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zu einem Fremden zwar nicht beweisen, „jedoch wäre ihr dies aufgrund ihres damaligen Verhaltens zuzumuten.“” Maria Etzer beließ es übrigens nicht allein beim gemeinsamen Mittagstisch mit den ihr zugeteilten „FremdarbeiterInnen“. Nach Erinnerung der Verwandtschaft?! ermöglichte sie den Kriegsgefangenen der Umgebung sonntägliche Treffen auf ihrem Hof, was im Sinne der Gelegenheit zu Konspiration in jedem Fall als „politischer Widerstand“ zu deuten gewesen wäre, aber nicht Eingang in ihr Sondergerichtsurteil fand und daher auch als Argument im Opferfürsorgeverfahren nicht aufscheint. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass statt Wiedergutmachung von Seiten der Republik in den Angelegenheiten der Opferfürsorge häufig ein „Kleinkrieg gegen die Opfer“”” stattfand. „Die überlebenden Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ... trafen nach der Befreiung nicht, wie erhofft, aufeine wohlwollende Umgebung, sondern stießen oft gegen eine unsichtbare Mauer des Unverständnisses für ihre besondere Situation, nicht selten auch aufein von den in den Jahren zuvor geschürten Vorurteilen und Lügen vergiftetes Klima.“ Was die Frauen betraf, die wegen „verbotenen Umgangs“ bzw. „Geschlechtsverkehrsverbrechen“ verfolgt wurden, erlitten sie als Antragstellerinnen eine ,, Verdopplung“ der Diffamierung™, zuerst in der NS-Zeit, dann in der Zweiten Republik: — Die Verfolgung von Personen, die wahrend der NS-Herrschaft verbotenen Umgang mit „Fremden“ pflegten, wird in der Regel nicht als „politisch“ im Sinne des Opferfürsorgegesetzes (OFG) anerkannt. — Mit dem Hinweis auf eine mutmaßlich rein „persönliche“ Motivation zur Tat lehnt die Behörde den Großteil der untersuchten OF-Anträge ab. — Was den Kontakt betrifft, wird auch nach 1945 quasi selbstverständlich von sexuellen Beziehungen ausgegangen, auch wenn keine Beweismittel dafür vorliegen. — In Inhalt und Sprache setzt sich eine Diskriminierung fort, weil und insofern es eine Kontinuität der Personen während und nach dem Nationalsozialismus gibt: medizinische Gutachter, Zuchthauspersonal, Juristen etc. — Wenn eine Frau einen „liederlichen Lebenswandel“ führt oder, wie im Beispiel oben, auch nur zweimal geschieden ist, wird das zu ihren Ungunsten ausgelegt; eine Vorstrafe verwirkt überhaupt jeglichen Anspruch auf Opferfürsorge. Nur die „gute“ Frau kann also ein Opfer von Verfolgung gewesen sein — so wirken traditionell patriarchale Frauenbilder, in der NS-Zeit noch zugespitzt, im Nachkriegsösterreich bruchlos weiter. Es fällt auch die kurze Lebensdauer der betroffenen Frauen auf: 62 Jahre (Veronika P.), 65 Jahre (Anna H.), 70 Jahre (Maria Etzer). Langwierige Verfahren und Verzögerungen „hatten schwerwiegende Folgen fiir die potentiellen Anspruchswerber. Der Kreis der Opfer [hier gemeint: alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, M.P.W.] wies auch nach der Befreiung noch eine überdurchschnittlich hohe Sterblichkeitsrate auf, so daß für viele von ihnen die Maßnahmen schlicht zu spät kamen.“ Der Konnex von Opferfürsorge und Widerstand: aktive und passive Opfer Die Problematik des OFG ist in der Literatur ausführlich dargelegt worden?°. Ich nenne nur die wichtigsten Eckpunkte. — DasOFG war als eine Fürsorgemaßnahme gedacht, nicht als „Wiedergutmachung“ (das Land Österreich betrachtete sich lange Zeit selbst als Opfer des Nationalsozialismus) und beinhaltete ursprünglich auch keine Grundlage für Entschädigungsleistungen. — Die Maßnahmen waren bescheiden, Rentenunterstützung wurde nur gewährt, wenn der Lebensunterhalt der Opfer bzw. der Hinterbliebenen nicht ausreichend gesichert war. — Nach der ersten Novellierung von 1947 (OFG 47) waren zwei Kategorien von Opfern vorgesehen: die „aktive“ Opfergruppe — laut Gesetzestext Menschen, die „um ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewußtes Österreich, insbesondere gegen die Ideen und Ziele des Nationalsozialismus, mit der Waffe in der Hand gekämpft oder sich rückhaltlos in Wort und Tat eingesetzt haben“, und die „passive“ Opfergruppe, nämlich „Opfer der politischen Verfolgung“ — was besonders auf Juden und Jüdinnen abzielte. Neben Gründen der Abstammung, Religion oder Nationalität werden hier u.a. auch Maßnahmen von Gerichten, Staatspolizei und NSDAP genannt, durch die Menschen in erheblichem Ausmaß zu Schaden gekommen sind: durch Verlust des Lebens, der Freiheit (mindestens dreimonatige Haft), schwere gesundheitliche Schäden, Verlust oder Minderung des Einkommens, Abbruch oder Unterbrechung der Lehre oder des Studiums. Dieser Definition zufolge ist rückblickend unverständlich, dass Frauen mit mehrjährigen Zuchthausstrafen (!), die wegen „Wehrkraftzersetzung“ als „Politische“ etikettiert und inhaftiert worden waren, nicht zumindest als „Opfer der politischen Verfolgung“ galten. — Nach positiver Beurteilung des OF-Antrags erhielten die „aktiven“ Opfer eine „Amtsbescheinigung“ und damit Zugang zu Rentenleistungen und Heilfürsorge; die „passiven“ Opfer erhielten den „Opferausweis“, der nur Steuererleichterungen und eine Begünstigung bei der Vergabe von Wohnungen oder Arbeitsstellen begründete. Februar 2019 23