Married. Marriages of convenience in exile. Hg. von Sabine Bergler und Irene Messinger. Wien: Eigenverlag 2018. 146 S. € 14,90 Marcus G. Patka, Elke-Vera Kotowski (Hg.): Teddy Kollek: Der Wiener Bürgermeister von Jerusalem. The Viennese Mayor of Jerusalem. Wien: Eigenverlag 2018. 105 S. € 14,90 umfangreiche zweite Teil der Erzählung, eine Beziehungsgeschichte, wirkt wie eine Reset-Taste. Dessen ungeachtet ist „Stahlrosen zur Nacht“ ein eindringliches Buch, das zeigt, wie sehr die Rehumanisierung nach dem Tausendjährigen Reich, in dem das Verbrechen zur Staatspflicht erklärt war, Not tut, sich nicht von alleine tut, noch immer zu tun ist. Und es zeigt, dass es allemal besser ist, Löcher in die Mauern des Schweigens zu fragen, zu denken, zu reden, zu schreiben, auch wenn dies zu schmerzhaften Erschütterungen führt, als in der Zwangsjacke des Schweigens zu verharren, was bedeutet, sie weiterzugeben. Sonja Pleßl Dine Petrik: Stahlrosen zur Nacht. Strophen eines Romans. Mit einem Nachwort von Daniel Wisser. Wien: Bibliothek der Provinz 2018. 161 5. € 18,