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3 Otto Bauer: Die österreichische Revolution. Wien 1923. Auf: www.marxists.org (1.4.2018) 4 Stenographisches Protokoll der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung der deutschen Abgeordneten. Wien, am 21. Oktober 1918, 10. Auf: https: //www.parlament.gv.at/ (1.3.2018) Olga Misar Endlich Frauenstimmrecht! Der Abend (Wien), 12. November 1918, S. 8 Heute soll in der Nationalversammlung das Frauenstimmrecht beschlossen werden! Fast mühelos fällt uns in den Schoß, was anderwärts in heißem, jahrelangen Kampf erstritten werden mußte, und wieder ist der Beweis erbracht, daß Volksrechte und Frauenrechte immer Hand in Hand gehen. Dem Sieg der Demokratie ist das Frauenwahlrecht zu verdanken und so sei es ihr in der Ausübung auch restlos gewidmet. Gleich anfangs wird es eine Kraftprobe ablegen müssen. Schon im Jänner wird sich seine Wirkung bei der Wahl der Konstituante zeigen und die Frauen werden es als Ehrensache ansehen müssen, daß die aus diesen Wahlen hervorgehende Körperschaft ihrer Zusammensetzung nach geeignet sei, die junge Republik zu stärken und gegen ihre Widersacher zu erhalten. In Stadt und Land wird unermüdlich agitiert werden müssen, um den Einfluß jener dunklen Mächte, denen die Frauen bisher so stark unterworfen waren, zu brechen und um in den Frauen die Überzeugung zu wecken, wie stark sie an der Freiheit des Volkes interessiert sind. Endlich wird sich die Möglichkeit ergeben, für die so lange zurückgestellten sozialpolitischen Forderungen zu wirken, denn die Frauen schätzen den Wert der Einzelexistenz und werden es nicht dulden, daß Kinder durch systematische Vernachlässigung zugrunde gehen, daß Kranke der schändlichen Spitalsnot zum Opfer fallen und daß ArbeiterInnen durch die rücksichtslose Profitgier ihrer Brotherren gezwungen werden, ihre Kräfte bis zum Zusammenbrechen zu erschöpfen. Die Frauen kommen mit reinen Händen in die Politik und wollen beweisen, daß man im öffentlichen Leben für seine Ideale arbeiten kann und muß. Ihnen bedeutet die Parteiarbeit nicht bloß die Errichtung eines gut brauchbaren Wahlapparates, nicht bloß das Mittel zur Erreichung persönlicher Vorteile, sondern sie wollen für Volksaufklärung und Volkswohlfahrt arbeiten und den so lange geknechteten und unterdrückten Frauen zur Gleichberechtigung im privaten wie im öffentlichen Leben verhelfen. Vor allem werden aber die Frauen in einer Beziehung einig und stark sein. Aus welcher Gesellschaftsschicht sie auch stammen, das Menschenleben ist ihnen allen heilig und nie wird Fraueneinfluß es dulden, daß in der Politik mit der Möglichkeit des Krieges gerechnet wird. Keine noch so bunt schillernde Ideologie wird ihnen weißmachen, daß es notwendig sei, Millionen von Menschenleben aufzuopfern, um künftigen Geschlechtern Glück und Gedeihen zu sichern: Sie werden nüchtern und zielbewußt mit der Sorge um die jetzt Lebenden anfangen und die Zukunft den Kommenden überlassen. Ein guter Stern leuchtet der jungen Republik, die sich vor allem der Hilfe der Frauen versichert. Ihre erste Arbeit, ihre Hauptsorge soll heute und immer dem Frieden gewidmet sein. 5 Gerhard A. Ritter: Der Sozialstaat: Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich. München 2010, 12 6 Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 19111946. München 1989, 53f. Olga Misa? wurde als Olga Popper am 11. Dezember 1876 in Wien geboren. Sie war seit ca. 1910 Redakteurin der Zeitschrift „Mitteilungen des Österreichischen Bundes für Mutterschutz“, weiters aktiv im „Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins“ und in der Friedensbewegung. 1919 war sie Kandidatin der „Demokratischen Partei“ der Reichsratsabgeordneten Julius Ofner und Ernst Viktor Zenker. Anfang der 1920er-Jahre wurde sie Mitglied des anarchistischen „Bundes herrschaftsloser Sozialisten“ von Pierre Ramus. Sie trat für Polyamorie ein und verfasste dazu 1919 die im „Anzengruber-Verlag“ erschienene Broschüre „Neuen Liebesidealen entgegen“, welche ein Bestseller wurde. Ihr Mann war der Mathematiker, Realschuldirektor, aktive Freimaurer und Antifaschist Wladimir Misar. Beide hatten zwei Tochter, Olga und Vera, die in die Schule der Eugenie Schwarzwald gingen. (Vel. Friedrich Scheu: Ein Band der Freundschaft. SchwarzwaldKreis und Entstehung der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler. Wien, Köln, Graz 1985, 90). Mit ihrem Liebhaber Ernst Viktor Zenker lebte Olga Misars 1919 für einige Monate, als beide für die „Demokratischen Partei“ kandidierten, zusammen. (Vgl. Brigitte Rath: Kurze Biografie zu Olga Misar. In: Olga Misar: Neuen Liebesidealen entgegen. Wien 2017, 35). Bis zu seiner Auflösung 1936, gehörte sie auch dem „Bund der Kriegsgegner“ an. Im April 1939 konnte sie mit ihrem Ehemann nach Großbritannien flüchten. Am 8. Oktober 1950 starb sie in Enfield/ London. 2017 wurd ihre Broschüre „Neuen Liebesidealen entgegen“ vom „Institut für Anarchismusforschung“ neu aufgelegt. — A.E. „Sommer in der Schweiz" Johanna (8 Jahre): Sommer in der Schweiz (Zeichnung). In: Anna Nussbaum, Else Feldmann: Das Reisebuch des Wiener Kindes. Eine Sammlung von Briefen, Aufsätzen und Zeichnungen der Wiener Schulkinder im Ausland. Wien 1921, S. 3 Juli 2019 39