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Sonja Frank Helga Michie, geborene Aichinger 1. November 1921, Wien — 27. September 2018, London, geschiedene Singer, geschiedene Michie. Zwillingsschwester der Schriftstellerin Ilse Aichinger; Young Austria Mitglied, Künstlerin. Helga Michies Tochter Ruth Rix lebt als Künstlerin in Brighton. Sie und ihr Mann Hugh Rix unterstützten meinen Beitrag über Helga Michie für die Young Austria Bücher (Theodor Kramer Gesellschaft, 2014 dt., 2015 engl.) und diesen Artikel. Zu Helgas Freundeskreis gehörten Anna Mahler und diverse SchrifistellerInnen. Ihre Zwillingsschwester Ilse Aichinger überlebte den Krieg in Wien. Helga und Ilse wurden als Katholikinnen aufgezogen, aber die Einstellung zur Religion änderte sich im Laufe der Jahre in der Familie. Klassik und Unterhaltungsmusik waren in der Familie sehr beliebt. Eine der Tanten war Musikprofessorin und die Mutter komponierte Lieder. Helga Michie bevorzugte Gustav Mahler und Folk Music. Sie besuchte in London gerne das Theater-Kabarett „Laterndl“, begegnete Oskar Kokoschka einige Male bei Elias Canetti und war in viele kulturelle Aktivitäten involviert. Helga Michie hörte immer gerne Radio und telefonierte häufig mit ihrer Schwester. Ilse Aichinger verstarb zehn Tage nach ihrem 96. Geburtstag am 11. November 2016 in Wien. Helga entschlief friedlich einige Wochen vor ihrem 97. Geburtstag in London. Jugendzeit Helga und Ilse wurden als Töchter des Lehrers Ludwig Aichinger und der jüdischen Ärztin Berta (geb. Kremer) in Wien geboren. Die Familie lebte in Linz, bis die Eltern sich scheiden ließen. Die Mutter (1891 Lemberg - 1983 Wien) zog mit den Töchtern zu ihrer Mutter Gisela nach Wien zurück. Bertas Schwester Klara Kremer — Auntie gerufen — arbeitete 1907 als Hausgehilfin ein Jahr in England nahe Bristol. Heimgekehrt nach Wien, waren Aunties England-Erfahrungen, als die Zwillinge geboren wurden, noch immer stark präsent. Helga schloss die Mittelschule in der Salesianergasse nicht ab, sondern begann eine Ausbildung an einer Schauspielschule. 1931 starb der Großvater mütterlicherseits und wurde nach jüdischem Ritus beigesetzt. Mitte der 1930er-Jahre kam Dr. Mengele zu den Zwillingen. Im Nachhinein fand Helga es schaurig, dass er zu ihnen gekommen war und als Zwillingsforscher Fragen stellte. Er war ein Kollege ihrer Mutter. Auntie verlor ihre Arbeit als Fremdsprachen-Sekretärin auf Grund der Nazi-Beschäftigungsverordnung. Helgas Mutter und Auntie waren gezwungen, die Hetzendorfer Wohnung aufzugeben und zum Familienwohnsitz im 3. Wiener Bezirk heimzukehren. Schon vor 1938 hatte Auntie geplant, zu emigrieren und die Familie nach England zu bringen. Sie traf jedenfalls 1938 als Erste in England ein und und bemühte sich nun, die Familie zu retten. Helga, mit dem Pappschild mit der Aufschrift Nr. 201 um den Hals, kam mit einem Kindertransport am 4. Juli 1939 zu ihrer Tante. Als aber der Krieg ausbrach, konnten die in Wien verblienbenen Familienangehörigen nicht mehr ausreisen. Auntie sollte für Helga in England zur Ersatzmutter werden. Helga Aichinger, London, 1940er Jahre. Foto: Young Austria-Dokumentation Die Familie war nun getrennt, man konnte sich für kurze Zeit noch Rote-Kreuz-Telegramme schreiben. Helga sagte über diese Zeit und den Verlust ihrer Verwandten: „Was kann man mit 25 Worten sagen? Niemand konnte wissen, was mit ihnen geschehen ist. Das verbittert mich immer wieder, wenn ich daran denke, wie man mit ihnen umgegangen ist ... Meine Großmutter war krank und man hat sie in einen Transport nach Minsk verschleppt. Sie ist umgekommen, wahrscheinlich schon beim Transport.“ Young Austria in London und Helgas erster Ehemann Walter Singer (1919 — 2005) war erst Mitglied bei Hashomer Hatzair, Aoh 1939 aus Wien über die CSR nach England, wurde dort vom Czech Refugee Trust Fund unterstützt und Mitglied von Young Austria. Helga Aichinger und Walter Singer lernten sich in dieser Exiljugendorganisation in Paddington und in Maida Vale näher kennen. Sie heirateten 1941 mit der Genehmigung eines Quäker-Sozialarbeiters, da Auntie gegen die Heirat war, weil das Paar noch so jung war. Walter war in verschiedenen Teilen des Landes stationiert, und Helga versuchte, mit ihm mitzuzichen. Er kämpfte innerhalb der Britischen Streitkräfte in der Czechoslovak Independent Armoured Brigade Group. Helga: „Das war so Anfang des Krieges. Walter Singer war bei der Merchant Navy — das ist mir sehr romantisch vorgekommen, weil die sind in der ganzen Welt herumgekommen. Er war in der tschechischen Armee, die der britischen angegliedert war. Ich habe so viele Pässe gehabt: Erst einen österreichischen, dann einen tschechischen, dann einen englischen - eine Kollektion von Ländern. Ich war 20 und er 23. Wir waren zu jung damals. Wir sind nach der Trennung weiter befreundet geblieben. Er war ein guter Mensch.“ Helga und Walter Singers Tochter Ruth wurde in Leamington Spa im Juli 1942 geboren. Helga blieb mit dem gleichaltrigen Young Austrian Erich Fried und dem älteren Robert Neumann auch nach Kriegsende befreundet. Walter Singer kehrte einige Zeit nach dem Krieg nach Wien zurück, um hier fortan mit seiner zweiten Frau und seiner Familie zu leben. Helgas Mutter verlor während des Krieges in Wien ihre Stellung als Ärztin, wurde aber bis 1942 nicht behelligt. Später wurden Ilse Februar 2019 27