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zur Müllabfuhr ohne Ausschreibung an Migranten-Kooperativen vergeben haben. Mitte Oktober kündigte das Innenministerium an, die MigrantInnen würden bald in andere Flüchtlingsunterkünfte in Italien gebracht. Die vergangenen Monate waren nicht nur für Lucano, der zuerst unter Hausarrest gestellt und dann mit einem Ortsverbot belegt wurde, hart. Lucanos Lebenswerk geriet ins Stocken, und darunter litt auch die Bevölkerung Riaces. 200 Flüchtlinge wurden umgesiedelt. Nur 40 blieben, die ohne finanzielle Hilfe ausharren. Die Ermittlungen gegen Riaces Bürgermeister begannen bereits unter der Regierung von Ex-Premier Renzi und dem als Hardliner bekannten früheren Innenminister Minniti. Nach dem Regierungswechsel wurde der Kampf gegen Migranten unter Nachfolger Salvini weiter verschärft. Lega-Chef Salvini äußerte sich stets abschätzig über Lucano, den Menschenfreund aus dem Süden. Nach monatelanger Odyssee kann der ehemalige Bürgermeister des Vorzeige-Migranten-Dorfs Riace in Kalabrien einen Erfolg verbuchen: Der oberste Gerichtshof hat Mimmo Lucano von Kurt Kreiler Lehrerin von Beruf, war sie allseits bekannt fiir ihr unerbittliches Urteil und ihre Anstoß erregende Offenheit. Ihre Schüler erlebten sie als unkonventionell und engagiert. In ihrem Leben schuf sie das Gleichgewicht zwischen Strenge und Toleranz, bitterem Lachen und lapidarem Witz. Die Männer, mit denen sie gelebt hatte, waren nicht von Dauer, die Familie — eine pflegebedürftige Mutter, eine ihr zugeneigte Schwester, ein geistig ärmlicher Bruder - lief als lockeres Knäuel und geliebtes Gräuel neben ihr her. Sie nahm Wien als ihr Schicksal und ihre Berufung an. Als „Halbjüdin“ wurde sie 1938 exmatrikuliert und 1945 mit dem gleichen Passfoto immatrikuliert. Geboren im Jahr 1920 als Tochter des Fußballpioniers Hugo Meisl, ein Leben lang wohnhaft im Karl-Marx-Hof, Zeugin des blutig niedergeschlagenen proletarischen Aufstands von 1934, angewiderte Zeitgenossin des faschistischen Unheils, Gefangene der Bombennächte, unerschrockene Pädagogin nach dem Krieg, Germanistin und Kunsthistorikerin, eine Freundin der Gelehrsamkeit und Frau mit gutem Gedächtnis, schien ihr das Leben eine Groteske, der geistvoll entgegengetreten werden musste. Hermann Broch und Thomas Bernhard waren ihre Briider. Das Schreiben betrieb sie im Geheimen und leidenschaftlich, wenige wussten davon, ihre Freunde hielten sie fiir eine Malerin, was sie ebenfalls war, aber von bescheidenerem Talent. Gegen Ende ihres Lebens nahmen ihr Witz an Hellsicht, ihre lichtvollen Augen an Dunkelheit zu. Sie verbringt zwei Tage im Heim fiir alte Kiinstler: Nein, so narrisch bin ich doch noch nicht, dass ich hier bleiben müsste. Martha Meisl starb 2013 in Wien. „Martha war ein vielschichtiger Mensch, der nicht geblendet hat“, schreibt ihr Neffe R. „Ihre Tiefe war für mich dunkel, aber gewaltig. Sie hat als ‚geistiges Trümmerweib‘ den Wiederaufbau des Humanismus nach der Grauenszeit aktiv betrieben und den Preis des Unverständnisses in Kauf genommen. Woraus sie kein Geheimnis machte, war ihr Hass auf das Blöde. Nie vergesse ich unsere Begegnung am Heldenplatz während einer allen Vorwürfen freigesprochen. Trotzdem darf Lucano bis auf weiteres nicht nach Riace zurückkehren, was ihn nicht davon abhält für politische Positionen zu kandidieren. „Ich habe immer gesagt, dass man mit der Verurteilung Mimmos nur der Ndrangheta (kalabrische Mafia, Anm.) einen Gefallen tut. Wir müssen dafür kämpfen, dass der Staat Mafıa und Korruption besiegt und nicht auf Menschen mit einem großen Herzen und Mut wie Lucano losgeht“, kommentierte Neapels Bürgermeister Luigi De Magistris, die Entscheidung des Kassationsgerichtes. Eine Online-Petition hat sich unter anderem unter dem Hashtag #iostoconmimmo („Ich stehe zu Mimmo“) und #riacepremionobelperlapace zum Ziel gemacht, Riace für den Friedensnobelpreis zu nominieren. Über 100.000 Unterschriften wurden gesammelt. Lucanos AnhängerInnen hoffen, dass nach Lucanos Rückkehr aus dem Exil im Nachbardorf der Ort zu neuem Leben erwacht: „Sie haben Menschen deportiert. Sie versuchten, eine Wüste daraus zu machen und nannten es Legalität. Aber die Buntheit hat gewonnen. Viva Riace, viva Mimmo!“ Protestveranstaltung anlässlich der Waldheim-Geschichte, als sie plötzlich neben mir stand und lachend sagte: So, gehörst du jetzt auch zur Kommunistenbagage.“ Ihre Erzählung „Die Angst“ entstand 1970. Juli 2019 67