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unter dem konservativen Premierminister Taaffe demokratischer zugegangen ist als im Ständestaat unter dem sich als Monarchisten verstehenden Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Und fast könnte man meinen, Maximilian Schreier gibt dem Bundeskanzler eine Anleitung, wie er denn im Sinne „der größten historischen Gestalt des Habsburger Geschlechtes“, wie er Kaiser Franz Josef nennt, das Regieren anlegen sollte, wolle er ebenfalls zum „Wohle des Ganzen“ und bevor es „viel zu spät“ ist, handeln: Aber man glaube ja nicht, daß es Franz Josef leicht gemacht, wurde, mit der Zeit zu gehen. Er selbst war bereit, dem Wohle des Ganzen, Stück um Stück von der Macht der Krone abzutreten |...] Jene, die versuchten, ihm das Vorwärtsschreiten mit der Zeit zu erschweren, waren nicht die unteren Schichten der Bevölkerung, nicht die Massen, die oft als Gegensatz der auf der Höhe wandelnden Größen angesehen werden, sondern es waren seine Paladine und deren politische Anhänger, die der Zeichen der Zeit weit später gewahr wunden, oft als es schon viel zu spät war.” Wenn Osterreich gerettet werden soll, deutet 1936 Schreier an: Dann nur mit den „unteren Schichten der Bevölkerung“, also den ArbeiterInnen, und nicht mit den wieder an der Macht seienden ,,Paladine“ des Ancien régime. Und die Gefahr, vor der Osterreich, Europa gerettet werden musste, waren die Nazis. Die konsequente Gegnerschaft Maximilian Schreiers gegen diese seit den 1920er-Jahren wird wiederum ihn zu einem ihrer größten Feindbild in Österreich machen. So war der Montagszeitung „Der Morgen“ ein eigener Schwerpunkt in der im August 1938 eröffneten antisemitischen Ausstellung „Der ewige Jude“ im Nordwestbahnhof gewidmet. Mit der typisch für die Nazis menschenverachtenden Sprache waren die Personenbeschreibung zu den verschiedenen antinazistischen PublizistInnen verfasst worden. Zu Maximilian Schreier war zu lesen: Jude, Eigentümer, Verleger und Herausgeber, berüchtigtster Greueljournalist Europas, Hochgradfreimaurer der Loge „Die Zukunft‘, Organisator der antinationalsozialistischen Propaganda, höchstbezahlter Journalist Österreichs. Die Spezialität seines Blattes „Der Morgen“ waren Greuelaufsätze wie: „Täglich Leichen im Landwehrkanal, „Aus der braunen Hölle‘, „Mord- und Brandbestien“.”? Am 15. Juni 1942 nahm sich Maximilian Schreier in Wien das Leben. Und es war nicht der erste Selbstmordversuch, den der seit März 1938 wiederholt eingesperrte und verurteilte schwerkranke Mann verübte. Mehrfach in Gestapo-Haft, KZ Dachau und KZ Buchenwald, war er schließlich in einem Prozess im Jahre 1940 wegen Hochverrats zu 18 Monaten Kerker verurteilt worden. Maximilian Schreier hätte ein Visum für Schweden gehabt, durfte aber Wien nicht mehr verlassen.” In dem vom Schriftsteller Ludwig Ullmann verfassten, in der New Yorker Exilzeitschrift „Freiheit für Österreich“ vom 1. März 1943 erschienenen Nachruf konnte man lesen: Hitler hasste diesen wahren Führer der Wiener demokratischen Journalisten persönlich. Er hasste in ihm nicht nur den geborenen Zeitungsgriinder — das von Schreier [...] ins Leben gerufene grosse Montagsblatt „Der Morgen“ und sein Tagesblatt , Der Wiener Tag“ zählten zu den europäischen Zeitungserfolgen - nicht nur den Finder und Förderer von Talenten, Persönlichkeiten und Einfallen, nicht nur den Kämpfer für Ideen und Rechte. [...] Er verkörperte jene Demokratie des Denkens, die in einer kleinen und kleinlichen Zeit der Gehässigkeiten der Meinungen und Fraktionen längst ein leerer Begriff geworden ist.“ 54 ZWISCHENWELT Anmerkungen 1 Im Herbst 2019 wird im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft Alexander Emanuelys „Am Beispiel Colbert. Fin de Siecle und Republik“ erscheinen, wo auf Carl Colbert, aber auch sein politisches Umfeld, wie auf die Wiener DemokratInnen, die „Wiener Mode“, die „Bereitschaft“, Olga Misaf u.v.m. ausführlich eingegangen wird. 2 Der Morgen vom 24.1.1910, 1. Auf: anno.onb.ac.at (1.1.2018) 3 Hildegard Kernmayer: Judentum im Wiener Feuilleton (1848-1903). Exemplarische Untersuchungen zum literarästhetischen und politischen Diskurs der Moderne. Tübingen 1998, 285. 4 Kurt Sonnenfeld: Wiener Publizisten von heute. V. Maximilian Schreier. In: Wiener Montags-Journal vom 11. Juli 1921, 3. Auf: anno.onb.ac.at (1.1.2018) 5 Kurt Sonnenfeld: Wiener Publizisten von heute. V. Maximilian Schreier. In: Wiener Montags-Journal vom 11. Juli 1921, 3. Auf: anno.onb.ac.at (1.1.2018) 6 Schreier Maximilian. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 18151950 (ÖBL). Band 11, Wien 1999, 201. 7 Richard Kola: Rückblick ins Gestrige. Wien 1922, 190. 8 Neues Frauenleben. 2/1916, 39. 9 Maximilian Schreier. Ein Wort an das demokratische Bürgertum. In: Der Morgen vom 25. November 1918, 5. Auf: anno.onb.ac.at (1.2.2018) 10 Ebenda. 11 Der Morgen vom 27. Jänner 1919, 3. Auf: anno.onb.ac.at (1.7.2018) 12 Arbeiter-Zeitung vom 23. März 1927, 3. Auf: anno.onb.ac.at (1.6.2018) 13 Maximilian Schreier: Warum ich aus der bürgerlich-demokratischen Partei ausgetreten bin. In: Der Morgen vom 28. März 1927, 5. Auf: anno. onb.ac.at (1.7.2018) 14 Zum Beginn. In: Der Tag vom 25. November 1922, 1. Auf: anno.onb. ac.at (1.5.2018) 15 Karl Ausch: Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption. Wien 2013, 215. 16 Vgl. Kurt Paupie (Hg.): Handbuch der österreichischen Pressegeschichte. 1848 — 1959. 2. Bde, Bd. 1, Wien. Wien, Stuttgart 1960, 80. 17 Karl Kraus: Der beste Einer. In: Die Fackel, XXXI. Jahr, Heft 820-826, Oktober 1929, 105. 18 Alexander Emanuely: Der Fotograf Hans Oplatka und seine Familie. In: Zwischenwelt. Zeitschrift fiir Kultur des Exils und des Widerstands. Nr. 2-3/2014, 47f. 19 Die Monarchisten sollten Viktor Adler aus dem Spiel lassen. In: Arbeiter Zeitung vom 12. Dezember 1936, 12. Auf: anno.onb.ac.at (1.5.2018) 20 Maximilian Schreier: Franz Josefs Bild nach 20 Jahren. In: Der Morgen vom 23. November 1936, 9. Auf: anno.onb.ac.at (1.5.2018) 21 Ebenda. 22 Die Wiener Bühne. Nr. 478, August 1938, 35 23 Ein einziger Brief meldet all dies Leid... In: London Information of the Austrian Socialists in Great Britain, N° 18 vom 1. Oktober 1942, 7. Auf: anno.onb.ac.at (1.7.2018) 24 L.U. (Ludwig Ullmann): Zwei Nachrufe. In: Freiheit fiir Osterreich. Austrian Democratic Review. Nr. 9, 1. Marz 1943. Zit. In: Norbert Knittler: Der verlorene Koffer. Eine Geschichte der österreichischen Freimaurer während des Nationalsozialismus. Wien 2004, 61.