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Kompagnien der Heimatwehr, der christlich-deutschen Turnerschaft und der ostmärkischen Sturmscharen waren schon im Laufe des Samstag von der Polizei mit Infanteriegewehren, starker Munition und Bajonetten ausgerüstet worden. Alle trugen das Abzeichen der Hilfspolizei und wurden in verschiedenen Gebäuden der Inneren Stadt einquartiert. Im alten Bankgebäude in der Bankgasse waren Heimwehrleute, ebenso im Gebäude der ehemaligen Depositenbank in der Teinfaltstraße, in der Polizeidirektion selbst Sturmscharen, im Militärkasino christlich-deutsche Turner und an verschiedenen anderen Stellen die übrigen Schutzkorpsmitglieder untergebracht. An den Straßenecken standen Wachleute und Hilfspolizisten mit aufgepflanztem Bajonett. Das Denkmal der Republik war abgesperrt, das Parlament völlig zerniert. Auch die Telegraphenämter, die Telephonzentralen, das Polizeigefangenenhaus, die Polizeidirektion auf der Rossauerlände, die Ministerien und die lebenswichtigen Betriebe standen unter verstärktem Schutz. Die strengen Absperrungsmaßnahmen konnten aber noch im Laufe des Vormittags aufgehoben und die Überfallsautos, die mit Polizei besetzt die Straßen durchführen, wieder eingezogen werden. Gegen Mittag bot die Stadt ihr gewohntes Bild, erst Franz Trescher Österreichische Republiksfeier 1933 Die österreichische Regierung hat die Feier des 15. Geburtstages der österreichischen Republik verboten. Vom 10. bis zum 12. November demonstrierten die sozialdemokratischen Arbeiter gegen dieses Verbot und für die Republik. Es wurden mehr als tausend Arbeiter verhaftet, hunderte zu hohen Gefägnisstrafen verurteilt; viele Versammlungen und Demonstrationen wurden mit dem Polizeiknüttel aufgelöst. Atsch! so blies der Kotter mich an, mit Stank und Kälte pfiff er micht an, ätsch! sag‘, was hast du davon, was riefst du „Freiheit!“ und „Hoch die Republik!“? Vier Wochen mit dir in die Zelle, mein Sohn, für „Freiheit!“ und „Hoch die Republik!“ Die Kälte biß und der Kübel stank und es klappt von der Mauer Matratze und Bank, Das alles, alles, alles, mein Sohn, vier Wochen Zelle, Kälte und Hunger zum Lohn für „Freiheit!“ und für „Hoch die Republik!“ Der Polyp im Wachtraum, feister Patron, „ätsch!“ sagt er, „was hast du davon, von der Freiheit und von der Republik?“ Und er hieb mit dem Knüttel mir hinters Genick, mit dem Knüttel, der Mann, mächtig und dick. „Ein Dreck die Freiheit, ein Dreck die Repblik!“ Vier Wochen lief die Zelle ich lang zwischen Pritsche und Kübel, vier Schritte der Gang, Hunger im Darm und Frost im Genick, und eins nur gedacht: Freiheit! und Republik! 56 ZWISCHENWELT abends wieder setzte ein verstärkter Bummel ein und auch die Hilfspolizei entfaltete eine regere Patrouillentätigkeit. 225 Verhaftungen Die Polizei nahm insgesamt 225 Personen zumeist wegen Ordnungsstörung fest. Die Angehaltenen wurden zum Teil nach Aufnahme ihres Nationales wieder entlassen. Gegen einzelne von ihnen wurden sofort die entsprechenden Amtshandlungen eingeleitet und Polizeistrafe verhängt. Zum Teil wurde auch mit der Anzeige an das Gericht vorgegangen. Hochamt in der Stefanskirche Anläßlich des Republikfeiertages fand um 9 Uhr vormittags in der Stefanskirche ein vom Weihbischof Dr. Kamprath zelebriertes Hochamt statt, an dem fast die gesamte Bundesregierung teilnahm. In den Bankreihen zu beiden Seiten des Hochaltars sah man Bundespräsidenten Mikals [sic!] und Bundeskanzler Dr. Dollfuß mit den Mitgliedern der Regierung, den Polizeipräsidenten Doktor Seidel, viele hohe Beamte der verschiedenen Ministerien, zahlreiche Nationalräte und christlichsoziale Gemeinderäte. Am Schlusse des Hochamtes spielte die Orgel die Bundeshymne. Das Hochamt war um etwa 10 Uhr zu Ende. Wartet nur, wartet, es währt nicht mehr lang, wir holen sie uns wieder zurück — aus Gefängnis und Dreck und Untergang — die Freiheit und die rote, rote Republik! Franz Trescher (1.9.1909 Wien — 20.8.1980 Wien) war von 1928 bis 1934 freier Mitarbeiter der Arbeiter-Zeitung und des Tagblatts, schrieb politische Artikel, Glossen, Feuilletons und Kurzgeschichten. Außerdem veröffentlichte er Beiträge in deutschen Blättern, darunter Vorwärts (Berlin) und Deutsche Republik (Frankfurt am Main). Er war Vortragender beim ersten Autorenabend der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“. 1934 verlor er seine Arbeitsmöglichkeiten als Journalist. Im Mai 1938 wurde er Buchhalter bei der Autohandlung „Karl Heinisch“ in Wien. Von Oktober 1939 bis Juni 1940 Angestellter der „Ersten Allgemeinen Unfall- und Schadensversicherung“. Er wohnte im 5. Bezirk, Matzleinsdorferplatz 1. Von September 1940 bis Dezember 1941 war Franz Trescher kriegsdienstverpflichteter Hilfsarbeiter bei der „Steyr-Daimler-Puch AG“ in Steyr, ab dem 10.12.1941 Soldat der deutschen Wehrmacht. MailJuni 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Nach Wien zurückgekehrt, arbeitete er als freier Mitarbeiter für die Oberösterreichischen Nachrichten und die Arbeiter-Zeitung. Im November 1945 wurde er Redakteur der Wiener Bilderwoche. Vorstandsmitglied der Journalistengewerkschaft, Leiter der Fachgruppe „Wochenzeitungen und Zeitschriften“, Mitglied des Presseclubs Concordia. Er wohnte im 4. Bezirk, Mühlgasse 13. Zu Leben und Werk von Franz Trescher finden sich einige wenige Unterlagen und Hinweise im Archiv Exenberger (siehe: www.theodorkramer.at). Das Gedicht „Österreichische Republiksfeier 1933“ ist unseres Wissens bisher unveröffentlicht. — A.E.