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Lore Segal war im September 2018 auch Ehrengast der Österreichischen Exilbibliothek, die mit ihr ihr 25jähriges Bestehen im Wiener Literaturhaus feierte. Mit Lore Segal kamen ihre Tochter Beatrice und ihr Cousin John Stern nach Wien. Ihr Aufenthalt wurde auch vom Jewish Welcome Service Vienna gefördert. Der Theodor Kramer Preis und die Veranstaltungen zu ihm wurden in bewährter Weise vom Land Niederösterreich, der Stadt Wien, der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes und vom Bezirk Wien-Leopoldstadt gefördert. Bei der Vorstellung der Preisträgerin im Psychosozialen Zentrum in Wien am 27. September sprachen Ursula Seeber und Lore Segal; Andrea Eckert las aus Segals Werk, musikalisch begleitet von Sigi Finkel am Saxophon. Für die perfekte Organisation sorgten Peter Schwarz und Angelika Hirsch von ESRA. Bei der feierlichen Preisverleihung in Niederhollabrunn am 28. September hielt Karin Hanta die Laudatio; Lore Segal las Gedichte von Theodor Kramer und Paul Stern, Maria Harpner aus dem Werk der Preisträgerin. Zur Begrüßung sprachen Jürgen Duffek, Bürgermeister von Niederhollabrunn, und Karl Müller, Vorsitzender der Theodor Kramer Gesellschaft. Karin Hanta Zuvor bestand Gelegenheit, gemeinsam mit Harald Maria Höfinger das Geburtshaus Theodor Kramers in seinem heutigen Zustand und die dort gezeigte Theodor Kramer-Ausstellung „Vom Nicht-Beigeben“ zu besichtigen. Etwas ganz Besonderes war die Uraufführung neuer Vertonungen von Gedichten Theodor Kramers durch Herbert Rainer und sein Ensemble: Alfred Wittmann — Saxophon, Flöte; Andi Sagmeister — Gitarre; Michael Preuschl — Kontrabass; Herbert Rainer - Komposition und Gesang. Herbert Rainer, geb. 1946, aufgewachsen im Waldviertel, Architekt, Kunsthändler und Musiker, spielte Jazz in Kammer- und Bigband-Formationen als Schlagzeuger, Komponist und Arrangeur und war Leiter von Vokalprojekten für Chor-, Ensemble- und Soloprogramme. Nach der Veranstaltung waren die Gäste zu einem mit freundlicher Unterstützung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gegebenen Empfang geladen. — Für tatkräftige Unterstützung der Veranstaltung ist Harald Maria Höfinger und dem Kulturverein Niederhollabrunn zu danken. Laudatio für Lore Segal, Niederhollabrunn, 28. September 2018 Es ist mir eine große Freude, anlässlich der Verleihung des Theodor Kramer Preises ein paar Worte zu sprechen, um Ihr Wirken und Werk zu ehren. Es freut mich ganz besonders, dass Sie, liebe Lore Segal, für Ihre Verdienste um die Literatur in dieser Weise gewürdigt werden und kann mir in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen dem Flüchtlingsschicksal, auch dem von flüchtenden Kindern, verschließen, keine bessere Preisträgerin vorstellen. Ich möchte diese Laudatio zuallererst mit einem Geständnis beginnen. Meine erste telefonische Begegnung mit Ihnen, liebe Lore Segal, verlief nicht ganz reibungslos. Nachdem ich die Autobiografie der Kindertransport-Teilnehmerin Martha Blend „A Child Alone“ für die Österreichische Exilbibliothek übersetzt hatte, bat mich Ursula Seeber, einen von Ihnen verfassten kurzen Text ins Deutsche zu übertragen, denn Sie sollten 1998 für eine Lesung nach Wien kommen. Es war noch nicht allzu lang her, dass ich mein Dolmetscherstudium abgeschlossen hatte, und mir schwirrte noch folgendes, über Jahre eingetrichtertes Motto im Kopf herum: „Vermeide Austriazismen. Versuche neutral zu übersetzen, wenn du am gesamtdeutschen Markt bestehen willst.“ Nachdem ich fertig war, faxte ich Ihnen die Übersetzung, um zu sehen, ob Sie damit zufrieden wären. Waren Sie nicht. Denn ich hatte die Beilage zur berühmten Knackwurst - in der sich der ganze Schmerz über Ihre Vertreibung aus Österreich und die Trennung von ihrer Familie ballte — nicht gleich als Brot oder Semmel übersetzt, sondern fragte mich, ob ihnen „Brötchen“ oder irgend etwas derartiges lieber wäre. Sie hatten wenig Vertrauen in meine übersetzerischen Fähigkeiten und beschwerten sich: „Haben Sie noch nie etwas von Wurstbrot gehört?“ Das Buch, das im Jahr 2000 im Picus Verlag erschien, wurde schließlich von Sabina Illmer exzellent übersetzt und Sie waren mit ihrer 32. ZWISCHENWELT Arbeit sehr zufrieden. „Wo andere Leute wohnen“ gewann den Jugendbuchpreis der Republik Österreich, und die Rechte für das Taschenbuch wurden an einen großen deutschen Verlag verkauft. Obwohl dieser Zwischenfall für mich damals eine Schlappe bedeutete, bin ich doch froh, dass er passiert ist. Er war der Zündfunke für meine bis dato größte intellektuelle Unternehmung, meine Dissertation auf dem Gebiet der Übersetzungswissenschaft, die die Rolle der Übersetzung in der österreichischen Erinnerungskultur zum Gegenstand hatte. Für dieses Projekt durfte ich Sie, verehrte Lore Segal, sowie Eva Kollisch, Doris Orgel, Frederic Morton und Carl Djerassi interviewen. Sie alle hatten als Kinder und Jugendliche aus Österreich Hüchten müssen und begannen ihre literarische Karriere in den USA auf Englisch. Ihre autobiografischen Werke wurden alle durch Übersetzung nach Österreich zurückgeholt und Übersetzerinnen sowie andere Akteure und Akteurinnen in der österreichischen Erinnerungskultur spielten eine aktive Rolle bei dieser „Repatriierung“. Wenn ich kurz zum Wurstbrot-Debakel zurückkommen darf, so wurde mir im Zuge meines Forschungsprojektes klar, wieso diese Unterlassung eines Austriazismus für Sie ein Problem darstellte, war doch das bereits in den achtziger Jahren erfolgte Übersetzungsprojekt Ihres Romans „Ihr erster Amerikaner“ durch einen bundesdeutschen Verlag ein dorniges gewesen. Ohne hier weiter auf die Übersetzungsproblematik bei diesem Werk eingehen zu wollen, lässt sich doch feststellen, dass diese Projekte Ihnen — wie auch anderen Literaten und Literatinnen, die Österreich als Kinder verlassen mussten und Jahrzehnte später in die „Muttersprache“ übersetzt wurden — schmerzhaft den Verlust nicht nur ihrer ursprünglich Wienerisch gefärbten Sprache in Erinnerung riefen, sondern auch, was natürlich unermesslich schwerer war, das Leid, das Ihrer Familie und Ihrer Gemeinschaft widerfahren war. Eva Kollisch beschrieb dieses Gefühl einmal folgendermaßen: