OCR
statt der sogenannten Genfer Sanierung Besitz und Vermögen höher besteuern, die noch vorhandenen Devisenreserven der heimischen Banken durch Zwangshypotheken sowie die verbliebenen Gold- und Devisenreserven der Österreichisch-ungarischen Bank zur Stabilisierung des Landes heranzichen”°. Als Dr. Spitzmüller von Bundeskanzler Seipelam 19. August 1922 eingeladen wurde, seine Position zu erläutern, wurde ihm beschieden, dass dies merkwürdig sei, da sie mit jenen von Otto Bauer am Vorabend dargelegten Standpunkten übereinstimme. Eine Absprache mit Dr. Bauer stellt Spitzmüller jedoch in Abrede. Ich legte nun Dr. Seipel nur dar, daß es sich um eine rein fachliche Frage handle, in der Personen der verschiedensten Parteirichtung und Weltanschauung, also etwa ein Katholik und ein Kommunist, dieselbe Meinung haben konnten, falls sie zu dem Problem rein sachlich eingestellt seien.’ Trotz seiner Gegnerschaft zu Schwarzwald sah der konservative Spitzmüller keinen Grund sich des damals weit verbreiteten und populären Antisemitismus zu bedienen. Ich habe die Schädlichkeit jüdischen Einflusses in meiner Laufbahn sattsam kennen gelernt. Ich brauche nur den Namen Sieghart, Kranz und Schwarzwald zu nennen. Aber es ist nicht nur unchristlich, sondern auch politisch infantil, diesen Einfluss zum Ausgangspunkt für ein antisemitisches Regierungssystem zu nehmen. Das sachlich Zulässige und Erforderliche, die Bekämpfung der Korruption ohne Ansehen der Person, leistet ja auch ein antisemitisches System nicht.’ Hermann Schwarzwald bewegte sich in diesen Jahren nicht nur in währungspolitischen Gefilden, sondern auch in den Niederungen der Provinz, und das nicht nur, um Erholung zu suchen. Der Vormund der Eigentümerin der Pension Harthof wollte den Pachtvertrag mit Eugenie Schwarzwald früher als geplant beenden. Bei der Amtshandlung hatte Dr. Schwarzwald den Eindruck, dass Einwände nicht zugelassen würden und „Form und Inhalt sich nicht mit der Unparteilichkeit vertrage“ und hatte dies so in einem Schreiben an die Behörde kritisiert. Dies wurde ihm als Amtsehrenbeleidigung angelastet. Im Prozess wurde Schwarzwald in diesem Punkt freigesprochen, jedoch zu 5000 Kronen an den Privatkläger verurteilt, da „der zur Entschuldigung des Angeklagten hinreichende Beweis des guten Glaubens nicht als erbracht angenommen wurde“”®, wie die antisemitische „Reichspost“ berichtete. Als Zeuge in diesem Prozess sagte unter anderem Egon Friedell aus. Harthof sollte noch fünf Jahre als Landeserziehungsheim dienen. Auf der Titelseite Als Dr. Schwarzwald aus dem Staatsdienst ausschied, konnte man auf der Titelseite des „Neuen Wiener Journal“ vom 25.8.1923 die Schlagzeile „Dr. Schwarzwald — Bankdirektor“ mit dem Untertitel ,, Voraussichtlicher Eintritt in die Depositenbank“ lesen.” Die „Ilustrierte Kronen Zeitung“ bescheinigte ihm nun, dass er als einer der fähigsten Köpfe des Finanzministeriums gelte und mehr zu sagen habe als seine Chefs. Erinnert wird auch daran, dass der letzte Gouverneur der Österreichisch-ungarischen Bank, Dr. Spitzmüller, den Kampf gegen den Sektionschef Dr. Schwarzwald verloren habe. Schwarzwald begründete seine Entscheidung aus dem Finanzministerium auszuscheiden in der „Illustrierten Kronen Zeitung“ folgendermaßen: 56 ZWISCHENWELT Erstens hat das Sanierungswerk seinen Höhepunkt erreicht. Die Nationalbank ist konstituiert, die Völkerbundanleihe aufgebracht und voll eingezahlt. Zweitens bin ich heute 52 Jahre und freue mich daher doppelt noch ein neues Arbeitsfeld kennen zu lernen.?" Dieses „neue Arbeitsfeld“ ist der Posten des Generalrates der Anglo-Osterreichischen Bank (Anglobank). Die Berichterstattung über den scheidenden Sektionschef war durchaus von Bewunderung und Respekt geprägt. Für die Zeitung „Die Stunde“ war Schwarzwald „einer der schärfsten und interessantesten Köpfe Wiens, eine Individualität von eigenartigem Gepräge.“”' Und sogar für „Die Börse“ galt Dr. Schwarzwald nun als ein Garant für eine wohlüberlegte Währungspolitik.°° Als eine Qualität Schwarzwalds wird seine „starrköpfige Zähigkeit“ in Sachen Devisenpolitik gelobt, die nun einen „nachhaltenden Erfolg“ erziele. In überaus poetischer Weise wird ausgeführt, dass er an Begriffen festgehalten habe, „die durch die ungeheure Umwälzung aller Maßstäbe längst ihren Zusammenhang mit der Wirklichkeit eingebüßt“ hätten. „Die Börse“ sei zwar in den Jahren zuvor mit seiner Politik nicht immer einer Meinung gewesen: (...) nichtsdestoweniger haben wir die überragenden geistigen und moralischen Qualitäten des Menschen von der Wertung seiner Handlungen wohl zu unterscheiden verstanden, wenngleich es uns manchmal schwerfiel, den echten Schwarzwald vor all den Schlagbäumen zu sehen, mit denen er den Weg der natürlichen Entwicklung gewaltsam verbarrikadierte. Ohne auf das Pflichtbewusstsein einzugehen, meint „Die Börse“ den Artikel nicht ohne folgende Charakteristik schließen zu können: „eine seltene Eigenschaft der völligen Unterordnung des Einzelinteresses unter das Gesamtwohl“, dies sei in einer Zeit, die durch den vom ,,‘struggle of life‘ diktierten Egoismus“ geprägt ist, fast als Wunder zu bezeichnen. „Wo es solche Beamte gibt, müsse man nicht am Staat verzweifeln.“ Jetzt regt man sich plötzlich auf In einen größeren Zusammenhang stellte die „Wiener Morgenzeitung“ den Wechsel Schwarzwalds in die Anglobank. In dieser Zeitung wurde aktiv gegen Antisemitismus geschrieben. Im Porträt Schwarzwalds spielte somit auch die Reflexion über diesen eine Rolle. Der Wechsel sei vom Gesichtspunkt einer höheren Wirtschaftsauffassung nicht ganz und gar mit der Stellung eines Staatsbeamten vereinbar, daß er, der bisher als Aufsichtsorgan und Vertrauensperson des Staates im Wirtschaftsleben fungierte, nunmehr selbst aktives Mitglied einer Wirtschafisorganisation wird, die bisher seiner Aufsicht unterstand.” Dass diese Praxis weitverbreitet war, gestand man ein und schrieb süfhisant: Jede Bank kann schon mit ihren eigenen Hofräten und Sektionschefs arischen Geblüts aufwarten. Bisher habe danach kein Hahn gekräht, jetzt regt man sich plötzlich auf, daß einmal ein Jude [...] den Weg zur Privatwirtschaft gefunden hat. Die Frage des Judentums bei Schwarzwald habe jedoch nie eine Rolle gespielt. („... in der Reihe der Assimilanten stand er an der Spitze“.) Die Verdienste seien unbestritten: die Devisenzentralisierung, die Liquidation des alten Noteninstitutes, die Gründung der Nationalbank. Seine Verdienste um die Völkerbundanleihe sind nicht allzu bekannt. Es kann aber jetzt ruhig gesagt werden, daß neben dem Juden Dr.