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war. Aber sie konnte sich dort als Psychoanalytikerin etablieren; während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) fand sie Asyl in Mexiko. Else Pappenheim konnte 1938 vor den Nazis zuerst nach Palästina, wo ihr Vater seit 1933 als Psychiater tätig war, und dann in die USA emigrieren, wofür ihr die Freundin Judith Kestenberg ein Affıdavit verschafft hatte. Zur Tragödie ihrer Flucht wurde vor allem die Geschichte ihrer Mutter, die Else Pappenheim nicht aus dem Herrschaftsbereich der Nazis herausbringen konnte. Die Mutter zog dann zu Verwandten nach Bonn, und als sie und diese 1941 den Deportationsbefehl bekamen, suizidierten sie sich, um der geahnten Vernichtung zu entgehen. Die Auszüge des Briefwechsels zwischen der Mutter in Bonn und der Tochter in Amerika, die Karl Fallend auswählte, sind kaum zu ertragen. Alles wurde versucht, alle Kontakte wurden genutzt und alles scheiterte an bürokratischen Hürden und Bösartigkeiten. Das Hin- und Hergerissensein zwischen trügerischen Hoffnungen und dem Hinnehmen wiederholter Misserfolge ist herzzerreißend. Überhaupt hat Karl Fallend die Schwere der Flucht, des Exils und des Neubeginns in den Emigrationsländern herausgearbeitet. Nicht mehr das Heroische in den Lebensgeschichten steht im Vordergrund, sondern die Härten der Verfolgung und der Niederlagen. Haben wir diese Härten früher allzu gerne übersehen? Die Auseinandersetzung um die politische Betätigung der Psychoanalytiker und ihrer Patienten in den 1930er Jahren nimmt sowohl in den Briefen als auch in der Analyse von Fallend einen großen Raum ein. Da Paul Federn und auch nach 1945 sein Sohn Ernst Federn große Verteidiger der politischen Abstinenz der Psychoanalyse waren, bin ich von dieser Auseinandersetzung betroffen, da ich zu Ernst und Hilde Federn publiziert habe. Wie andere Institutionen auch, hat sich die internationale psychoanalytische Bewegung im Prozess der Faschisierung auf den Weg der Anpassung und einer Abspaltung eines Teils der Realität, nämlich der der Opposition und des Widerstands, begeben. Der Ausschluss des politisch engagierten Wilhelm Reich 1934 und die Verhaftung der „Neu Beginnen“-Aktivistin Edith Jacobssohn 1935 wurden von Historikern der Psychoanalyse, unter ihnen Karl Fallend, als Kipppunkte im Prozess der Entpolitisierung der Psychoanalyse benannt. Der Sozialdemokrat Paul Federn wird von Marie Langer und Else Pappenheim als rigider Verfechter dieser Entpolitisierung kritisiert. Und selbst sein Sohn Ernst übernimmt dieses Erbe nach 1945, was nur mehr psychologisch zu verstehen ist, weil Ernst Federn selbst von 1934-1938 illegaler politischer Aktivist war, allerdings ohne zu dieser Zeit psychoanalytische Ambitionen zu haben. Nach dieser Untergrundarbeit, die auch als Rebellion gegen seinen Vater verstanden werden kann, der darauf folgenden austrofaschistischen Verfolgung und besonders nach den schwer vorstellbaren sieben Jahren in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, hat sich Ernst radikal in die Tradition seines Vaters gestellt. Ernst Federns adoleszentes Engagement hat ja in eine politische Niederlage, Verfolgung und in schwere Traumatisierungen geführt, weshalb ihm nach seinem Überleben scheinbar nur die Uberidentifizierung mit seinem Vater blieb, der sich nach dem Wiedersehen 1948 in New York 1950 aus Angst vor einer Krebserkrankung suizidierte. Es ist schwer nachvollziehbar, was die Serie an Traumatisierungen und Retraumatisierungen fiir Auswirkungen auf das Nachkriegsleben von Ernst Federn hatte. Auf jeden Fall verteidigte er seinen Vater als Pionier auf dem Gebiet der Psychosenforschung und -therapie, der psychoanalytischen Padagogik und selbst in dessen 22 — ZWISCHENWELT Rolle als Funktionar der psychoanalytischen Bewegung. Durch das väterliche Erbe der Protokolle der „Mittwoch-Gesellschaft“ wurde Ernst Federn einer der ersten Historiker der Psychoanalyse, der dabei selbst immer bemüht war, die Rolle seines Vaters herauszustreichen. Viele Menschen ohne schwere Traumata bleiben ihr Leben lang vater- oder mutteridentifiziert, daher glaube ich, dass die Überidentifizierung Ernst Federns mit seinem Vater als Traumafolge hinzunehmen ist, wie es auch Marie Langer und Else Pappenheim getan haben. Sie waren von den inhaltlichen Äußerungen Ernst Federns genervt, hatten aber eine Ahnung davon, woher sie kamen, und reagierten auf Federns Provokationen nicht. Leider hat diese Überidentifizierung mit seinem Vater Ernst Federn in seinen Reflexionen behindert und in der psychoanalytischen Community auch isoliert, wobei die Medizinalisierung die Psychoanalyse nach 1945 aus sich heraus auf einen zweifelhaften Wegbrachte. Peter Pirker: Codename Brooklyn. Jüdische Agenten im Feindesland. Die Operation Greenup 1945. Mit einem Fotoessay von Markus Jenewein. Innsbruck, Wien: Tyrolia Verlag 2019. 367 S. Auch heuer kam Peter Pirker mit einem Kapitel zum expliziten Widerstand, dem konkreten Kampf gegen die Nazis, heraus. Sein Thema ist schon lange die Desertion und der Kampf von zumeist jüdischen Österreichern in alliierten Armeen. Er ist ein Spezialist für tabuisierte Themen und ein großer Quellenerschnüfller und -interpret, so hat er die Österreicher im britischen Kriegsgeheimdienst SOE (Special Operations Executive) ausgemacht, es waren mehr als gedacht, und er hat ihre vielfach erfolglosen Einsätze in Österreich nachgezeichnet. Er ist sich der Schwierigkeiten des Aufbaues von Widerstandsstrukturen im deutschen Sprachraum mehr als bewusst, deshalb kann er eine erfolgreiche Operation des amerikanischen Office of Strategic Services (OSS) in Tirol, die Wesentliches zur kampflosen Übergabe Innsbrucks beitrug, großartig beschreiben und in den Gesamtzusammenhang stellen. Dass die Tiroler Landesgeschichte den Anteil zweier Agenten jüdischer Herkunft bei der Befreiung Innsbrucks jahrzehntelang verleugnete, entspricht der Hartnäckigkeit hiesiger Vorurteilsstrukturen. Die amerikanische Operation mit dem Namen „Greenup“ fand von Februar bis Mai 1945 in der Umgebung von Innsbruck statt, umfasste einen Deutschen und einen Niederländer, beide jüdischer Herkunft, und einen Tiroler Wehrmachtsofhizier, der aus Gewissensgründen desertiert war und in seinem Heimatort Oberperfuss den idealen Unterschlupf für die beiden Agenten bereitstellen konnte. Alle drei sprangen im Februar auf einem Gletscher ab und konnten sich, gut ausgerüstet, relativ problemlos nach Oberperfuss durchschlagen. Dort wurden sie von Verwandten und Bekannten des desertierten Wehrmachtsoffiziers Franz Weber versteckt und versorgt. Das kleine katholische Dorf war beinahe gänzlich geeint gegen die Nazis und seine Frauen waren auf eine pragmatische, geschickte und unaufgeregte Weise hilfreich, dass es eine Freude ist, diese Geschichten zu lesen, wohl wissend dass sie Ausnahmegeschichten waren, aber besser solche als gar keine. Man kann schen, Widerstand basiert auf Beziehungen, und zwar nicht im banalen Sinn, sondern auf „wahren“ Beziehungen. UnterstiitzerInnen von Widerständlern nahmen enormes Risiko auf sich; widerständige Menschen mussten einander vertrauen können, mussten sich also gegenseitig geprüft haben, weil die Gefahr von Gestapo-Agenten, die ihre Netze unterwanderten konnten, allgegenwärtig war. In einem gewissen Sinn waren sogar die widerständigen Menschen und die Gestapo-Beamten in