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City im Staate New York. Waren für Weill die Jahre nach dem Krieg die arbeitsreichsten seines Lebens, so führte Lenya während dieser Zeit den Haushalt und pflegte Kontakte. Unerwartet starb Weill 1950 kurz nach seinem 50. Geburtstag. Sein plötzlicher Tod erschütterte Lenya zutiefst. Sie war untröstlich und hatte das Gefühl, nicht genug für ihn dagewesen zu sein, wie Freunde berichten. Nach Weills Tod zog sie sich vorübergehend vom Theater zurück, sorgte aber im Laufe der nächsten Jahre mit einer Reihe von Weill-Gedächtniskonzerten für das Ansehen ihres Mannes. Mit heute legendären Aufführungen setzte sie dessen Werk in Amerika durch. Über dreißig Jahre lang diente sie als Witwe des Musikers des epischen Theaters seinem Werk, indem sie den künstlerischen und privaten Nachlass ihres Mannes ordnete und verwaltete. So suchte sie, wie viele Briefe dokumentieren, z.B. Brechts Frau, Helene Weigel, davon abzuhalten, Änderungen an Weills Kompositionen vorzunehmen. Parallel dazu baute Lenya sich eine eigene Schauspiel- und Filmkarriere auf. Erstmals nach 1933 kam sie 1955 zu Schallplattenaufnahmen nach Berlin — [...] und fand meine geliebte Stadt vollkommen zerstört vor. Ich wollte gleich wieder heimreisen. Da sah ich nun jene Stadt, die ich wirklich geliebt hatte, in der ich Kurt Weill begegnet war, in der wir glücklich und erfolgreich waren [...] Als ich nach drei Tagen durch die zerstörte Stadt ging [...] war es wie ein Spaziergang durch Christel Wollmann-Fiedler Pompeji. Es war mir so entrückt, weil es überhaupt nicht mehr dem glich, was es einst war. Weitere Schallplattenaufnahmen folgten, u.a. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Dreigroschenoper, Die sieben Todsünden und viele Einzelnummern. Späte Triumphe feierte Lenya als KGB-Agentin Rosa Klebb im James Bond-Film Liebesgrüfße aus Moskau und in der Uraufführung des Musicals Cabaret in der Rolle des Fräulein Schneider. Bevor Lotte Lenya 1981 starb, vermachte sie der Kurt Weill Foundation eine Sammlung von Musikalien, Musikhandschriften, Skripten, Korrespondenzen, Audio- und Videoaufnahmen, Filme, Programme, Fotos, Plakate, Zeitungsartikel, Geschäftsunterlagen und legte damit den Grundstock für das spätere Weill-Lenya-Forschungszentrum, das das wichtigste internationale Repositorium für Forschungsmaterialien in Bezug auf das Leben und Werk des Komponisten Kurt Weill und der Schauspielerin-Sängerin Lotte Lenya wurde und ist. Literatur Lotte Lenya. Eine Autobiographie in Bildern. Zusammengestellt und herausgegeben von David Farneth. Köln: Könemann 1999. 254 S. Donald Spoto: Die Seeräuber-Jenny. München 1990 Unterhaltung im Jahr 2007 in Berlin Einer der großen deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller war er, Edgar Hilsenrath, da gibt es keinen Zweifel. Die Themen seiner Bücher sind schwer, für so manchen kaum lesbar, zimperlich ging er auch mit der Sprache nicht um. Selbst erlebt hat er, worüber er schrieb. Aus erster Hand erfahren wir über das damalige jüdische Leben, als er, 1926 in Leipzig geboren, mit der Mutter und dem Bruder 1938 vor Hitler zu den Großeltern nach Rumänien, in die Bukowina flieht. Sereth/Siret ist der Ort, wo überwiegend jüdische Bewohner, aber auch Roma, Deutsche, Ukrainer, Russen, Polen, Rumänen lebten, etwa vierzig Kilometer südlich von Czernowitz. In „Die Abenteuer des Ruben Jablonski“ schreibt Edgar Hilsenrath: Die ersten Monate in Sereth, also der Spätsommer und Herbst 1938, waren die schönsten in meiner Kindheit gewesen. Hier in der Bukowina, in diesem kleinen osteuropäischen Ort, fühlte ich mich zum ersten Mal frei von der täglichen Bedrohung der Nazis. Hilsenrath hatte so manche Schulferien in „seiner“ Idylle Sereth verbracht, kannte die Gepflogenheiten, das Leben, die verschiedenen religiösen Kulturen und viele Bewohner des Städtchens. Die Bevölkerung hatte von Hitler gehört, doch niemand glaubte daran, dass er es je über die Karpaten bis Sereth schaffen würde. Man war ja weit weg von Deutschland. Die Deutsche Wehrmacht überfiel 1941 die Sowjetunion und schon war die Idylle beendet. Die Rumänen unter Marschall Antonescu verbiindeten sich mit der Nazidiktatur, die faschistische Eiserne Garde trieb ihr Unwesen. Bald wurde ein Großteil der jüdischen Bevölkerung in Viehwaggons nach Transnistrien in Ghettos und Arbeitslager deportiert, so auch Edgar Hilsenrath als 20 ZWISCHENWELT Fünfzehnjähriger zusammen mit Mutter und Bruder, Großvater, Tante und Onkel. Transnistrien war rumänisches Besatzungsgebiet zwischen den Flüssen Dnjestr und Bug. Die Menschen verhungerten oder erfroren, schafften die schwere Arbeit nicht, starben an Typhus oder wurden erschossen. In seinen literarischen Beschreibungen macht Hilsenrath nicht halt vor menschlicher Schwäche anderer Juden im Ghetto. Durch Schmuggel und Tauschgeschäfte im Ghetto konnte sich seine Familie über Wasser halten. Die meisten Serether Juden starben in Transnistrien, nur wenige kamen 1944 zurück, unter ihnen Edgar Hilsenrath. Junge Leute wurden zum Aufbau der jüdischen Gemeinschaft in Palästina gesucht. Über eine zionistische Organisation fuhr er mit fünfhundert anderen Auswanderern mit