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TERRACE, LONDON W.z2. Angemeldet am 1940 Mitgl-Nr. “ 5 3 4 5 6 Name: 4/c# | ı 12 Adresse; 136, Sutherbaud Ax 4 8 9 0 Geboren am: 1941 ‘4, Beruf: Wea Moo | 2 3 4 5 6 Das Sckretariat „JUNGES OESTERREICH“ 7S Seo, WF 7 eee 9) 10 ile el2 l ] al 144 Helgas Young Austria-Mitgliedskarte, 1941. Foto: Ruth Rix und die Mutter in den Kriegsjahren dienstverpflichtet. Am 6. Mai 1942 wurden Helgas Großmutter Gisela, Tante Erna und Onkel Felix Kremer nach Minsk deportiert. Laut DÖW-Opferdatenbank wurden sie am 11. Mai 1942 in Maly Trostinec ermordet. Ilse lebte in Wien völlig isoliert, ein Studium war ihr untersagt; als „Halbjüdin“ war sie in Lebensgefahr, weil sie ihre Mutter nach Erreichen der eigenen Volljährigkeit versteckte. Sie lebten in dem Ilse zugewiesenen Zimmer nahe dem Gestapo-Hauptquartier am Morzinplatz. Nach dem Krieg 1946 übersiedelte die Familie Singer in eine kleine Wohnung in Westbourne Court in Paddington. Viele Flüchtlinge und Austrian Centre-Mitglieder lebten dort. Nachdem sich Walter und Helga getrennt hatten, blieb Helga mit ihrer Tochter in der Wohnung, wo weiterhin viele aus dem damaligen Londoner FlüchtlingsBekanntenkreis auf Besuch kamen. Veza und Elias Canetti passten manchmal auf Ruth auf, wenn Helga arbeiten ging. Franz Baermann Steiner und Frich Fried kamen, sowohl um ihre Werke vorzulesen, als auch um zu baden, da die meisten Wohnungen kein Badezimmer hatten. In den frühen Nachkriegsjahren arbeitete Helga gleich Erich Fried in der von Fritz Lampl geleiteten Bimini Ltd. Glaswerkstätte, wo Helga Glasknöpfe herstellte. Helga über ihre vielen Jobs: „Ich habe übersetzt, in Fabriken gearbeitet und zog meine Tochter alleine auf, musste jeden Job annehmen, als Kellnerin und als Sekretärin.“ Ihre Tochter erinnert sich, dass Helga in den 1960er- und 1970er-Jahren als Grafikerin beschäftigt war. Die durch den Nationalsozialismus zerrissene Familie Aichinger konnte nach dem Krieg wieder in Kontakt treten. Aunties große Bemühungen samt etlichen Behördenwegen ermöglichten 1947 ein Wiedersehen der vier Frauen nach über acht Jahren Trennung. Einige Zeit lebten Berta und Ilse Aichinger in Westbourne Court inmitten der dort lebenden Emigranten. 28 — ZWISCHENWELT Helga und Ruth hatten, wie schon erwähnt, häufig Besuch von Schriftstellern. Robert Neumann lud sie nach Cranbrook ein, wo er mit seiner Frau Rolly in einem Haus mit Garten lebte. Zum Freundeskreis gehörte die Bildhauerin Anna Mahler (Tochter von Alma und Gustav Mahler, Free Austrian Movement-Gründungsmitglied). Anna Mahlers Gipsbüste von Helga als junger Frau blieb im Besitz von Ruth Rix. 1948 besuchte Helga mit ihrer Tochter Ruth erstmals nach dem Krieg Wien. Helgas Mutter arbeitete nun als Ärztin in einem Altersheim in Döbling. Ilse führte Helga und Ruth durch das von den Alliierten in Zonen aufgeteilte Wien. Sie besichtigten das teilweise durch eine Bombe zerstörte Haus, in welchem sich früher der Familienwohnsitz befunden hatte. Im Frühjahr 1949 fuhren sie zum Attersee, an dem die Familie häufig Urlaub gemacht hatte. Nach sechs Monaten kehrten Helga und Ruth wieder nach England zurück, da Ruth ihre Schulbildung fortsetzen sollte. Ilse kam oft zu ihren Verwandten nach England und freundete sich mit KünstlerInnen aus dem Freundeskreis ihrer Schwester an. 1949 erhielt Helga Michie eine kleine Rolle als Helga Rustin im Filmklassiker Der dritte Mann. Ilse war auf ihre Schwester sehr stolz. Helga spielte auch eine kleine Rolle im 1950 erschienen Kriegsfilm „Odette“” mit Peter Ustinov, der auf einer wahren Geschichte beruht. „Doch der Schauspielberuf war nichts für mich“, meinte Helga einmal, „weil es ging zu schr um andere Leute, und ich musste erst mit dem eigenen Leben ins Reine kommen.“ 1951 übersiedelten Helga und Ruth in London nach Queensborough Terrace. In dieser Zeit wohnte Ingeborg Bachmann, eine gute Freundin Ises, bei ihnen. Es kamen weiterhin BesucherInnen aus dem Emigrantenkreis. Helga schätzte Bettina Gross (Bildhauerin) und deren Mann H.G. Adler sowie Anne (englische Dichterin, geb. Beresford) und Michael Peter Leopold Hamburger. 1953 heirateten Ilse und der Schriftsteller Günter Eich. Helgas zweite Ehe in den späten 1950er-Jahren mit dem britischen Forscher Prof. Michie, der an der Universität in Edinburgh lehrte, währte nur kurz. Sie endete nach einem antisemitischen Vorfall im Freundeskreis des Ehemannes. 1952 erhielt Helgas Schwester für die 1949 verfasste Spiegelgeschichte einen Literaturpreis der Gruppe 47. Aber auch Helga Michie näherte sich der Literatur und verfasste in den 1960er-Jahren englischsprachige Gedichte. Ilse, die auch ihre Nichte Ruth gerne besuchte, war damals fasziniert von den drei Schwestern Anne, Emily und Charlotte Bronté, die ihre Schriften unter männlichen Pseudonymen veröffentlicht und in der Nähe gelebt hatten. In den 1970er-Jahren nahm Ilse einige Familienmitglieder mit nach Cornwall auf Urlaub, um Auntie und Berta eine Freude zu bereiten. Helga erfreute sich schon damals an ihren zwei Enkelkindern Rebecca und Deatlef aus Ruths erster Ehe. Ruths glückliche zweite Ehe mit dem Briten Hugh Rix (geb. 1944) wurde 1978 geschlossen. Mitte der 1980er-Jahre besuchte Ilse die Familie Rix in Sussex, ebenso Richard Reichensperger? und Helgas Nichte Mirjam Eich?. Hugh Rix zeigte damals den Zwillingsschwestern das Virginia Woolf House in Sussex; im nahen Fluss hatte sich Woolf ertränkt. Ilse war immer an Plätzen, an denen SchriftstellerInnen gelebt hatten, interessiert. Später fuhren Helga und Ilse auch nach Dover. Hugh und Ruth trafen sie dort und wanderten zuammen zur Shakespeare-Klippe.