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Maximilian Schreiers Begründung für seinen Austritt lautete in „Der Morgen“ folgendermaßen: In diesen ernsten Zeiten [um 1907, Anm.], in denen im Parlament um die kulturellen Errungenschaften aus der großen liberalen Ära gekämpft wurde, haben Dr. Julius Ofner und Paul Freiherr von Hock durch ihren herzhaften Idealismus und ihren sittlichen Ernst den Wert und die Bedeutung wahrhaft demokratischer Repräsentanten so ruhmvoll vertreten, daß selbst heute, wo die soziale und politische Umschichtung scheinbar nur Raum läßt für eine große Partei der Linken und eine solche der Rechten, der Wunsch nach einer wahrhaft demokratischen Partei rege geworden ist. Statt diese historische Mission zu erkennen, die die bürgerliche Demokratie jetzt mehr denn je zu erfüllen gehabt hätte, ließ sich nun eine knappe Mehrheit der bürgerlich-demokratischen Partei dazu verleiten, in totaler Verkennung ihrer idealen Aufgabe nach vermeintlich sicheren Mandaten zu spähen, und war bereit, diese aus den Händen Seipels und Kunschaks zu nehmen.|...] Daß aus dem angestrebten Wahlbündnis der einstens Bürgerlich-Demokraten mit der christlichsozialen Einheitsfront nichts geworden ist, exkul‚piert in keiner Hinsicht die Männer, die bereit waren, um eines schibigen Nationalratsmandates willen Arm in Arm in eine Front von christlichsozialen und nationalen Chauvinisten einzutreten, entschuldigt nicht die Unklugheit des Vorgehens, das der Partei Schaden und Spott bereitet hat, und macht die Sünde nicht verzeihlich, die an dem Geist der demokratischen Ideale begangen wurde. Die bürgerlich-demokratische Partei hatte keine Mandate, keinen Sitz in den staatlichen und städtischen Vertretungskörpern, hatte keine Stellen und Pfründen, die durch politische Macht entstehen, aher sie hatte eines: die Achtung der ganzen Welt und den Glauben aller, daß hier eine redliche Partei um ihre Wiedererneuerung ringt. Und dieses letzte und wertvolle Gut wurde durch den unglückseligen Beschluß, in die Einheitsfront der Christlichsozialen einzutreten, vergeudet.'* Maximilian Schreier hatte sich schon Anfang der 1920er-Jahre aus der aktiven Politik zurückgezogen, um Zeit für seine neuen Zeitungsprojekte zu haben. 1922 gründete er eine der wohl bedeutendsten Tageszeitungen der Ersten Republik, „Der Tag“. Als Herausgeber der neuen Tageszeitung blieb er zugleich Chefredakteur von „Der Morgen“. Seine neue Kreation, welche wie „Der Morgen“ vor allem Sprachrohr der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Demokraten und Linken war, stand ganz im Zeichen des Republikanismus: Frei von allen Parteifesseln bekennen wir uns als Republikaner und streben nur danach, die publizistischen Führer in der Partei des gesunden Menschenverstandes zu sein. Wir fühlen uns als ein leidender und tätiger Teil jenes Bürgertums, das sich zum Evangelium sozialen Fühlens und Handelns bekennt und den Wiederaufbau der Wirtschaft wie der Gesellschaft für alle arbeitenden Bürger.“ Der Bankier Sigmund Bosel hatte, ohne sich weiter in die redaktionelle Arbeit einzumischen, Maximilian Schreier im Winter 1922 einen nach Belieben auszufüllenden Blankoscheck überlassen, um das Zeitungsprojekt erfolgreich starten zu können. Das war Jahre vor dem Skandal und Bankrott Bosels rund um die „Postsparkasse“.!° Maximilian Schreier hat den Blankoscheck jedenfalls erfolgreich eingesetzt, da der „Der Tag“ schon nach zwei Jahren trotz großer Konkurrenz, eine Auflage von 55.000 erreichte. '® Diesen Blankoscheck und die Verbindung zu Sigmund Bosel wird Karl Kraus, dessen erste Publikationen in „Die Wage“ erschienen waren, seinem ehemaligen Kollegen Maximilian Schreier nicht verzeihen. In „Die Fackel“ wird mit ihm ins Gericht gegangen: Es ist ja gewiß löblich, daß sich Schreier durch eigene Gewure [...] bis zum Chefredakteur des Herrn Bosel und infolgedessen zur Freundschaft mit Herrn Schober aufschwingen konnte. Es ist schön von ihm, daß aus ihm nicht nur ein linksorientierter Publizist wurde, sondern auch ein tüchtiger Freimaurer, der heute mit der Legalisierung der Heimwehrbestrebungen sympathisiert |...] Herr Schreier mag die feierliche Kapitulation des Staates vor der Gewalt als „deutlichen Hinweis auf ihre Existenz“ rechtfertigen wie er will und es sich mit den Brüdern ausmachen, wieviel er danach unter ihnen noch wert ist. Er mag auch, wie er kann, es sich mit den Heimwehrführern richten, die vorläufig des deutlichen Hinweises nicht müde werden, dafs seine Blätter von der tschechischen Regierung gekauft sind. Er mag als freigesinnter Israelit der Schrittmacher eines Faszismus sein, der in Osterreich vielleicht wirklich nicht so ernst zu nehmen ist, weil er ja doch nur in den Formen eines Schmusolini vertreten sein könnte.‘ Mit dem Blankoscheck Sigmund Bosels hatte Maximilian Schreier einige der besten und republikanisch gesinnten Autoren Österreichs für „Der Tag“ gewinnen können, so seinen alten Mitstreiter Hugo Bettauer, dessen publizistische Tätigkeit Karl Kraus ebenfalls ablehnte, oder Anton Kuh. Und tatsächlich war nach dem Bankrott Sigmund Bosels um 1925 die tschechoslowakische Regierung über den von ihr aufgekauften „Vernay-Konzern“ in Maximilian Schreiers Zeitungswelt finanziell eingestiegen. Da die Tschechoslowakei neben der Schweiz bald die letzte existierende Demokratie Mitteleuropas war, sollten die Zeitungen der „Vernay AG“ nach dem Februar 1934 auch die letzten demokratischen Hochburgen der Publizistik in Österreich bleiben."$ Maximilian Schreier veröffentlichte zwischen Februar 1934 und März 1938 regelmäßig politische Kommentare in „Der Morgen“. Als überzeugter Republikaner musste er nun unter den Bedingungen der Zensur, in Zeiten der Diktatur gegen diese anschreiben, ohne das weitere Erscheinen der Zeitung zu gefährden. Diese Gratwanderung machte ihn oft unbeliebt. Als er z.B. 1936 ein Erinnerungsporträt für Kaiser Franz Joseph zu dessen 20. Todestag schrieb, konnte man in der im Brünner Exil erscheinenden „Arbeiter-Zeitung“ lesen, dass er zu jenen Konjunturrepublikanern von gestern [gehört], die jetzt den Monarchisten in den Hintern kriechen.' Dabei wurde übersehen, dass Maximilian Schreier den 1916 verstorbenen Kaiser als weisen und guten Herrscher darstellt, weil er, Schreier zufolge, die Demokratie gefördert habe. Und auch wenn das nur schr bedingt stimmt, so wurde in einer von Faschisten und Monarchisten gestützten Diktatur die Meinung publiziert, dass ein guter Kaiser der sei, der Demokratie fördert. Zugleich schaffte Maximilian Schreier 1936 den Kunstgriff Viktor Adler als einen Politiker hinzustellen, der im positiven Sinne Österreich mitgestaltet habe, auch, bzw. gerade wenn er den Gründer der Sozialdemokratie, wie man sich in der „Arbeiter Zeitung“ empört, folgendermaßen falsch zitiert: Schon im Jahre 1890, lange ehe die demokratischen Ministerpräsidenten Körber und Beck zur Führung der Staatsgeschäfte berufen wurden, noch in den Tagen des Grafen Taaffe, schilderte Dr. Viktor Adler auf dem ersten internationalen Sozialistenkongreß in Paris die Freiheit in Österreich mit folgender Sentenz: „Abgesehen von Frankreich und England hat Österreich vielleicht in ganz Europa die freisinnigsten Gesetze, so sehr, daß es einer Republik ähnelt, die statt eines Präsidenten eine Majestät an der Spitze hat. ”° Maximilian Schreier hat hier eindeutig übertrieben, doch erinnern diese erfundenen Fakten daran, dass es selbst in der Monarchie Juli 2019 53