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an dem die bei einem Einbruch erwischten „Kriminellen“ zum legitimen (wenn auch harten) Strafvollzug eingewiesen werden; das KZ als Ort, an dem Immer-schon-Kriminelle als Kapos ihren Sadismus ausleben und ihre Halsstichmethode verfeinern, um nach Lust und Laune zu töten, wenn sie etwa im Russenblock „Neißig wildern“ (S. 66) wollen. Mauthausen verkommt hier zur Bühne, zum bloßen Setting, willkürlich gewählt; mit der Entwicklung der Charaktere hat das KZ - entgegen aller im Klappentext gemachten Versprechungen -— eben gerade nichts zu tun: Denn die Seelen der immer-schon-kriminellen Unterweltler werden in Mauthausen nicht „zerstört“, wie der Klappentext behauptet, sondern, wie der Fließtext glauben macht, maximal vervollkommnet und „fertig“ (S. 275). Man fragt sich, was Mauthausen eigentlich genau mit der aufgetischten Geschichte zu tun hat. Schalko muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass Mauthausen in seinem Roman im luftig-lockeren Unterweltjargon nur instrumentalisiert wird. Der NS-Terror ist ein willkürlicher und meist abwesender Rahmen, nicht handlungsleitende Bedingung — pathologisch kriminelle Kapos handeln auf eigene Faust, aus eigenem Antrieb, die SS bleibt (mit einer dubiosen Ausnahme) unsichtbar. Damit reiht sich der Roman aber in ein KZ-Roman-Genre ein, dem man nicht weniger als die Banalisierung des Bésen attestieren muss — ein Genre, das zuletzt auch das in Frankreich unverständlicherweise gefeierte Werk des Autors Regis Jauffret, Claustria, gepflegt hat. In diesem voyeuristischen Fritzl-Roman entdeckt der Autor die (für drei Wochen tatsächlich belegbare) Inhaftierung von Fritzls Mutter im KZ Mauthausen.’ Mauthausen verkommt in diesen neuen Kitsch- und Klischee-Romanen zur idealen Projektionsfläche — für die literarische Verarbeitung postnazistischer Mythenbildung ebenso wie für Hexenmythen... Beide hier besprochenen Bücher stehen für eine Art der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, die vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen wäre. Beide haben mit dem vielbeschworenen Wendepunkt nach dem Ableben der Zeitzeuginnen- und Zeitzeugengeneration zu tun. Die Überlebendenverbände, die sich in der postnationalsozialistischen Gesellschaft Österreichs selbst in der Defensive befanden, hatten die Geschichten der „Zigeuner“, „Asozialen“ und „Kriminellen“ unter den KZ-Häftlingen tatsächlich nachhaltig tabuisiert. Gegen ihre Erzählungen anzuschreiben, etwa indem die Geschichten von „kriminellen“ und „asozialen“ KZ-Häftlingen zur Diskussion gestellt wurden, war schwierig. Angesichts dessen, dass sie von der Nachkriegsjustiz härter angepackt wurden als SS-Angehörige, dass ihre Haftzeiten im Unterschied zum Dienst in der SS nicht als Beitragszeiten für die Pensionsversicherung angerechnet wurden, dass ihnen die offizielle Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus behördlich verweigert wurde und dass sie und ihre Familien im österreichischen Opferdiskurs kein Narrativ vorfanden, um ihre Geschichten überhaupt erzählen zu können, wäre ein echter Tabubruch wahrlich notwendig gewesen. Gerade weil diesen stigmatisierten Opfergruppen in einem einzigen Generalverdacht in der Nachkriegszeit die Anerkennung als Opfer verwehrt blieb, müssen ihre Geschichten heute endlich erzählt werden. Die Frage ist nur, wie das geschieht: Wird der Komplexität der Geschichte, wie in Freitags Buch, Rechnung getragen, werden Ambivalenzen und Unbequemes ohne den Gestus der nachträglichen Bewertung thematisiert — oder wird, wie in Schalkos Fall, die Uneindeutigkeit zur Eindeutigkeit reduziert, werden vorgefertigte Mythen ungeniert weitertransportiert? 20 ZWISCHENWELT Manchmal fragt man sich, was wohl mancher Überlebender zu diesen Entwicklungen gesagt hätte. Etwa Hans Marsälck, der den Klassiker unter den Geschichten des KZ Mauthausen verfasst hat.? Seine Standpunkte waren oft unkonventioneller, als seine Rolle als kommunistischer „Lagerschreiber“ vermuten lässt. Zum eingangs geschilderten Fall Josef Schöps befragt, belastete er den Beschuldigten zunächst schwer und gab zu Protokoll, selbst mehrmals Zeuge von grausamen Ermordungen sowjetischer Kriegsgefangener geworden zu sein. Angesichts dessen, dass die meisten anderen Belastungszeugen als Vorbestrafte offenbar selbst der Anklage unglaubwürdig erschienen, sei Mar$äleks Aussage, so die Staatsanwaltschaft, von zentraler Bedeutung. Doch dieser Zeuge erschien nicht vor Gericht und ließ sich auch nicht zu einer eidesstättigen Erklärung überreden. Erst ein ehemaliger Mithäftling legte dem Gericht MarSäleks Begründung dafür dar, dem Prozess fernzubleiben: So lange auch nur ein SS-Angehöriger frei herumlaufe, habe er ihm telefonisch mitgeteilt, gehe er nicht zu einem Prozess gegen einen Häftling. Diese einfache, aber beeindruckende Haltung mag verdeutlichen, dass es abseits jedes Tabus und hinter aller Ambivalenz fundamentale Wahrheiten über die Konzentrationslager gibt: nämlich, dass die einen freiwillig bewachten und die anderen unfreiwillig inhaftiert, gequält und getötet wurden. Das Ableben der Zeitzeuginnen- und Zeitzeugengeneration öffnet tatsächlich Möglichkeiten, über Tabuisiertes zu sprechen und zu schreiben, ohne (wie noch vor wenigen Jahrzehnten) neben der moralischen mit der juristischen Anklage rechnen zu müssen. Es bedeutet gleichzeitig aber auch das Fehlen einer moralischen Grundinstanz, die dafür Sorge trug, dass Debatten über Konzentrationslager nicht hinter grundlegende und mühsam erkämpfte gesellschaftliche Einsichten zurückfielen. Und das ist ein Problem. Denn was als Tabubruch daherkommt, ist oft nicht mehr als eine Grenziiberschreitung, die die Konzentrationslager gedankenlos verwendet. Wolfgang Freitag: Der Fall Karl Horvath. Ein Loipersdorfer ,,Zigeuner“ vor dem Linzer Volksgericht. Wien: Mandelbaum 2018. 126 S. € 15,00 David Schalko: Schwere Knochen. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2018. 576 5. € 19,99 Andreas Kranebitter, geb. 1982 in Wien, Soziologe und Politikwissenschaftler, ist Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Wien, seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2017 Leiter der Forschungsstelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Er setzt sich seit Jahren mit dem Schicksal vergessener Opfergruppen nationalsozialistischer Konzentrationslager auseinander. E-Mail: andreas. kranebitter@mauthausen-memorial.org Anmerkungen 1 Die Details zum Fall Schöps sind dessen Beschuldigtenvernehmungen im Verfahren vor dem LG Kempten entnommen - vgl. Staatsarchiv Augsburg, StA Kempten, KS 4/195. 2 Vgl. dazu allg. Andreas Kranebitter, Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des KZ Mauthausen, Mauthausen-Studien, Band 9, Wien 2015, S. 116f. 3 Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938, Göttingen 2017, S. 30. 4 Vgl. Sylvia Köchl, „Das Bedürfnis nach gerechter Sühne“. Wege von „Berufsverbrecherinnen“ in das Konzentrationslager Ravensbrück, Wien 2016.