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Die Auseinandersetzung mit dem, was ihm begegnet war. Die Hoffnung, die Zerstörung der Hoffnung, die Verfolgung, der Widerstand, der Versuch der Entwürdigung, der Triumph der Würde über diesen Versuch, die Qualen. Die eigenen und die der anderen, die physischen und die psychischen, die Häscher und das Entkommen. Die Flucht und die Rettung. Aus allem aber eine tief empfundene Menschlichkeit, das Bestreben zu verstehen, sich und anderen trotz allem die Welt verständlich zu machen. Die böse, die brutale, die menschenverachtende Welt der einen, die bessere, die menschliche, die würdevolle, doch auch wunderschöne, die eigene Welt. Und der Zweifel ob des Ausgangs dieses Ringens. Hier lag der Schliissel zu Ernst Eisenmayers künstlerischer Ausdruckskraft. Ernst Eisenmayer auf der nicht enden wollenden Suche nach Antworten. Und doch hat er sie gefunden, in jedem seiner Kunstwerke. Zur Ausstellung seiner Kleinskulpturen aus Pflanzenteilen 2006 im Botanischen Garten der Universität Wien gab die Tageszeitung „Die Presse“ einen Katalog „Pflanzen Poesie und Phantasie“ heraus. Darin erfährt man von der Kuratorin Monika Kiehn: Was haben Früchte des Reiherschnabels, Rindenstücke einer Platane oder Mohnkapseln gemeinsam? Für den nüchtern denkenden Botaniker gibt es eine einfache Antwort: Es sind Teile von Pflanzen mit speziellen botanischen Merkmalen und Eigenschaften. Eine Ausstellung mit solchen Objekten im Botanischen Garten der Universität Wien ist daher auf den ersten Blick wenig überraschend. Seine Einzelobjekte regen an zum Schmunzeln, zum Nachdenken, zum Geschichten erfinden. Der ORF produzierte eine Fernsehsendung über sein Leben und Schaffen, und außerdem wurde Eisenmayer 2006 in der Sendereihe „Menschenbilder“ ausführlich porträtiert. Seine Arbeiten waren auch aufseinem Webauftritt www.ernsteisenmayer.com zu schen, der aber nach seinem Tod eingestellt wurde. Heute werden seine Werke im Netz versteigert (siehe http://www.artnet.com/artists/ ernst-eisenmayer/). Freundschaften zu Young Austrians und Vorlieben Die drei Künstler Ernst Eisenmayer, Erich Fried und Erich Deutsch waren ein „Dreigespann“ und auch mit Hans Schmeier befreundet. Der Freitod Hans Schmeiers 1943 war eine große Erschütterung für die drei Freunde. Alle drei blieben der kommunistischen Partei gegenüber distanziert, waren mit Britinnen verheiratet und kehrten nicht nach Österreich zurück, als Young Austria-Funktionäre dazu aufriefen. Ernst Eisenmayers Verbundenheit mit vielen Young Austrians und früheren Exilösterreichern blieb dennoch bestehen und kam insbesondere in seinen zahlreichen Wienbesuchen und Briefkontakten zum Ausdruck, vor allem mit dem Mitbegründer des Dokumentationsarchis des österreichischen Widerstands, Herbert Steiner, und den Gründern von Young Austria, Fritz und Emmi Walter. Zum Freundeskreis zählten neben den bereits Genannten die früheren Spanienkämpfer Walter Fleischner, Franz Pixner und Leopold Spira, die Young Austrians Hansi Tausig, Rudi Spitzer, Renée Bromberg, Herta und Walter Kammerling. Daher war es mir eine Freude, im Zuge meiner Young Austria-Dokumentationsarbeit den verloren gegangenen Kontakt zwischen Ernst Eisenmayer und dem Arzt und Autor Hans Reichenfeld (Kanada) neu beleben zu können. Im April 2010 durften wir, als Reichenfeld zur Vorstellung seiner Erinnerungen „Bewegtes Exil“ nach Wien kam, Eisenmayers Gemälde „Modernes Babel“ bei einer eigens angesetzten Extraführung von Frau Dr. Ursula Storch im Wien Museum bewundern und fotografieren. Gedenken in Österreich Wohl als einer der ältesten KZ-Überlebenden verstarb Eisenmayer 97-jährig in Wien. Er lebte zuletzt im Maimonides-Zentrum, wo ich ihn besuchte, auch als er aus gesundheitlichen Gründen bettlägerig war und kaum mehr Gäste empfangen konnte. Er freute sich insbesondere über Besucher, die mit ihm Englisch oder Italienisch sprachen. Zum Young Austria-Buch sagte er: „Das ist ein bemerkenswertes Gedenkbuch, aber du sollst wissen, dass jene, die es lesen sollten, nicht kaufen und andere Leute vielleicht ein bis zwei Beiträge lesen werden. Dann bleibt es, wie es zumeist mit Gedenkbüchern hierzulande zugeht, im Bücherregal vergessen.“ Ich erwiderte ihm: „Aber ich veranstalte jamit meinem Kulturverein KunstPlatzl Gedenkausstellungen und organisiere Lesungen aus dem Buch.“ Daraufhin Ernst: „Ja, diese Aktivitäten haben vielleicht mehr Wirkung. So haben wir [Young Austrians] auch in Großbritannien gearbeitet und so könnten unsere Erlebnisse in Erinnerung bleiben.“ 2015 konnte ich mit der Young AustriaGedenkveranstaltung in London und 2017 mit einer Gemeinschaftsausstellung in der Volkshochschule Hietzing auch seine Geschichte und einige seiner Werke präsentieren. 2020 würde Ernst Eisenmayer 100 Jahre alt werden. Es ist zu hoffen, dass die Stadt uns allen den Widerstandskämpfer und Künstler Ernst Eisenmayer mit einer großen Retrospektive näher bringt und aufrichtig würdigt. Publikationen von Ernst Eisenmayer A Strange Haircut. A round about story ofleaving Vienna 1938/39. (Autobiographisch.) Amsterdam 2008. The Grandsons of the World Champion. O.O. 2011 ‘Trying to keep warm in the queue — short stories. O.O. 2011. Uber Ernst Eisenmayer Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hg.): About the Dignity of Man. Ernst Eisenmayer, Leben und Werk. Wien: Jüdisches Museum 2002. (Ausstellungskatalog 2002). Juli 2019 37