OCR
Arbeiter-Zeitung (Journal des ouvriers, Paris), 9. Juni 1937, S. 12 Genossin Leopoldine Glöckel, die Gattin Otto Glöckels, ist nach langem schweren Leiden gestorben. Aus der Bewegung der sozialistischen Lehrerschaft hervorgegangen, hat die herzenswarme, gesinnungstreue Frau Jahrzehnte lang in der Wiener Partei- und Frauenorganisation und in der Wiener Schul- und Gemeindeverwaltung Großes geleistet. Sie ist auch nach dem Februar 1934 ungebrochen geblieben; auch in der harten Zeit der Illegalität blieb sie vielen Genossen und Genossinnen eine von unerschütterlichem Glauben an unsere Sache erfüllte Freundin, Beraterin, Helferin. Zweitausend Menschen kamen zur Einäscherung in das Krematorium. Am Sarge sprach zuerst Gabriele Proft. Sie sagte: „Leopoldine Glöckel war bis zur letzten Stunde eine Kämpferin. Zwei Dinge fließen heute für uns zusammen: Erinnerung und Hoffnung!“ Dann sprach, — zum ersten Male seit dem Februar 1934, — unter ungeheurer Bewegung der Trauerversammlung unser Bürgermeister Karl Seitz. Er schilderte das Wirken der Genossin Glöckel als junge Lehrerin, dann ihre Wirksamkeit in der roten Maximilian Schreier Zurück zu Viktor Adler! Der Morgen. Wiener Montagblatt vom 13.11.1928, S. 2 Zurück zu Viktor Adler! Nicht nur hin zu seinem Monument, das gestern im Namen der Republikfeier seine festliche Enthüllung fand, sondern zurück zu dem aufbauenden Geist Viktor Adlers, der noch heute wie eine leuchtende Fackel den Weg erhellt, den Österreichs Sozialdemokratie gehen sollte. Darf man der zehnten Wiederkehr des Todestages Viktor Adlers nur mit wehmutsvollen Phrasen gedenken, wie dies an Gedächtnistagen üblich ist, oder ehrt man diesen einziggroßen Führer der Unterdrückten und Rechtlosen nicht mehr, wenn man in Erinnerung seiner Worte und seiner unvergänglichen Taten zur Prüfung aufruft, ob die Epigonen des Giganten das übernommene Erbe richtig verwalten oder ob die Lehren des großen Sohnes der österreichischen Sozialdemokratie schon zehn Jahre nach seinem Tode Richtlinien Platz machen mußten, durch die die machtvolle Aufwärtsbewegung seiner Partei ins Stocken geriet. Als Viktor Adlers todmüdes Herz am 11. November, einen Tag vor Ausrufung der Republik, zu schlagen aufhörte, hinterließ er die österreichische Sozialdemokratie auf dem höchsten Gipfel der Macht. Ihr zu Füßen lag das ganze Land, das Bürgertum, hoffnungs- und führerlos, überließ sich, völlig entkräftet, gänzlich der Leitung der sozialdemokratischen Partei, die auch als der eigentliche Schöpfer der Republik angesehen werden kann. Sämtliche einflußreiche Stellen im Staate wurden den Sozialdemokraten überlassen, die wohl ihre Macht mit der anderen Volkspartei, mit den Christlichsozialen, teilten, in Wahrheit aber die eigentlichen Regenten und Verwalter der jungen Republik waren. So sah die Partei aus, als der Mann starb, der die große Arbeiterpartei Österreichs aus Gemeinde Wien, schließlich ihre Haltung „in der Zeit des Niederganges“. Seitz sagte: „In der Zeit des sogenannten Niederganges. Denn für Menschen wie sie gibt es keinen Niedergang. — Sie wissen: wir werden siegen, weil wir siegen müssen.“ Schließlich sprach im Namen der sozialistischen Frauen Frankreichs und der Internationale Genossin Marthe Levy (Paris). Sie sagte: „Ihr habt früher gesungen, dass das Banner steht, wenn der Mann auch fällt. Wir wissen, dass Euer Banner steht. Darum grüßt euch die ganze Internationale!“ Nach der Trauerfeier wurde Seitz von 2000 Menschen erwartet und begrüßt. Marthe Louis-Levy (1892 — 1964) kam aus einer sozialistisch geprägten Familie. Sie engagierte sich früh in der SFIO und in den Frauenorganisationen der Partei. In London gründete sie im August 1940 gemeinsam mit ihrem Mann Louis Levy die Gruppe „Jean Jaures“. Louis Levy war Redakteur diverser französischer sozialdemokratischer Zeitungen und in den 1930er-Jahren Vizepräisdent der Sozialistischen Internationale. einem zusammengewürfelten Haufen irregeleiteter Phantasten, Anarchisten, Nihilisten, Unabhängigen und sonstigen unverantwortlichen Elementen zu jener kraftvollen Organisation formte, bis ihr im entscheidendsten Augenblick die Führerrolle des Staates zufiel. So sah die Erbschaft aus, die er seinen Jüngern hinterließ. Und nun, zehn Jahre nach seinem Tode, findet der Beobachter ein völlig geändertes Bild. Die zu Boden liegende Reaktion ist wieder erwacht, Parteien, die nicht den Mut zu öffentlicher Betätigung hatten, treten auf den Plan, die Regierung der Republik ist einer mehr oder minder offenreakionären Parteienkoalition überlassen und die einst mächtige sozialdemokratische Partei, dieselbe, die die Republik geschaffen, ist in dem Staat, der ihr seine Existenz verdankt, geradezu zur Ohnmacht einer hoffnungslosen Opposition verurteilt. Schon höre ich die Erwiderung: es liegt im Wesen des geschichtlichen Werdeganges, daß die Wellen einmal die einen, ein andermal die andern in die Höhe bringen, schon höre ich die Argumente von Gegenrevolution, die sich erst allmählich durchzusetzen vermag und wie die sonstigen Erklärungs- und Verteidigungsformeln, die immer bereitstehen, wenn Fehler zu beschönigen sind, lauten. Gewiß, es soll nicht geleugnet werden, daß nach Zusammenbruch der Fronten auch die ehemals mächtigen Kreise der Monarchie - alle Schichten von rechts und links entmutigt — die Führung gern andern überließen, wußten sie doch nicht, ob diese nicht nur berufen seien, ihnen die heißen Kastanien aus dem Feuer zu holen. Aber wenn schon die Macht widerspruchslos den Sozialdemokraten zufiel, da sie in den schicksalsschweren Oktobertagen den Mut und die Entschlossenheit hatten, zuzugreifen, so wird es doch zu den ewigen, ungelösten Rätseln einer politischen Taktik gehören, Juli 2019 49