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sich über jeden Zuzug im Kinderheim, bald seien es „21 Kinder, bald ein Kalb, dann wieder ein Kalb, von Woche zu Woche hat sich etwas geändert.“ Dies alles freue ihn mehr als die schönsten Notenbankprojekte, Kriegsanleiheabwägungen und was sonst es an schrecklichsten Affären gibt, womit so ein armer Mann wie ich vom Kriege her belastet ist. Schwarzwald als Sektionschef 1920 stand anerkennend in der „Wiener Sonn- und MontagsZeitung“, dass Hermann Schwarzwald zu den „besten Köpfen, über welche unser Staatsamt für Finanzen verfügt““, gehöre. Als er 1921 vom Hofrat zum Sektionschef im Finanzministerium ernannt wurde, kam auch viel Kritik auf. So wertete die Zeitschrift „Die Börse“ dies als einen „Systemwechsel, ein Zurückbiegen in die alten Geleise*: Man durfie in der letzten Zeit die Hoffnung hegen, daf sich das Finanzministerium von den Vergangenheitsgespenstern lossagen werde. [...] Wenn die Ernennung des Hofrates Schwarzwald zum Sektionschef die Beibehaltung des alten Systems versinnbildlichen soll, hat man alle Ursache, auch nur an der leisesten Möglichkeit der finanziellen Gesundung Österreichs zu zweifeln.® In „Die Börse“, für die paradoxerweise zeitweise die gleichen JournalistInnen schrieben wie für die „Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“, wurde Schwarzwald bereits als Vorstand in der Kreditsektion als „ein vollständiger Versager“ beschrieben. Ihm wurde eine „wirklichkeitsscheue Art“, ein „krampfhaftes Festhalten an eingefrorenen Irrtümern und seine fast hysterische Sucht, alle Wirtschaftskanäle zu beherrschen“ vorgeworfen. Es sei eine Ironie des Schicksals, dass die Beförderung Schwarzwalds zu der Zeit geschehe, in der der Wert der Krone den tiefsten Stand erreicht habe. „Hofrat Schwarzwald wurde erhöht, der Kronenkurs erniedrigt.“ Es wird weiters geurteilt, dass es besser wäre, wenn er als Lehrer an einer „natürlich ausländischen Hochschule“ wirken, wenn er „in stiller Abgeschiedenheit“ seine Währungsartikel verfassen würde, am besten sei jedoch seine „Abschaffung“, er solle in ein Departement versetzt werden, „das in strikter Folge der Abmachungen mit dem Völkerbund im Abbau begriffen ist.“” Kurz bevor Schwarzwald zum Sektionschef ernannt wurde, hatte „Die Börse“ schon gegen ihn polemisiert: Für uns ist aber Herr Hofrat Schwarzwald bereits eine alte Primadonna, die sich heiser geschrien hat. Sie kann singen, was sie will, die schönsten Arien, die herrlichsten Dichtungen, wir halten uns die Ohren zu.“ Bei dieser Polemik der Zeitschrift Imre Bekessys durften offenbar Zuschreibungen nicht fehlen, welche bei AntisemitInnen durchaus gut angekommen sein dürften: Das ist echt Schwarzwalds Art, dieses Dazwischenreden, dieses ImNachhinein-Schreiben und dieses Danebenhauen. Er erklärt, legt aus, legt unter und präsentiert sich dadurch geradezu als Großrabbiner in öffentlichen Kreditsachen, der in dem lieblichen Bundesstaate die finanzielle Bundeslade zu tragen hat.” Dass er sich als Retter Österreichs aufspiele, mit den Völkerbunddelegierten verhandelt, neue Sanierungsprogramme entwirft und überdies gekonnt mit Kritik aus den Medien umgeht, das ist der „Börse“ einfach zu viel. Angesichts dessen war sogar der dramatische Ausruf notwendig: „Betet für Österreich“. Hermann Schwarzwald war einer von nur sieben Sektionschefs, die als Juden in diese Position kamen. Gertrude Enderle-Burcel”® hat in ihrer Untersuchung der Biographien von 304 Sektionschefs am Ende der Monarchie, während der Ersten Republik sowie des Jahres 1945 feststellen müssen, dass der „Judenpunkt“ ein Karrierehindernis war.”! Konsequente Opposition Dr. Alexander Spitzmiiller hatte anfangs Hermann Schwarzwald gefördert, war jedoch als letzter Gouverneur der Österreichischungarischen Bank bald mit ihm in Konflikt geraten. In seinen Erinnerungen nimmt er mehrmals Bezug auf Schwarzwald, von dem er schreibt: „... machte mir konsequent Opposition, die sich dann auch auf anderen Gebieten so verhangnisvoll auswirkte.“”” Vor allem mit seiner Forderung nach einer eigenen Notenbank kam Schwarzwald in Konflikt mit den Reprasentanten der Österreichisch-ungarischen Bank. Umso größer war das Erstaunen Friedrich Schmid-Dasatiels, Generalsekretär der Österreichischungarischen Bank, als Hermann Schwarzwald die Idee zur Schaffung zweierlei Noten aufgriff. Demnach sollte eine neue Notenbank gegründet werden, die ausschließlich gegen Gold einlösbare Noten ausgibt. Der Staat sollte auf dieses Institut keinen Zugriff haben, unter Umständen würde dies durch eine internationale Aufsicht gesichert. Spitzmüller umriss die Rolle Schwarzwalds folgendermaßen: Im Finanzministerium setzte man eben alles auf die Karte der auswärtigen Finanzhilfe. Bis dahin wurde geradezu mit voller Absicht eine Politik der Devaluierung der Krone betrieben. Speziell Sektionschef Dr. Schwarzwald vertrat die Anschauung, dass das Einsetzen eines Finanzplanes auf Grund auswärtiger Hilfeleistung im Zeitpunkt der tiefsten Entwertung der österreichischen Krone eine durchaus vertretbare, ja sogar erstrebenswerte Sache sei. Mit Ausnahme der Einstellung der Lebensmittelzuschüsse lehnte er jede deflationistische Maßnahme ab. Ich geriet auf diese Weise mit Sektionschef Schwarzwald, der in der Währungspolitik unter allen Ministern das Heft in der Hand behielt, in immer stärkeren Gegensatz, zumal er mir auch auf anderen Gebieten in scharfer Opposition gegenüberstand. Spitzmüller war gegen den Sanierungsplan des Völkerbundes, dies machte ihn aber für das Amt der neuen Notenbank unmöglich. Spitzmüller berichtet, dass ihm Schwarzwald mitteilte, „... dass die Regierung mich nur dann als Gouverneur der zukünftigen Notenbank durchsetzen könne, wenn ich mich gegen den Völkerbund nicht exponieren würde.“ Spitzmiiller sah in Schwarzwald so etwas wie einen „persönlichen Feind“. Als kurze Zeit unter der Regierung Schober 1921/22 Dr. Spitzmüller als neuer Finanzminister gehandelt wurde, kam es zu einer Aussprache zwischen diesem und Schwarzwald, wobei letzterer erklärt haben soll, dass es ihm peinlich sei, „dass zwischen uns sachliche Meinungsdifferenzen bestünden, da er ja möglicherweise in mir seinen künftigen Chef zu erblicken habe.“”* Nachdem Spitzmüller klargelegt hatte, dass er keineswegs vorhabe Finanzminister zu werden, hatte dies zur Folge, „dass Schwarzwald alle Reserven mir gegenüber fallen ließ.“ Dass Spitzmüller Monarchist war, der sich in der Regierung einer Republik nicht wohlgefühlt hätte, da er sich noch immer an den Eid, den er zwei Monarchen geleistet hatte, gebunden fühlte, hinderte ihn jedoch nicht, den von Otto Bauer vorgeschlagenen Sanierungsplänen für Österreich zuzustimmen. Otto Bauer wollte November 2019 55