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Weise ein corpus delicti zu schaffen, um ‚den Juden‘ die Neigung zu verbrecherischen Ritualmorden nachsagen zu können? Jüdisches Bewusstsein vor 1968 In einem Konzert trafich eines Abends einen Universitätskollegen, der als Kind über seinen Vater die Gelegenheit hatte, einige Größen der klassischen Musik persönlich kennen zu lernen. Darunter waren auch jüdische Virtuosen. An jenem Abend war er in Begleitung eines jungen Mannes, der äußerlich schr genau den Klischeevorstellungen von einem jüdischen Intellektuellen entsprach. Wir kamen ins Gespräch. Am Tag danach sprach mich mein Kollege an und erzählte mir, er habe schr unvorteilhaft von mir geträumt: Ich hätte, bekleidet mit einer Knickerbockerhose (wie ich sie damals tatsächlich fallweise trug) und weißen Kniestrümpfen (die ich nie trug), seinen Freund beim Zusammentreffen nach dem Konzert mit stechendem Blick verfolgt, was diesen schr beunruhigt habe. Ich gestand, dass sein jüdisches Äußeres zwar mein Interesse erweckt habe, aber ohne jede negative Konnotation geblieben sei. Dennoch machten mich die geträumten Assoziationen meines Kollegen unsicher. War es dem jungen Mann unangenehm, wie ein seltenes ethnologisches Objekt bestaunt worden zu sein? Rief das am Ende gar historisch begründete Ängste hervor? Ich nahm mir vor, in Hinkunft sensibler zu sein." Ich hatte in Wien einen Freund, mit dem ich viele Interessen teilte. Ich wusste um seine jüdischen Vorfahren, aber er wusste nicht (und weiß erst heute), dass ich das wusste. Nachdem wir anlässlich einer Retrospektive im Wiener Filmmuseum einen Nazi-Film (mit Christine Söderbaum als ‚Reichswasserleiche‘) besucht hatten, kamen wir auf den Antisemitismus zu sprechen. Da sagte er cher unvermittelt, er könne gar kein Antisemit sein, „weil einer meiner“ - er verzögerte in auffälliger Weise — „meiner besten Freunde, nämlich Gustav Mahler, Jude war.“ Mein Freund war einer der besten Mahler-Kenner der jungen Generation. Er wollte mir jedoch offensichtlich nicht sagen, dass unter seinen Vorfahren Juden waren. Mich machte das unsicher. Schämte er sich seines ‚Stammbaums‘? Oder war er nicht sicher, inwieweit ich antisemitische Ressentiments hegte? Oder hatte er gelernt zu verschweigen, was Tausenden anderen größte Schwierigkeiten, wenn nicht den Tod gebracht hatte? Ich empfand es jedenfalls als höchst auffällig, wie er mir gegenüber mit diesem Faktum umging. Einerseits bedauerte ich seine Vorbehalte, andererseits kränkte mich sein Verdacht, ich sei möglicherweise nicht frei von antisemitischer Gesinnung. Aber ich hatte damals auch nicht den Mut, ihn daraufhin anzusprechen. Das Jahr 1968 bedeutete auch für den Umgang mit dem Antisemitismus einen Wendepunkt. Einerseits waren unter den Revolutionären in Paris und Berlin bekanntermaßen Juden (z.B. Cohn-Bendit, mit dem sich die Pariser Studenten unter der Parole „Wir sind alle deutsche Juden“ solidarisierten), andererseits traten auch in Wien von daan häufiger Leute hervor, die sich als jüdisch zu erkennen gaben bzw. als Juden angesprochen wurden. Für mich wurden in der Folge zwei Erfahrungen bedeutend. Zum einen zu schen, wie dicht das vergangene, aber auch das gegenwärtige kulturelle Leben von Leuten mit jüdischen Wurzeln geprägt war bzw. ist, zum anderen aber auch bemerken zu müssen, wie häufig in einem antisemitischen Kontext Leute, die in kulturellen bzw. künstlerischen Bereichen oder auch als Politiker erfolgreich waren (z.B. Bernhard Paumgartner, Bertolt 26 _ ZWISCHENWELT Brecht"? oder Erika Weinzierl'?), quasi auf Verdacht hin als jüdisch bezeichnet wurden, wenn ihnen jemand am Stammtisch oder in vergleichbaren Situationen die Sympathien entziehen wollte. Nicht selten wurde ‚jüdisch‘ oder ‚Jud(e)‘ als Ersatz für ein nicht verfügbares negatives Argument ins Treffen geführt.” Jüdisches Bewusstsein, das jahrzehntelang verdrängt schien, trat in der Öffentlichkeit wieder deutlich in Erscheinung, gleichzeitig wurde die Sensibilität der Juden für antisemitische Untertöne stärker. Das empfand ich anlässlich des Präsidentschaftswahlkampfs für Kurt Waldheim, als die ihn kandidierende Partei für die Stichwahl Plakate mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund affichierte, auf denen mit der Parole „Jetzt erst recht! Wir wählen, wen wir wollen!“ dazu aufgefordert wurde, sich nicht durch die Kampagne des Jüdischen Weltkongresses beirren zu lassen. Die Gegner waren sicher, dass dabei bewusst mit antisemitischen Ressentiments gespielt wurde, was ich bis heute nicht wirklich nachvollziehen kann. Die polarisierende Wirkung der Wahlauseinandersetzung über Rot und Schwarz hinaus in Richtung Sympathien oder Vorbehalte gegenüber einem politisierten Judentum war jedoch unverkennbar. Plötzlich wurde manifester Antisemitismus als Grund für Waldheims Bemühungen um arabische Staaten und Völker in seiner Zeit als Generalsekretär der Vereinten Nationen behauptet. 1987, ein Jahr nach Waldheims Wahl veröffentlichte John Bunzl sein Buch Der lange Arm der Erinnerung. Jüdisches Bewufßtsein heute. Er hatte schon zuvor zusammen mit Bernd Marin sozialhistorische und soziologische Studien über Antisemitismus in Österreich (Bunzl, Marin, 1983) herausgegeben. Beiden Büchern hoffte ich einiges entnehmen zu können, was mich am Judentum und seiner Geschichte interessierte. Aus Bunzls späterem Text wurde mir klar, was für einen Menschen die Unmöglichkeit, „durch eigene Verhaltensänderung (etwa: Religionsübertritt) dem kollektiven Todesurteil (das weder territorialen noch militärischen Zwecken diente) zu entgehen“, bedeuten musste (Bunzl, 1987, S. 74). Die Erfahrung Auschwitz hat viele Juden, die längst Religion und Tradition als identitätsstiftende Merkmale zugunsten einer programmierten Assimilation aufgegeben hatten, in das Bewusstsein gezwungen, ihrer (lebensgefährlichen) Identität als Juden gar nicht entkommen zu können. Der Neuaufbau jüdischen Bewusstseins war nur mit der Hypothek, dass dieses irgendwann irgendwo wieder gefährlich werden könnte, in Angriff zu nehmen gewesen. Nach dem Holocaust, so glaubte Günther Anders, würde es keinen mehr geben, „der sich als deutscher Jude bezeichnen und fühlen oder gar in die deutsche Geschichte eingehen wird. Mendelssohn, Heine, Marx und Einstein werden keine Nachfolger finden.“ (Günther Anders zit. nach Bunzl, 1987, S. 83) Unter diesen Bedingungen haben viele Juden, die der Griindung eines zionistischen Staates zunächst skeptisch gegenüber standen (wie Karl Kraus), diesen als „historische Notwendigkeit“ (Isaac Deutscher) anschen zu müssen geglaubt, zumal das von Robert Menasse ins Gedächtnis zurückgerufene Wort des Rabbi Menassch Was einmal wirklich war, ist immer (wieder) möglich („Die Flucht aus der Hölle“) leider als realistischer einzuschätzen ist als die abstrakten Versprechen, Auschwitz dürfe nie wieder passieren.” Doch die unter den sattsam bekannten, belastenden Begleitumständen erfolgte Gründung des Staates Israels, der vielen Juden Zuflucht bot und weiterhin bieten wird, hat — meinen schmerzlichen Erfahrungen in Israel nach — trotzdem bis heute eines nicht gebracht: die von Theodor Herzl ertraumte Méglichkeit