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Gespräch mit einem Unbekannten führt, sprach er darüber, was mich in Madrid erwarten würde: Zerfall innerhalb der sozialistischen Partei — Doppelnatur der anarchistischen Bewegung mit ihrem Talent zur Improvisation und ihrer starren Ablehnung zentraler Planung, organisatorische Ansätze der Kommunisten, aber in Wahrheit nicht unter den offiziellen Führern... Er war nicht optimistisch. Aber von seiner eiskalten Einschätzung der Machtverhältnisse ging kein Gefühl der Panik aus. Die Panik fühlte ich erst einige Stunden später in den Gängen des Außenministeriums von Madrid geistern, unter den höheren Beamten und den Journalisten. Die ausländischen Korrespondenten, in ihrer Mehrzahl weniger Franco-freundlich als der sozialrevolutionären Bürgerkriegsfront gegenüber feindlich eingestellt, waren entsetzt, als ich zu ihnen stieß. Der Fall Madrids sei nur eine Frage von Tagen, ich — die antifaschistische Emigrantin - solle schleunigst weg. Ich ging in der Stadt herum und präsentierte meine Briefe, an denen natürlich niemand mehr interessiert war. Die Straßen waren voll von Milicianos mit roten oder schwarzroten Halstüchern, die herumschlenderten. Im Pressebüro packte man Akten ein und verbrannte andere. Ich schrieb einen Artikel für das norwegische Arbeterbladet und kam mir fehl am Platz vor. Am 5. November kamen ein paar Deutsche von der Front, die Madrid ganz nahe gerückt war, in das Hotel Gran Via, wo ich wohnte. Gustav Regler war unter ihnen, schmutzig und maßlos übermüdet, aber unter Zwang, mit Menschen zu sprechen. Er kam von einer der internationalen Kolonnen, wie man es damals noch nannte, und sein sehnlichster Wunsch war, ein heißes Bad zu haben. Jedes optimistische Wort klang hohl. Die anderen hatten die Flugzeuge und die Tanks und die Artillerie und die Offiziere. Man müsse Zeit gewinnen, Zeit für die anderen internationalen Kolonnen. Die Spanier? Ja, die Umstellung von der Miliz auf ein Heer dauerte lange, das Mißtrauen gegen Berufsoffiziere, nur zu begreiflich angesichts der Verschwörung der Generäle und Offiziere, sei zerstörend. Und Spanier seien so schwer zu organisieren... Am 7. November in aller Frühe wurden jene Auslandskorrespondenten, die sich nicht in eine unanfechtbare Gesandtschaft oder Botschaft zurückziehen konnten, um dort den Einzug der Nationalisten zu überdauern, in einer langen Autokolonne von der Presseabteilung des Außenministeriums nach Valencia evakuiert. In der vorhergehenden Nacht war die Regierung selbst nach Valencia übersiedelt. Auch ich, die ich mich dem Außenministerium unterstellt hatte, wurde so abtransportiert. Bei jeder Straßensperre — wie viele es waren! — mußte der Pressechef mit den Wachposten verhandeln. Wir sahen nichts als finstere Blicke, denn wir verließen Madrid ja: wir desertierten. Ein paar Engländer konnten wenigstens für sich reklamieren, daß sie zuhause über die Fliegerangriffe auf die wehrlose Stadt berichten und die öffentliche Meinung alarmieren würden. Ich hatte keine solche Entschuldigung. Ich wußte, daß in Madrid nur streng bürgerliche Korrespondenten und anderseits einige von der sowjetrussischen Vertretung untergebrachte und gesicherte kommunistischen Presseleute zurückgeblieben waren. Es mag vermessen klingen, aber da ich nun einmal die einzige sozialistische Auslandskorrespondentin in Spanien war, erschien es mir als selbstverständlich, daß ich nach Madrid zurückzugehen hatte, um von dort aus eine andere Art von Berichterstattung in die Welt zu schicken, soweit es in meinen Kräften stand. Denn Madrid war nicht gefallen. [...] Das belagerte Madrid in der zweiten Novemberhälfte und im Dezember 1936, gesehen aus meiner engen Sicht, vom Biiro 10 ZWISCHENWELT der Zensur der Auslandspresse in der Telephonzentrale, in die ich nach ein paar Tagen eingereiht wurde — die Straßen mit den Bombentrichtern und den ausgebrannten Häusern, mit dem Fahrdamm, in den Granaten immer neue Wunden rissen — der Keller des alten Finanzministeriums, in dem der Generalstab untergebracht war — die Menschen, mit denen mich die Einheit der Gefahr und der Aufgabe verband: das war „mein“ Madrid, das ist der Sektor des Bürgerkrieges, den ich durch die Eigenart der mir übertragenen Aufgabe näher oder zumindest anders kennen lernte als irgend ein anderer Nicht-Spanier. Die Telefönica — und jetzt zitiere ich nicht aus meinem Gedächtnis, sondern nach einem Text, den ich ganz kurz nach dem Verlassen Spaniens niederschrieb, noch unter dem frischen Eindruck des Erlebten - hatte dreizehn Stockwerke und zwei Kellergeschosse. Zutiefst unter der Erde waren die Flüchtlinge aus den Außenbezirken und Umgebungsdörfern Madrids. Im dreizehnten Stock war der Artilleriebeobachtungsposten. Dazwischen, in die Räume von zwölf Stockwerken zusammengepreßt, die Maschinerie des Telephonnetzes für ganz Spanien und zugleich ein Querschnitt durch das Madrid der Belagerung; andere Flüchtlinge; Arbeiter; Polizisten; Milizposten; Erste-Hilfe-Station; Beamte; von jedem Verkehr ängstlich abgesperrt, die Beobachteroffiziere des Generalstabes; als Fremdkörper, isoliert, die Funktionäre der amerikanischen Kapitalisten, denen die Telefönica und das Telephonmonopol in Spanien gehörten, derzeit entmachtet durch die Staatskontrolle; das Militärbüro, oberste Verwaltungskontrolle, in dem nur der Oberst oder sein Stellvertreter saß; eine Ausspeisungshalle; in allen möglichen Räumen Notbetten für die Leute vom Nachtdienst; ein Heer von Telephonistinnen, die zum Teil im Haus schliefen, um nicht im Granatregen von und zur Arbeit gehen zu müssen; im vierten Stock die Journalisten der ausländischen Presse; im fünften die Pressezensur, Abteilung des Außenministeriums, und die Horchzensur, ein Komitee der Telefönicabeamten. Dazwischen Maschinen und wieder Maschinen, kostbar und fast unersetzlich. Dann die Gewerkschaftsräume, der Arbeiterrat — Consejo Obrero— und dessen Institutionen; die Plakate der Organisation; die Materialien für Reparaturen; das technische Leben, das politische Leben, das militärische Leben. Schreibmaschinen und Scherenfernrohre. Und quer durch den Bau die fünf'gewaltigen Fahrstuhlschächte und die enge, bei Panik so gefährliche Wendeltreppe. Das alles war der Zielpunkt für die Kanonen und die Fliegerbomben der Anderen. Eine Fliegerabwehr gab es noch nicht. Ich betrat die Telefönica zum ersten Mal während eines Fliegeralarms am 16. November, als nur die blauen Notlampen brannten und die meisten Räume leer waren. Damals kam ich als Journalistin mit Journalisten, vom diensthabenden Zensor nicht allzu freundlich empfangen. Es war Arturo Barea, der mein zweiter Mann werden sollte; aber meine Liebesgeschichte gehört nicht hierher und ist auch schon anderswo — von ihm - erzählt worden. Drei Tage später trat ich selbst in die Zensur ein, obwohl ich damit meinen Traum der Berichterstattung aufgeben mußte. Ich tat es, weil ich wohl schen konnte, daß die spanischen Zensoren ohne Ausnahme mit der Presse auf Kriegsfuß standen, zum Teil, weil sie Englisch nur mit Mühe verstanden (die Mehrzahl der Korrespondenten war englisch oder amerikanisch), zum Teil, weil sie sich an die höchst ungeschickten, engherzig strengen Vorschriften der Militärjunta hielten. Journalisten, denen man die Möglichkeit einer auch nur halbwegs interessanten Berichterstattung nimmt, wie dies der Fall war, helfen sich, indem sie