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konfrontiert. Jetzt erst kriegte man heraus, warum man sie nicht mehr beachten mußte seit ihrer Nennung in der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums 1939. Der größte aller Germanisten erkannte die Gemeinsamkeit eines "Iheodor Kramer mit den völkisch-nationalen Dichtern, den Weinhebern, Waggerln und Billingern, seiner Zeit: der gleiche Mangel an Innovation, die gleiche Hinwendung zum bäuerlichen Leben. Der Germanist versicherte, daß diese Gemeinsamkeit gerade aus der zeitlichen Entfernung gut wahrnehmbar sei. Also, schlechtes Gewissen brauchte da keiner zu haben. Für Kramer und seine Kumpane sah es aber schlimm aus. Der Germanist konstatierte: .... keine Veränderung in sprachlicher Hinsicht, Ablehnung der Stadt und Technik, Idyllisierung der Natur, Abstinenz von nahezu jeglicher aktualitätsgebundener Aussage. Es gab aber auch Germanisten, die über faschistische Kontinuitäten in der Nachkriegskultur nachdachten oder Kramer-Gedichte ins Italienische übersetzten. Also, in Zeiten wie diesen wurde die Theodor Kramer Gesellschaft gegründet. Unbescheiden, aber klein. Sie veranstaltete Tagungen wie z.B. „Iheodor Kramer und die Arbeiterkultur“. Einige Griindungsmitglieder — Hilde Spiel war dabei, Erich Fried aus der Ferne, Erich Hackl, Karl-Markus Gauß — wollten gleich alles besser wissen als die fortschrittlichen Germanisten. Manche glaubten ernstlich, in Theodor Kramer einen Verbündeten für ihre sozialen und kulturellen Fortschritts- oder gar Umsturzträume gefunden zu haben. Am Anfang erhielt die Kramer-Gesellschaft von der Stadt Wien eine Jahressubvention von 8.000 Schilling, zirka 550 Euro. So viel wert war damals der Schilling. Mit der Zeit, mit vielen Gesprächen, mit viel Mühe hat sich das geändert. Dadurch ging viel Zeit verloren, die man besser nützen hätte können. 1984 lebten viele der Exil-SchriftstellerInnen noch, befanden sich, wie man so sagt, im vollen Besitz ihrer geistigen und schöpferischen, ja oft sogar körperlichen Kräfte. Man tat zwar vielfach so, als wären sie schon lange tot, aber sie schrieben noch immer, hofften auf Gelegenheiten, aus ihren Werken zu lesen, suchten Kontakte in Österreich, Verleger für ihre Bücher. Man hätte für sie viel mehr tun können. Was weiter geschah Man verzeihe die Ironie dieses Rückblicks auf das Jahr 1984. Ich wollte zeigen, wie es damals um die Dinge stand, daß es nicht einfach war, sondern schwierig. Seit dem Gründungsjahr erschien eine Vierteljahrszeitschrift der Kramer-Gesellschaft, „Mit der Ziehharmonika“ hieß sie bis 1999; 2000 wurde sie in „Zwischenwelt“ umgetauft. „Zwischenwelt“ ist auch der Name des Jahrbuchs der Gesellschaft, das erstmals 1990 erschien und die wissenschaftliche Arbeit der Gesellschaft widerspiegelt. Heuer erscheint der 15. Band der Reihe mit Aufsätzen und Reflexionen zur Autobiographik von Exil, Verfolgtheit und Widerstand. Seit 1995 ist die Gesellschaft als Verlegerin von Büchern tätig; mehrere Buchreihen haben sich entwickelt: eine autobiographische Reihe „anders erinnern“, eine Lyrikreihe „Nadelstiche“ und die Konstantin Kaiser bei seiner Ansprache. Foto: H.M. Höfinger Reihe „Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“. Letztere existiert schon seit 1987 und erschien früher in anderen Verlagen, seit 20 Jahren wird sie — mit wenigen Ausnahmen - im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft weitergeführt. Herausgeber dieser Reihe ist der Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur. Seit 2001 vergibt die Kramer-Gesellschaft mit Unterstützung der Stadt Wien, des Landes Niederösterreich und der Kunstförderung der Republik Österreich den „Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil“. Als notwendig erwies sich im Laufe der Jahre, ein eigenes Archiv aufzubauen, das etliche Nachlässe und Teilnachlässe von verfolgten und exilierten AutorInnen umfasst und auf Schenkungen beruht, so auf der von Herbert Exenberger durch viele Jahre erarbeiteten Sammlung von Manuskripten, Dokumenten und Druckschriften zur „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“, deren weitere Tätigkeit 1934 vom Dollfuß-Regime untersagt wurde. Wir verwahren auch große Teile der Handbibliothek von Manes Sperber. Manches findet man vielleicht nur bei uns. Man kann sich vorstellen, daß sich die Tätigkeit der Gesellschaft seit ihrer Gründung vervielfacht hat, und daß die Schwierigkeiten, die vielseitigen Aktivitäten voranzutreiben, zu strukturieren und zu finanzieren nicht geringer geworden sind, obwohl wir jetzt immer über 150.000 Euro im Jahr ausgeben können und mindestens das Hundertfache jener Erstsubvention des Jahres 1984 selber aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Abonnements und Buchverkäufen Jahr für Jahr aufbringen. Planungen Wie andere auch erstellen wir, die Theodor Kramer Gesellschaft, jedes Jahr eine Jahresplanung. Nicht immer läßt sich alles realisieren, was wir uns vorgenommen haben. Aber unsere Zielsetzung bleibt bestehen, über die Jahre und ihr Auf und Ab hinweg: Die Ihedor Kramer Gesellschaft setzt sich in erster Linie für Kenntnisnahme, Erforschung, Publikation der Kultur und Literatur des österreichischen Exils ein, ohne darum die gegenwärtige Literatur Exilierter aus anderen Ländern auszuschließen. Auch beschränkt sie sich in dieser Tätigkeit nicht auf Österreich und das Exil aus Österreich. Juli 2019 9