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Nicht einfach an den Handgelenken zu packen ist und wegzuschleifen? Reicht ein Stein? Was wiegt kein Stein? Omofuma-Stein Steinerner, tonnenschwerer Iraum eine Mundvoll Luft zu bekommen statt eines Denkmals aus faltigem Granit, das jetzt hier steht, wo er selber lieber stehen würde im Regen, vielleicht unter einem Schirm, auf jemanden wartend, der sich verspätet, bepackt mit vollen Einkaufstaschen, aus denen grüne Stangen ragen, die gekocht werden wollen, Büschel von Koriander oder Petersilie, Zitronen, Erdäpfel, Fleisch für Schnitzel. Wer weiß das schon. Wer weiß das schon, hättest du gejobbt, studiert, gedealt, anderen Klischees entsprochen, wärst du vielleicht der erste schwarze Bundespräsident geworden der Zweiten Republik, alles zusammen? Oder einfach unbekannt geblieben, und am Leben? Einzigartig und unbekannt? So aber steht ein Stein da ohne Schirm und Einkaufstaschen, erinnernd an den Luftbalg einer aufgestellten Konzertina, der nicht zusammensackt, mit einem Seufzen Luft ausstoßend, der sich nicht heben kann, Luft einsaugend, keine Rede von Musik, Akkorden - nicht einmal von erstarrten Harmonien, weil niemand musizieren kann, singen, nicht eimal seufzen, wenn der Atem stockt. Ein Denkmal unserer Apnoe für jemanden, der jetzt noch atmen könnte, in unserem Land, ein Denkmal der starren Wut der einen über die starre Angst der anderen, ein steinernes Denkmal, das mahnt an eine Mundvoll Luft, ohne die wir selbst ersticken — in unserem Land voll Petersilie und Koriander. 72 ZWISCHENWELT Über Ulrike Trugers Skulptur „GIGANT Mensch Macht Würde“ schrieben Martin Pollack in ZW Nr. 3-4/2009 und Leander Kaiser in ZW Nr. 1-2/2010. Leander Kaiser führte aus: Mit dem gewaltigen Stein „G/GANT Mensch Macht Würde“ kulminiert die Reihe der Denkmalsetzungen der Bildhauerin Ulrike Truger in Wien. Er überragt nicht nur den „Omofuma“Stein auf der Mariahilferstraße beim Museumsquartier und „Die Wächterin“ vor dem Burgtheater durch seine Höhe von sechs Metern bei einem Gewicht von 16 Tonnen Marmor. Er fasst auch die Thematik zusammen: die notwendige Empörung und den Widerstand gegen die Entwürdigung des Menschen. Ich spreche von „Denkmalsetzungen“, weil es in jedem Fall ein politisches und künstlerisches Handeln ohne Auftrag, aus Eigenwillen und persönlichem Verantwortungsbewußtsein, auf Risiko und Rechnung der Künstlerin war. Wie auch diesmal war jede Denkmalsetzung ein Kampf um die Durchsetzung des Ortes und der Präsenz im öffentlichen Raum. Ein Kampf sowohl für das humanistische Anliegen als auch für die Gültigkeit der künstlerischen Aussage; und ein Kampf gegen den resignativen Rückzug der Kunst aus der politeia. [...] Ulrike Truger nimmt sich heraus, selbst den Ort zu bestimmen. Sich nicht abschieben zu lassen ins Abseits. Nicht hinzunehmen die „repressive Toleranz“, die ein Denkmal des Widerstands gern dort erlaubt, wo es niemanden stört und niemand bemerkt. Verstreutes Eine Erklärung der türkisch-kurdischen „Tegvera Jinen Azad“ (TJA), Freie Frauenbewegung, vom 25. Februar 2019 gegen die Politik der AKP Erdogans und deren Parole „Eine Nation, eine Fahne, eine Religion, eine Sprache“: Die physische, seelische, soziale, politische und ökonomische Gewalt gegen Frauen gründet auf ihrer Straflosigkeit [...] Heute werden unter Verletzung aller nationalen Gesetze und internationalen Vereinbarungen [...] Gesetze vorbereitet, die die Zwangsheirat von Kindern wieder ermöglichen, das Recht auf Abtreibung durch Einschränkungen praktisch unmöglich machen und die Ehescheidung durch eine aufgezwungene Mediation behindern. [...] In den Deklarationen des Staates rechtfertigen sich männliche Hegemonie und Gewalt, indem sie Polygamie und Zeitehe als traditionell und kulturell bedingt erklären. Die Auswirkungen von 17 Jahren islamistischer AKP-Herrschaft werden in der Folge unter anderem durch die enorme Zunahme der Prostitution (u.a. mittels sogenannter Zeitche; laut Tegvera Jinen Azad um 790 %) illustriert. Nicht erwähnt ist, in welchem Ausmaß im selben Zeitraum das von der AKP forcierte Kopftuchtragen zugenommen hat. Hypothese: Frauenrechte werden eingeschränkt, wo das Kopftuch sich ausbreitet. Zugleich ist das eine Frage an jene AntirassistInnen, deren Antirassismus bloß die von der extremen Rechten bereits vorgenommenen Ausgrenzungen spiegelverkehrt repetiert.