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unterhielten die Hauptniederlassungen in Wien, wo auch die Eisenbahnen und Schiffahrtsgesellschaften verankert waren und von wo aller Export besorgt wurde. So war es auch in allen anderen Beziehungen. Universität, Technik, Kunstakademien waren auf den Zustrom aus dem ganzen großen Reiche zugeschnitten, desgleichen die Hotels und Sanatorien. Eine Fülle der tüchtigsten Rechtsanwälte und Ärzte gab es in Wien, aber die Zerstückelung der Monarchie beraubte sie des Betatigungsgebietes. Unter solchen Umständen wäre der Anpassungs-, der Umstellungsprozeß jedenfalls langwierig und schmerzhaft gewesen. Eine Reihe von Katastrophen gestaltete den Leidensweg verhangnisvoll und verzerrte die Urteilsmöglichkeit über die Lebensfähigkeit des Landes. In erster Linie ist die Geldentwertung zu nennen. Wohl wurden die öffentlichen Verwaltungen auf diese Weise schuldenfrei, alle Hypotheken auf Haus- und Grundbesitz waren weggewischt und die Bauernschaft zum ersten Male von jeder Zinsenlast befreit. Der Verlust der einen, der Gewinn der anderen wire eine schwere Erschiitterung des Gesellschaftsgefiiges gewesen, ohne aber am Vermögensstand des Gesamtvolkes etwas zu ändern. So aber wickelten sich die Dinge nicht ab. Wie die Toten eines Schlachtfeldes die Aasgeier aus weiten Fernen anlocken, so strömten nach Österreich die Beutegierigen aus allen Teilen der Welt, um mit ihrer besseren Valuta von der Zerstörung des österreichischen Geldwesens zu profitieren. Die heimische Bevölkerung, ungewohnt, in Gold zu rechnen, verstand einfach nicht, was vorging. Zu den lächerlichsten Schleuderpreisen veräußerte sie Juwelen, Kunstgüter, Häuser, Fabriken, Aktien, landwirtschaftlichen Besitz. Ein großer Teil des österreichischen Aktivums ging in fremde Hände über. Dann versuchten österreichische Spekulanten das gleiche Spiel beim Zusammenbruch der Mark; sie hatten Erfolg. verloren aber die ganzen Vermögen, als die Spekulation auf das Zugrundegehen des französischen Franc fehlschlug. Wieder wurde Österreich ein Riesenbetrag entzogen. Die Nachholungskonjunktur zur Auffüllung der leeren Warenläden wurde weit überschätzt. Jeder Tag brachte neue Gründungen. Obwohl die Banken für das kleine Land zu zahlreich und zu groß waren, konzessionierte die Regierung bedenkenlos eine ganze Reihe von neuen. Alle wetteiferten miteinander in der Leichtfertigkeit der Kreditgewährung. und so folgte auch ein Krach dem anderen. Junge und alte Banken schlossen Ihre Schalter, bis mit dem Bankrott der Creditanstalt, der sogenannten Rothschildbank, der Skandal Weltdimension erreichte. Ohne Befragen des Parlaments übernahm die Regierung die Haftung für alle Schulden der Creditanstalt. was dem Staate ein gigantisches Opfer auferlegte. Selbst die Postsparkasse, eine staatliche Stelle, ließ sich zu wüsten Börsenspekulationen verleiten, und auch dafür hatte die Allgemeinheit mit Dutzenden Millionen Schilling aufzukommen. Auf der gleichen abschüssigen Bahn nahm der „Phönix“, die größte Versicherungsanstalt des Landes, ein unrühmliches Ende, verbunden mit einer Reihe schandbarster Korruptionen von Mitgliedern der Regierungspartei. Die inneren Spannungen hatten zum Teil ihre Ursache darin, daß das Bürgertum sich nicht mit dem politischen Aufstieg der Arbeiterklasse abfinden wollte, zum Teil waren sie die Folge planmäßiger ausländischer Wühlarbeit. Faschismus und Nazismus machten Österreich zu ihrem Manöverfeld. Heftigste Entladungen störten die ruhige Entwicklung des Wirtschaftslebens. An all dem, was nur in knappsten Umrissen hier skizziert worden ist, hätte der gesündeste Organismus zugrunde gehen müssen. Dabei war aber noch die ganze Welt zur gleichen Zeit aus den Fugen geraten. Heute erkennen wir deutlicher als damals, daß die beiden Jahrzehnte nach dem ersten Weltkrieg nichts anderes als der Übergang zum zweiten gewesen sind. Österreich steht mit seiner Arbeitslosigkeit keineswegs vereinzelt da. Im Deutschen Reich ist die Zahl der Arbeitslosen prozentuell nicht geringer gewesen, und erst die Aufrüstung Hitlers zum Totentanz hat sie beseitigt. In England gab es Millionen Arbeitslose. und als die Depression in Amerika einsetzte, stieg die Seuche der Arbeitslosigkeit in diesem so reichen Lande sogar zu noch höherem Umfange. Trotzdem zeigten sich in Österreich Ansätze zur Gesundung. Insbesondere in der Landwirtschaft. Der Geldwert blieb ziemlich stabil. Das Defizit der Handelsbilanz war rückläufig. und die Nationalbank verfügte über einen Goldschatz von 225 Millionen, über Devisen von 33 Millionen Schilling. Vielleicht wäre die Einwurzelung doch allmählich gekommen und das Mißtrauen in die eigene Kraft, in die Lebensfähigkeit des Landes geschwunden, hätten nicht auf Geheiß Mussolinis die Austrofaschisten im Februar 1934 den Bürgerkrieg proklamiert, die Arbeiterschaft niedergeschlagen. Die vier Jahre von da ab bis zur Annexion durch Hitler sind von hoffnungslosem Marasmus erfüllt. Am Ende des zweiten Weltkrieges wird Österreich neuerlich ausgeblutet und arm sein. Darum ist es an der Zeit. ruhig zu prüfen. ob dieses unabhängige und selbständige kleine Land Aussicht auf Bestand hat oder ob es wieder zusammenbrechen muß. Das Wort „lebensfähig“ besagt nichts Entscheidendes. Es kommt auf das Niveau der Lebenshaltung an. In der Monarchie war es sehr verschiedenartig. Die durchschnittliche Lebenshaltung in Galizien, in der Bukowina, in der Slowakei konnte mit der weit höheren Wiens und der westlichen Kronländer nicht in einem Atem genannt werden. Auch unter den hart ringenden Gebirgsbauern und in der Arbeiterschaft gab es nicht jenes schreckliche Elend, das in den schlesischen Weberdörfern, in den böhmischen Glasmacherorten zu Hause war. Gerade jener höhere Standard, den die Hauptstadt und die Reichsteile im Westen hatten, machte die Anpassung so dornenvoll. Ein großer Teil dieses rückläufigen Prozesses hat sich in den letzten 25 Jahren vollzogen. Eine wesentliche Umschichtung in den Berufszweigen der Bevölkerung ist seither eingetreten. Es wäre fast unmöglich. die Frage nach der Lebensfähigkeit Österreichs zu beantworten, gäbe es nicht ein Vergleichsobjekt, wie es in dieser Art für kein anderes Land in der Welt zu finden ist. Und das ist die angrenzende Schweiz. Als beste Einleitung zu dem anzustellenden Vergleiche mag der Bericht dienen, den die weltbekannten wirtschaftlichen Sachverständigen Sir Walter Layton, Director of the Economic and Financial Section of the League of Nations, und der Vizegouverneur Juli 2019 59