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Was würde sie in Deutschland erwarten? Aber das ist ein anderes Kapitel. Maria Heiner, geb. 1937 in Döbeln/Sachsen, Studium der Humanmedizin in Leipzig und Dresden, Fachärztin für Allgemeinmedizin, seit 1963 Bekanntschaft und Freundschaft mit Lea Grundig, später ärztliche Betreuung der Künstlerin. In den 1970er Jahren Beginn der Sammeltätigkeit von Kunst der Moderne, ab 2008 Arbeit am Werkverzeichnis der Künstlerin. Seit 2010 Sammlerin hebräischer Kinder- und Jugendbücher, die Lea Grundig im Exil illustrierte. Kuratorin von Ausstellungen des graphischen Werkes von Hans und Lea Grundig aus eigener Sammlung. Anmerkungen 1 Grundig, Lea: Gesichte und Geschichte, Dietz Verlag Berlin, 1959, S.185. Bernhard Kuschey 2 Anderl, Gabriele: „J096 Leben“. Der unbekannte Judenretter Bertold Storfer, Rotbuch Verlag, Berlin, 2012. 3 Grundig, Lea: Gesichte und Geschichte, Dietz Verlag Berlin, 1959, S. 200. 4 Rower, Jürgen: Jüdische Flüchtling im Schwarzen Meer (1934-1944). In: Büttner, Ursula (Hrsg.): Das Unrechtsregime, Bd.2; Hamburg 1986, S. 197-248. 5 Patria disaster, Zusammenfassung in: Wikipedia (engl.): 267 Tote, 172 Verletzte. 6 Heiner, Maria und Rose, Dirk: Lea Grundig-Die Hexenmappe. Galerie Rose, Hamburg 2009. 7 Lagerzeitung von Atlit mit Text von Magdalene Pfefferkorn und Bildern von Lea Grundig, 1941, Museum Atlit, Archiv, Israel. 8 Sammlung erster hebräischer Kinder-und Jugendbücher mit Illustrationen Lea Grundigs (1940er Jahre), Privatbesitz Maria Heiner, Dresden. 9 Grundig, Lea: Gesichte und Geschichte, Dietz Verlag Berlin, 1959, S. 266. 10 Kokoschka, Oskar: Rezession über „In the Valley of Slaughter“ von Lea Grundig. In: Freie Tribüne Nr.3, London, März 1945. 11 Hitt, Wolfgang: Ausstellungskatalog Lea Grundig 1967, Albertinum / Nationalgalerie, Berlin, 1967, S. 42. 12 Grundig, Lea: Gesichte und Geschichte, Dietz Verlag Berlin, 1959, S. 214. Eine Sammelrezension In der letzten Zeit holen mich Bücher ein, die Menschen betreffen, die mir einigermaßen nah waren und ein widerständiges Leben und Exilleben zu führen hatten. Ich versuche bei der Besprechung dieser Publikationen meine eigene Involvierung nicht außen vor zu lassen, allerdings will ich auch versuchen, mich durch diese Besprechungen nicht egoistisch zu erhöhen. Ich hoffe die Gradwanderung zu schaffen, meine Betroffenheit zu thematisieren und gleichzeitig die schwere Problematik des Widerstandes und des Exils zur Geltung zu brinden. Edith Stumpf-Fischer, Linda Erker, Anna Drechsel-Burkhard (Hg.): „... daß du die Stimmung der Jahrzehnte spürst.“ Ein Stück österreichischer Zeitgeschichte, aufgezeichnet von Rosa Marie Ebner (1915 — 1994). Wien: Praesens Verlag 2019. 463 S. (biografiA — Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung 21.) Ich beginne mit einem Text, den ich seit den 1980er Jahren kenne und dessen Autorin ich seit dieser Zeit als liebe Nachbarin hatte. Es handelt sich um die legendäre Hausärztin vom Karmelitermarkt, Rosl Ebner, deren Erinnerungen 2019 endlich als Buch erschienen sind. Diese haben von den 1980er Jahren an in einem Freundeskreis als Fotokopien kursiert. Rosl war immer an Kontakt mit Jüngeren interessiert und hat die Anregung meiner Bekannten, Maria Marchart, aufgenommen, ihre Erinnerungen für unseren Freundeskreis niederzuschreiben. Sie tat dies in Form von Briefen an Maria. Dieser persönliche Text einer desillusionierten Kommunistin ist eine Mischform aus Dialog, persönlicher Abarbeitung und Erinnerungen an katastrophische Zeiten, wobei die Generationenund Frauenfragen aufgrund der Autorin und Adressatin der Briefe bevorzugt behandelt werden. Die Erinnerungstexte sind komplex, da die Biographie Rosl Ebners als Tochter aus gutem Hause mit jüdisch-sozialdemokratischer Herkunft und dem Drama des Todes ihrer Mutter bei ihrer Geburt in ihrem Radikalisierungsprozess 20 ZWISCHENWELT parallel zur Verschärfung des politischen Kampfes in der 1. Republik durchaus nicht konfliktfrei verläuft, da die härtesten Zeiten ihrer Emigration zuerst durch Leid beherrscht waren, aber dann zu einem politischen und kulturellen Aufbruch ihrer Persönlichkeit werden konnten, der dann im Prozess der Familiengründung wieder etwas untergeht. Und die Remigration nach Wien ist zwar nie angezweifelt worden, hat aber eine Serie von Härten nach sich gezogen, die einen mitfühlenden Leser traurig und deprimiert ob des österreichischen Nachkriegsalltags werden lässt. Rosl Ebners Ringen um moralische Integrität in Auseinandersetzung mit einer Vertreterin der „jungen“ Generation ist die Stärke dieser Texte. Sie gesteht ihre Autoritätsfixierung ein, die von ihrer Herkunft her ihr politisches und privates Leben bestimmt hat, was sie aber nicht davon abhielt, um ein selbstbestimmtes Leben im „Zeitalter der Extreme“ zu ringen. Damit erlaubt sie uns einen beeindruckenden Einblick in ein oppositionelles Leben in einer obrigkeitshörigen Kultur, der für Menschen, die nach den Generationsrevolten aufgewachsen sind, fremd sein muss. Das Ausmaß politischer Gläubigkeit, die Askese der Jugendbewegten der 1920er und 1930er Jahre, die Bescheidenheit und Unterwürfigkeit gegenüber „Führenden“, seien es die leitenden Genossen oder der Halt gebende Ehemann, ist von Menschen, die von der modernen Konsumgesellschaft geprägt worden sind, nicht leicht nachzuvollziehen. Aber Rosl Ebner kann immer wieder deutlich machen, dass eine viel ärmere Gesellschaft, ein viel härteres politisches Kampfklima auch in der Opposition eine autoritäre Kultur hervorruft, die oftmals gegen anderes Wollen eine Wiederholung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse darstellt. Der Wert dieser moralischen Auseinandersetzung zwischen einer Frau, die aus der alten Klassengesellschaft kommt, mit einer jüngeren, die in der wohlfahrtsstaatlichen Konsumgesellschaft sozialisiert worden ist, wird bleiben.