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„eigenartige Form von Interviews“ publizierte, wie der Schriftsteller Kurt Sonnenfeld 1921 in seinem Porträt Schreiers schreibt. Auch Carl Colbert war Mitarbeiter von „Die Wage“. Eigentlich wäre Maximilian Schreier gerne Lehrer geworden, doch hatte die antisemitische Politik des Bürgermeisters Karl Lueger jede Aussicht in diese Richtung verunmöglicht. So blieb Schreier Journalist und arbeitete viele Jahre als Parlamentskorrespondent für die demokratische und fortschrittliche „Österreichische Volkszeitung“, deren Chefredakteur Moritz Ring sein Mentor wurde. Obwohl der politische Reformer und Schulkollege von Carl Colbert, Max Wladimir von Beck, der seit zwei Jahren nicht mehr Ministerpräsident, sondern nur noch Mitglied des Herrenhauses war, das Projekt „Morgen“ politisch unterstützt haben soll‘, kam die Zeitung bald in finanzielle Nöte. Der Bankier und Verleger Richard Kola (Rikola Verlag), der die Zeitung 1911 mit einer großzügigen Finanzspritze rettete, schreibt in seinen Erinnerungen: Dieses Blatt war frisch und frei, mit einem satirischen Einschlag geschrieben und brach mit der Wiener Tradition, nach der manches Montagsblatt nur ein Tratsch- und Sensationsblatt gewesen war.’ In „Der Morgen“ förderte man neben der politischen Berichterstattung vor allem die Satire. Prominente Autoren wie Hermann Bahr, Hugo Bettauer, welcher auch in den letzten Jahren seines Lebens verantwortlicher Redakteur der Zeitung sein sollte, Richard Charmatz, Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Rudolf Kalmar und Alfred Polgar schrieben für die bald bedeutendste Montagszeitung Wiens, die eine Auflage von ca. 80.000 erreichen sollte. Schon vor 1918 war man republikanisch und gegen die Macht der Kirche, nach 1920 schrieb man dann auch gegen den Faschismus an. Die Ehefrau des Mitherausgebers Carl Colbert, die Pianistin Tony Colbert, war in der Frauenrechtsbewegung aktiv. So war sie 1913 Mitorganisatorin „Internationalen Frauenstimmrechtskonferenz“ in Wien. Auch war sie Vorstandsmitglied der 1913 von Helene Granitsch gegründeten „Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs“. Die Organisation sah sich als ein „nationale und konfessionelle Gegensätze“ überbrückende Interessensvertretung der Hausfrauen. Als Hausfrauen wurden hier jene werktätigen Frauen definiert, die nicht nur ohne Gehalt den Haushalt bewältigen, sondern auch als KonsumentlInnen das alltäglich Notwendige besorgen. Somit galt es für den Verein nicht nur aufein Unrecht in Bezug auf den nicht existierenden Lohn, sondern auch die Produzenten auf die Wünsche und Bedürfnisse einer der größten KonsumentInnen-Gruppen aufmerksam zu machen. Das ofhzielle Organ der Organisation war die Beilage der Zeitung „Der Morgen“: „Frauenblatt des Morgen“. Carl Colbert verließ ab 1915 zuerst die Direktion, bald die Redaktion der Zeitung, um eine neue zu gründen: „Der Abend“, in dem es übrigens ebenfalls ein Frauen-Beilage gab, welche redaktionell von der Vizepräsidentin des „Allgemeinen österreichischen Frauenvereins“ Adele Gerber betreut wurde. Die Neugründung wurde auch noch großzügig im „Morgen“ mit ganzseitigen Inseraten beworben. Am 17. Juli 1915 war anstatt „Der Morgen“ sogar ein Probeblatt von „Der Abend“ erschienen, in dem Carl Colbert von einem Bündnis, einem Zusammenschluss der Verbraucher, des Mittelstandes und der Proletarier, spricht, um endlich ein würdevolles Dasein zu erlangen, gerade mitten in einem Weltkrieg, der alle Menschenwürde verachtet. 52 ZWISCHENWELT Gleich nach der Gründung der Republik war man in Wien bemüht, eine bürgerliche, demokratische, republikanische Partei zu gründen. So kann man in „Der Morgen“ vom 25. November 1918 den vom Herausgeber Maximilian Schreier verfassten Aufruf zur Unterstützung dieser Partei lesen: [...] die Reaktion in Deutschösterreich hat sich bei der Verkündung der Republik nur geduckt, um aufden Augenblick zu warten, wo sie den Kopf wieder in die Höhe recken könne, um zum Gegenschlag gegen die Republik auszuholen. Die Sozialdemokratie war stark genug, die demokratische Republik zu schaffen, damit diese aber gefestigt, ausgebaut und gegen die Feinde verteidigt werde, muß auch das Bürgertum endlich an dem Kampf teilnehmen, der in seinem eigenen Lebensinteresse gelegen ist, weil nur der, der mitarbeitet, einen Anspruch auf einen seiner Bedeutung entsprechenden Platz im neuen Staate erheben kann. Die Zeit drängt und in wenigen Wochen bereits wird die Wahltrommel gerührt werden. Die Massen des industriellen Proletariats, ihr Ziel klar vor Augen, werden siegesbewufst in den Wahlkampf eintreten. Die Reaktionären aller Schattierungen werden zum letzten Verzweiflungskampf blasen und den Versuch wagen, das Rad der Zeit aufzubalten. Darfdas demokratische Bürgertum in diesem Ringen um die Macht abseits stehen und über sein Schicksal andere entscheiden lassen? Noch hat es selbst eine große Mission zu erfüllen, der es nur dann gerecht werden kann, wenn es als bürgerlich-demokratische Partei entschlossen ist, sich nicht nur zur republikanischen Staatsform zu bekennen, sondern auch für deren Erhaltung zu kämpfen. Es gibt nur einen Feind: die Reaktion, die das Ansehen der demokratischen Republik untergraben und deren Sturz herbeiführen will? Die „Demokratische Partei“ trat im Februar 1919 bei der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung an. Spitzenkandidat war der Reichsratsabgeordnete und Anwalt Julius Ofner. Weiters kandidierten Ernst Viktor Zenker, Olga Misaf und Maximilian Schreier, dessen „Der Morgen“ zum wichtigsten Sprachrohr der republikanischen Biirgerpartei wurde. Maximilian Schreier wollte im November 1918 jene ansprechen, die „zwar nicht sozialdemokratisch, aber demokratisch und sozial empfinden“.'° Doch anscheinend fühlte sich ein Großteil dieser WählerInnen, trotz möglicher Differenzen, besser von der SDAP vertreten, die von weit mehr Menschen gewählt wurde als ausschließlich von den ArbeiterInnen. 1919 hatte sich Carl Colbert jedenfalls schon seit einiger Zeit von der bürgerlichen Partei entfernt und sich, nach seinen Sympathiebekundingungen für die Sowjetunion, der Sozialdemokratie angeschlossen. Die letzten „demokratisch und sozial“ empfindenden Mitglieder und WählerInnen dürfte die „Demokratische Partei“ 1927 vertrieben haben, als der Parteivorstand beschloss, sich dem Bürgerblock von Johann Schober und Ignaz Seipel anzuschließen, nur einige Monate bevor am 15. Juli 1927, mit dem Schießbefehl Schobers, des Polizeipräsidenten von Wien, Einheiten der Exekutive ein Massaker unter DemonstrantInnen verübten. Noch bevor das Ende der „Demokratischen Partei“ und das Ende der Republik mit diesem Massaker eingeläutet wurden, war auch Maximilian Schreier, der letzte prominente Vertreter der kleinen, symbolisch jedoch bedeutenden Partei, für die er 1919 im Wiener Gemeinderat saß'', aus ihr ausgetreten. Wegen seiner konsequenten Haltung wurde Maximilian Schreier in der ,,Arbeiter-Zeitung“, in der man vom Ende der „Wiener Demokratie“ berichtet, sogar als geistiger Führer der bürgerlichen Demokraten beschrieben. '?