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Das dahinterliegende Konzept des sogenannten aktiven, d.h. organisierten Widerstands war von Anfang an problematisch, denn man hätte eigentlich vom „ganzen Spektrum von Widerstand, Opposition und Unzufriedenheit, von Diskriminierung und Verfolgung“ ausgehen müssen: „Von der Gestapo wurde jede irgendwie geartete Opposition als Widerstand gewertet ... Und im Endeffekt war es für den Betroffenen gleichgültig, ob er als Bagatellfall oder als aktiver Widerstandskämpfer in einem Konzentrationslager umkam“” — bzw. ob er oder sie im Gefängnis oder Zuchthaus einsaß. „Bagatellfall“ oder „aktiver Widerstandskämpfer“ — männlichen Geschlechts, nicht nur grammatikalisch, sondern auch in den vorherrschenden Bildern: Die wegen sexualisierter „Verbrechen“ verfolgten Frauen passten weder in die eine noch in die andere Kategorie. Dazu kam, dass — wie schon in anderer Form zu NSZeiten — ausschließlich Männer über das Verhalten von Frauen bzw. deren mögliche Motive zu urteilen hatten. Die Hindernisse für diese Frauen waren also enorm, weshalb vermutlich — Zahlen gibt es nicht — nur ganz wenige der Betroffenen überhaupt um Opferfürsorge angesucht haben: — Die „Schande“ eines sexualisierten „Verbrechens“ musste wieder aufgerollt werden, z.B. mit Anfragen um Bestätigungen an die Heimatgemeinde, mit Recherchen der Gendarmerie zum „Lebenswandel“, und das zu einem Zeitpunkt (ursprünglich mussten alle Erstansuchen vor 1952 gestellt werden), als die Integration ins Dorfleben vielleicht gerade wieder beginnen konnte. Vielleicht auch aus diesem Grund kehrte Maria Etzer erst nach Abschluss des OF-Verfahrens in ihren Heimatort zurück. — Die soziale Isolation brachte, wie auch in ihrem Fall belegt, automatisch eine wirtschaftliche Existenznot mit sich. Gerade Zeit und Geld brauchte es - neben Bildung —, um einen solchen Behördenweg gehen zu können. Wiewohl von ihrer Unschuld überzeugt, hätte es Maria Etzer ohne die Unterstützung ihres Schwiegersohnes vielleicht nicht in Angriff genommen. — Traumatische Erfahrungen wurden reaktiviert: Mit geschorenen Haaren durchs Dorf getrieben werden — was hauptsächlich nach Kontakten mit slawischen Männern der Fall war; der polnische Freund, der am Dorfrand gehängt wurde; ein Kind abtreiben oder im Gefängnis gebären müssen und vielleicht nicht mehr wiederschen; Hunger, Zwangsarbeit, Demütigung in der Haft. — Das Erfordernis, verlorene, nicht vorhandene, demütigende Unterlagen beizubringen, zu knappe Fristen, eventuell der Verfall von Ansprüchen stellten zusätzliche Hindernisse dar. So sollte Maria Etzer eine Entlassungsbestatigung aus der Haft beibringen, die sie bei ihrer Heimkehr fiir eine Lebensmittelkarte hatte abgeben miissen und die dann verlorengegangen war; weiters das Sondergerichtsurteil, wobei sie selbst weder eine Anklageschrift noch eine Urteilsausfertigung jemals erhalten hatte. — Fir Verfolgte wegen ,,Geschlechtsverkehrsverbrechen“, also verbotenen Kontakten zu slawischen Mannern, was als ,,Rassenschande“ galt, gab es gar keine Gerichtsurteile. Bestätigungen für Gestapohaft und KZ-Haft waren oft noch schwerer zu erbringen. — Wegen der „Schande“, also einem sexuell konnotierten Vergehen, an dem sie nach verbreiteter Ansicht „selbst schuld“ gewesen seien und damit Strafe verdient hätten, waren die betroffenen Frauen zumeist isoliert und konnten weder in der Verwandtschaft noch in der Öffentlichkeit mit Verständnis für ihre Verfolgung rechnen (im Gegensatz z.B. zu einer „Schwarzschlächterin“). Daher haben auch nur wenige Betroffene, meist Jahrzehnte später, 24 ZWISCHENWELT in ihrer Familie bzw. gegenüber interessierten Zuhörerlnnen das Schweigen gebrochen. — Inder Opferfürsorge waren diese Frauen Einzelkämpferinnen und hatten zumeist keine Lobby, die für sie eintrat, weder für die je einzelnen Fälle, noch für sie als Opfergruppe. Selbst Opferorganisationen waren vor der Diskriminierung der „Bettpolitischen“ nicht gefeit: Für Anna G., Hilfsarbeiterin aus Salzburg, schien im internen Schriftverkehr zu ihrem abgewiesenen OF-Antrag ein negatives Leumundszeugnis auf, das sozusagen von ihrer eigenen Interessensvertretung kam. Der „Bund der politisch Verfolgten“ (mit Vertretern aus OVP. SPO und KPO) schrieb am 11. Marz 1948 in der Begutachtung ihres Ansuchens: „Frau G. war unser Mitglied, ist jedoch auf Grund mehrerer uns zukommender Informationen ausgeschlossen worden, weil sie wegen Umgang [sic] mit Kriegsgefangenen, nicht aus politischen Gründen inhaftiert war. ...“*® Die Notwendigkeit und der Versuch eines neuen Konzepts für eine immer noch vergessene Opferkategorie: Lebenssorge als Widerstand Wie schon weiter oben dargestellt, passte Maria Etzers Schicksal weder in die Kategorie „aktiver Widerstand“ noch „Opfer politischer Verfolgung“. Ihr erstes Ansuchen begründete sie „wegen verbotenen Umgang [sic] und schimpflichen Äußerungen gegen den Nationalsozialismus“. Die Haft im Zuchthaus wurde durch diverse Bestätigungen nachgewiesen, u.a. durch eine eidesstattliche Erklärung einer Mitgefangenen, dass sie Männerarbeiten am Bau verrichten musste und Fußtritte bekam, wenn sie nicht mehr mitkam. Erkundigungen bei der Gemeinde und Gendarmerie wurden eingeholt, wie es zum verbotenen „Umgang“ gekommen war. Im ablehnenden Bescheid erster Instanz hieß es mit Bezug auf das NS-Delikt, sehr korrekt und wohlwollend formuliert, aber klar in der Sache: Dieses freundschaftliche Verhalten einem Kriegsgefangenen gegenüber kann keineswegs als ein Kampf für die Wiedererrichtung eines freien, demokratischen Österreichs bezeichnet werden. Die Inhaftierung stellt zweifellos ein hartes Schicksal dar, ist aber nicht nach dem OFG/47 als „politische“ Maßregelung zu werten.” In der Berufung erhebt sie dagegen Einspruch, „weil während der Nazi-Herrschaft schon ein menschliches Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen als verbotener Umgang bezeichnet und auch schwer bestraft wurde.“ ?° Maria Etzer gibt an, dass sie keinen Unterschied zwischen In- und Ausländern gemacht hat: Sie habe den Franzosen, der ein fleißiger und williger Arbeiter gewesen sei, wie einen solchen heimischen behandelt. Bei der Verurteilung habe „entschieden auch mein offenes religiöses Bekenntnis eine Rolle gespielt und ist daher, glaube ich, als politische Mafregelung nach dem OFG/47 zu werten.“”' Beides zählt in ihrem OF-Verfahren nicht als Argument. Inwiefern kann nun Maria Etzers Verhalten als „aktiver Einsatz für die Wiedererrichtung eines freien und demokratischen Österreich“ verstanden werden? Wie könnte ihr Widerstand konzeptiv gefasst werden? Beim Buchtitel entschied ich mich für „Das Selbstverständliche tun“, und im Untertitel steht Maria Etzers „verbotener Einsatz für Fremde im Nationalsozialismus“. Was bedeutet es nun, das Selbstverständliche zu tun? Es ist der plötzlich