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Poldi Wojtek ist nur einer ausgewählt kleinen Schar von Kunsthistorikern und nur durch ihr Festspielsujet heute noch bekannt. In der gesamten Zweiten Republik hat kein Museum und keine Galerie ihr Werk präsentiert, was ihre Position in der Kunstgeschichte wohl eindeutig festlegt. Helene von Taussig gehört jedoch zu den maßgeblichsten Künstlerinnen der österreichischen Moderne, die der Pariser Kunstszene mit ihren Werken die Tür ins verstaubte Österreich öffnete. Zwei ihrer wesentlichsten Frauenporträts sind von den Erben dem Belvedere zur Verfügung gestellt worden. Eine Reihe ihrer Zeichnungen befindet sich im Bestand der Universitätsbibliothek Salzburg. Dank einer Initiative des Anifer Bürgers Rupert Horner und des Bürgermeisters Hans Krüger wurde für die noch heute als „guter Geist von Anif“ bezeichnete Helene von Taussig am 3.7.2014 ein Stolperstein verlegt. Anmerkungen 1 Walter Thaler: Der Pinzgau als personale Konfliktzone im Nationalsozialismus. In: ZW Nr. 4/2017, 16-21. 2 Erwin Simonitsch: Die Erneuerung des Freskos. In: Pinzgauer Nachrichten v. 24./25.9.2014. Christiana Puschak 3 Martha Wilhelm-Bako: Studien zur Entwicklungsgeschichte der europäischen Plakatkunst — Plakate der Salzburger Festspiele des 20. Jahrhunderts. Diplomarbeit an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Salzburg 2010, 116. 4 Der Historiker Gert Kerschbaumer ist überzeugt, dass der Text von Springenschmid stammt, hält die Illustrierung durch Wojtek für wahrscheinlich, aber nicht für nachweisbar. 5 Memory Gaps. Salzburger G’schichten: Von NS-Kunsträubern, Plakaten und Logos. https://www.memorygaps.eu (Abgerufen 25.7.2018). 6 Walter Thaler: Pinzgauer! Helden - Narren — Pioniere. Wien 2017, 148155. Wilhelm-Bako, wie Anm. 3, 116. 7 Ebenda, 120. 8 Memory Gaps. Tonia und Poldi Wojtek: zwei Schwestern aus Salzburg. https://www.memorygaps.eu. (Abgerufen 27.7.2018). 9 Petra Unger: Frauenspaziergänge. Entdeckungsreisen durch Wien. Wien 2012, 45. 10 Ebenda, 47f. 11 Chronik des Altersheims für nichtarische Katholiken vom Oktober 1939 bis 5. November 1942, Typoskript. Wien. 12 Albert Lichtblau: „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Salzburg. Wien, München 2004, 113. 13 Ebenda. 14 Memory Gaps, wie Anm. 5. (11.7. 2018). 15 Lichtblau, wie Anm. 12, 114f. 16 Nikolaus Schaffer: Helene von Taussig (1879 — 1942). Die geretteten Bilder. Katalog der Sonderausstellung des Salzburger Museums Carolino Augusteum. Salzburg 2002. Für Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer, so der bürgerliche Name Lotte Lenyas, wurde früh die Welt des Theaters ein Fluchtpunkt, ganz anders als die Welt, in der sie als Kind lebte. Als drittes von fünf Kindern wuchs sie in ärmlichen Verhältnissen in der Linzerstraße 87 in Penzing, einem Wiener Arbeiterbezirk, auf. Ihre Mutter Johanna Teuschl Blamauer war Wäscherin, ihr Vater Franz Blamauer Fiakerkutscher. Beide Eltern hatten nie den frühen Tod der ersten Tochter Karoline verwunden. In Charlotte — genannt Linnerl - sahen sie eine Art „Ersatz“. Das Mädchen, das dies spürte, fühlte sich von den Erwartungen überfordert und vom Vater abgelehnt. „Für mich, das zweite Linnerl, das so anders aussah und ihn immer an die geliebte Tote erinnerte, hatte er nur manischen Haß übrig“, schrieb Charlotte in ihren Erinnerungen an den Vater. Er neigte zum Jähzorn und war vor allem während seiner häufigen Alkoholexzesse äußerst aggressiv. Als beschützend hingegen empfand Charlotte ihre Mutter, „eine Frohnatur, robust und furchtlos“. Sie sagte ihrer Tochter, sie solle versuchen, später „ein besseres Leben zu haben“ als sie selbst. Früh lernte Lotte, dass es von außen keine Unterstützung gab und dass sie sich alleine durchsetzen musste. Aber sie war ehrgeizig und voller Kampfgeist. Wohl fühlte sie sich, wenn der Wanderzirkus in ihrer Nähe gastierte. Dort konnte sie tanzen und sich am Drahtseil versuchen. Sie lernte Tricks und Kunststücke und erlebte endlich einmal Zugehörigkeit. Sie entdeckte ihre Freude an Musik und Schauspiel, hätte gern ein Musikinstrument gelernt und genoss es, auf der Bühne zu stehen. Ihre Lehrerin, der Charlottes künstlerische Begabung und Kreativität aufliel, unterstützte den Besuch der Bürgerschule in 18 _ ZWISCHENWELT Hietzing, an der auch Kunst unterrichtet wurde. Doch trotz ihrer Begabung musste Charlotte die Schule ein Jahr vor Beendigung der Schulpflicht verlassen, um Geld zu verdienen. Sie arbeitete als Aushilfsnäherin, erledigte Botengänge und begann 14-jährig eine Lehre als Putzmacherin, die sie abbrach, weil ihr die Arbeit zu monoton war. Als „süßes kleines Madl“ wurde sie Modell, zu damaliger Zeit für viele Familien eine Möglichkeit des Nebenverdienstes. Als im Sommer 1913 ihre kinderlose Tante Sophie zu Besuch kam, nahm sie das Mädchen nach Zürich mit. Doch ihr Ehemann war gegen Charlottes Aufnahme und Charlotte zog zu Bekannten ihrer Tante, einem gastfreundlichen älteren Ehepaar. Herr Ehrenzweig, ein Fotograf mit Kontakten zu Theaterleuten, machte Charlotte mit Steffi Herzeg, der Ballettmeisterin am Stadttheater bekannt. Nunmehr eröffnete sich für Charlotte eine neue Welt. Gegen Mitarbeit im Haushalt ihrer Gastfamilie konnte sie Ballettstunden nehmen. Bald trat sie am Theater als Tänzerin auf und erhielt Schauspiel- und Tanzunterricht, lehnte jedoch den Spitzentanz ab: „Die klassischen Positionen des traditionellen Ballettes behagten mir nicht.“ Sie mochte die Improvisation, den freien Ausdruckstanz und die Einbeziehung pantomimischer und schauspielerischer Elemente. Erst wurde sie Statistin, später Darstellerin von Nebenrollen am Stadttheater, stand gemeinsam mit Elisabeth Bergner auf der Bühne. Diese war von Charlottes Wesen ebenso angetan wie von deren auffallendem Äußeren: „der Tratsch um ihre Lasterhaftigkeit war enorm [...] dann war um sie eine Atmosphäre von etwas Verbotenem, also sehr interessant“.