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UNSERE SCHÖNE REPUBLIK Alexander Emanuely Der 12. November Im März 1892 stand der populäre sozialdemokratische Gewerkschafter, Buchdrucker, Schriftsteller und Journalist Karl Höger wegen Störung der „öffentlichen Ruhe und Ordnung“ vor einem Wiener Schwurgericht. Er hatte in Vorträgen vor den Mitgliedern zweier Wiener Arbeiterbildungsvereine gesagt: Als Sozialdemokrat bin ich nur für die Republik, als Sozialdemokraten können wir nur Republikaner sein. Die Geschworenen sprachen den Angeklagten trotz der Einwände der Staatsanwaltschaft und des Richters frei.” Es sollte jedoch weitere 26 Jahre dauern, bis in Wien die Republik unter maßgeblicher Mitwirkung Viktor Adlers und der Sozialdemokratie ausgerufen wurde. In vielem diente den österreichischen RepublikanerInnen die französische III. Republik als Vorbild, so beim Parlamentarismus, beim Laizismus oder beim Feiern der Republik. 1880 hatte Frankreich einen Nationalfeiertag eingeführt, an welchem der Revolution gedacht wurde, den 14. Juli. An diesem Tag konnten radikale Republikaner die Erstürmung der Bastille feiern, die mehrheitlich weniger radikalen Republikaner hingegen das am 14. Juli 1790 stattgehabte „Förderalistenfest“ in Paris, bei dem sich König Ludwig XVI. und 60.000 Delegierte aus dem ganzen Land auf die Verfassung und auf den inneren Frieden einschworen. In Österreich wartete man nicht neunzig Jahre, einen Nationalfeiertag einzuführen, sondern nur knappe sechs Monate. Da die Abgeordneten am 12. November einstimmig die Republik ausgerufen hatten, hätte der 12. November auch eine Art Versöhnungsfest sein können. Otto Bauer wird jedoch schon 1923 dazu schreiben: Die Republik hat im April 1919 den 12. November, den Tag des Abschlusses der demokratisch-nationalen Revolution, zum Nationalfeiertag erklärt. Aber die Bourgeoisie hat den gesetzlichen Feiertag nie mitgefeiert, ihr ist er immer der Tag ihrer Kapitulation vor dem Proletariat geblieben. Die Arbeiterklasse dagegen feiert den Nationalfeiertag alljährlich als den Tag ihres Sieges.? Die meisten bürgerlichen Abgeordneten, ob christlichsozial oder deutschnational, haben dies wohl so geschen, doch die kleine Fraktion der linksliberalen „Wiener Demokraten“ hat bewiesen, dass es auch andere Bürgerliche gab. So erklärte der Abgeordnete Julius Ofner, der den Begriff „Sozialstaat“* prägte und sich durch Jahrzehnte im Kampf um Frauenrechte engagierte, vor der provisorischen Nationalversammlung schon am 21. Oktober 1918: Wir erwarten, daß dieser Staat, auf Grundlage der Demokratie, der lebenswarmen Gleichberechtigung, ohne Unterschied von Herkunft, Besitz und Geschlecht und einer großzügigen Sozialpolitik errichtet, sich eine Verfassung und Verwaltung schaffen wird, die für alle Zeiten die Abkehr von der unheilvollen absolutistischen, feudalen, frömmelnden und büreaukratischen Herrschaft verbürgt. Der 12. November sollte der 14. Juli der österreichischen Republik sein. Er zieht sich wie ein roter Faden durch Beiträge unseres „Zwischenwelt“-Schwerpunktes zu 100 Jahre Republik. An diesem 12. November 1918 war als weitere große Errungenschaft 38 _ ZWISCHENWELT das Frauenwahlrecht eingeführt worden. Der am selben Tag in „Der Abend“ erschienene Beitrag der Frauenrechtsaktivistin Olga Misaf, welche zum politischen Umfeld Julius Ofners gehörte, che sie Anarchistin wurde, drückt eine erste Begeisterung darüber aus. Die Gedichte von Helene Scheu-Riesz und Sebastian stehen stellvertretend für jene umfangreiche Lyrik, welche auf das Österreich des 12. November geschrieben worden ist. 1928 entstand zur Zehn-Jahres-Feier der Republik eine Festschrift, aus der wir die Beiträge von Adelheid Popp, Max Adler und Otto Glöckel entnommen haben. Diese sozialdemokratischen VordenkerInnen haben wesentlich dazu beigetragen, dass zumindest in Wien Demokratie und Sozialstaat gelebte Wirklichkeit wurden. 1928 gab es jedoch schon viele Gründe, sich um die Zukunft der Republik Sorgen zu machen. Ein weiterer politischer Weggefährte Julius Ofners, Maxmilian Schreier, drückte sie in einem Viktor Adler beschwörenden Leitartikel aus. 1933, die Regierung bereitete ihren Staatsstreich vor, war jede Republiksfeier außer der als Messe im Stephansdom abgehaltenen Feier verboten. Das Gedicht Franz Teschers berichtet genauso von diesem Tag staatlicher Willkür und Gewalt, wie auch der Artikel aus der von Maximilian Schreier herausgegeben Zeitung „Der Morgen“. 1943 existierte Österreich seit fünf, die Republik seit neun Jahren nicht mehr. Doch die eben von den Alliierten verabschiedete Moskauer Deklaration gab den ExilösterreicherInnen neue Hoffnung. Vielleicht fanden deshalb in diesem Jahr weltweit eine beeindruckende Zahl von Republiksfeiern statt. Das Schicksal der Kinder, der Hunger, die Armut, aber auch die internationale Solidarität mit den ÖsterreicherInnen, gehört genauso zur Geschichte der Ersten Republik wie die oft kolportierte Meinung, die kleine, junge Republik sei nicht überlebensfähig gewesen. Von der Solidarität zeugt das 1921 von Anna Nussbaum und Else Feldmann herausgegebene illustrierte „Reisebuch des Wiener Kindes“, aus dem wir einige Zeichnungen übernommen haben. Und, dass Österreich sehr wohl ein überlebensfähiger Staat gewesen wäre, belegt Hugo Breitner, einer der talentiertesten Ökonomen Österreichs, in seinem im Exil verfassten ausführlichen Aufsatz. Mit seiner Ansicht war Breitner nicht allein, denn schon 1918 müssen viele Menschen an ein besseres Leben in „unserer schönen Republik“ geglaubt haben, wie man den Erinnerungen Hilde Spiels entnehmen kann: Im Frauenerwerbverein hatten wir, an jedem 12. November, die Volkshymne der Republik gesungen: „Deutsch-Österreich, du herrliches Land, wir lieben dich.“ [...] Die schlimmsten Jahre schienen Ja vorbei. Jung und frisch, keineswegs todgeweiht erschien uns jetzt dieses republikanische Österreich. Anmerkungen 1 Ein ungliicklicher Versuch. In: Arbeiter-Zeitung, 18. Marz 1892, 2ff. Auf: anno.onb.ac.at (5.12.2018) 2 Karl Höger gestorben. In: Arbeiter-Zeitung, 18. Oktober 1913, 4. Auf: anno.onb.ac.at (5.12.2018)