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Rosenberg ihm der Hauptanteil an dem Gelingen der Völkerbundanleihe zukommt. Seipel wäre es nie gelungen englische Finanziers, die dem Judentum nahestünden, zu gewinnen, wenn Schwarzwald nicht gewesen wäre. Die christlichsozial-deutschnational-antisemitische Koalitionsregierung hielt an ihm, der doch eigentlich seiner Geburt nach der verpönten Gilde der Ostjuden angehörte, fest. Sie hätte ihn natürlich längst fallen gelassen, hätte sie ihn nicht gebraucht. Sie tat es einfach nicht, weil sie keinen anderen an seiner Stelle hatte, der die Völkerbundanleihe zustande gebracht hätte. (...) Jetzt braucht man den Juden Schwarzwald nicht mehr. Dazu stehen die Wahlen vor der Tür. Den Christlichsozialen wird ohnedies Judenfreundlichkeit vorgeworfen (...) Man will nicht an der Spitze eines verantwortungsvollen Amtes einen Juden haben, auch wenn er noch so wertvolle Dienste geleistet hat. In einem Interview mit einem Redakteur der Zeitung „Der Tag“ meinte Schwarzwald, dass sein Abgang auch so interpretiert werden könne, dass er das sinkende Schiff verlässt, was absolut nicht zutreffe: Tatsächlich steht es mit dem Werk, welches durch die Genfer Protokolle begonnen worden ist, über Erwarten gut. Die österreichische Krone ist stabiler als irgendeine Währung auf dem europäischen Festland. [...] Es wird immer meine erhebendste Erinnerung bleiben, daß ich an diesem Werk habe mitarbeiten dürfen, nachdem ich seit meiner Berufung ins Finanzministerium im Jahre 1917 bis zu der glücklichen Wendung der Dinge fast fünf entsetzliche Jahre unaufhörlichen Zetteldrucke, Zerstörung des Geldwertes und Verwüstung des Volksvermögens habe mitmachen müssen.“ Dies alles sei für ihn schlimm gewesen, da er ein überzeugter Verfechter einer reinen „Metallwährung“ und eines „gerechten guten Geldes“, Anhänger der Geldtheorie von Eugen Dühring sei und in diesem Sinne auch publiziert habe. Im Interview betont Schwarzwald auch die besondere Bedeutung der Anglobank beim Zustandekommen der Völkerbundanleihe. Die Kritiker der Völkerbundanleihe führten ins Treffen, dass damit Österreich der europäischen Hochfinanz ausgeliefert wurde. Eine Sanierung im Lande wäre jedoch nur möglich gewesen, wenn es eine Einigung mit der österreichischen Sozialdemokratie gegeben hätte, doch dies widersprach der Politik Seipels diametral, wie Karl Ausch in seinem Buch „Als die Banken fielen“ ausführt.” Die sozialen Folgen Mit den sozialen Folgen, die die Genfer Sanierung bedeutete — u.a. die massive Entlassung von Beamten — wurde Dr. Hermann Schwarzwald in seiner neuen Funktion hautnah konfrontiert. Als die ausgesperrten Bankbeamten auf Zahlung ihrer Bezüge klagten, kam es zu einer Massenkundgebung auf dem Ballhausplatz. Die Demonstranten begrüßten die Vertreter der Angestelltenorganisationen und des Bankenverbandes, die zu Verhandlungen bei Bundeskanzler Seipel gekommen waren. Generalrat Dr. Schwarzwald wurde, als er seinem Auto enistieg, mit einem Konzert empfangen, das diesem gefährlichsten der Scharfmacher nicht angenehm in den Ohren geklungen haben mag. Auch „Der Morgen“ widmet Schwarzwald am 27. August 1923 eine Titelgeschichte und meint unter Anspielung auf die Abbaupläne bei BeamtInnen, dass sich Schwarzwald selbst abgebaut habe.‘ Die Zeitung versicherte, nicht in ein „Korruptionsgeschrei“ ausbrechen zu wollen, gab aber dennoch zu bedenken, dass Maria Stiasny und Hermann Schwarzwald. Quelle: Dr. Eleonore Stuhr/ Robert Streibel „wenn jemand, der bis heute für den armen Schuldner gefochten hat, sich entschließt, von morgen ab für den reichen Gläubiger zu kämpfen“, dies eine sonderbare Optik ergebe. „Selbst, wenn uns noch so schr versichert wird, daß es ein überaus nobler und wohlwollender Gläubiger ist ...“ Im September 1923 wurde Schwarzwald in den Verwaltungsrat der Anglobank kooptiert.®® Ebenfalls im September desselben Jahres trat der Generalrat der Österreichischen Nationalbank unter dem Vorsitz des Bundesministers a.D. Dr. Richard Reisch zusammen. Bei diesem Treffen wurde ein Brief von Dr. Schwarzwald verlesen. Es wird immer zu den schönsten und befriedigendsten Erinnerungen meines Lebens gehören, daß ich an der Begründung und dem Ausbau des Instituts habe mitarbeiten dürfen, welches dem Währungselend unseres Landes ein Ende zu machen und durch die Sicherung eines soliden Geldwesens die Grundlage für den wirtschaftlichen und staatsfinanziellen Wiederaufbau zu schaffen hat‘? Nach Verlesung des Briefes wurden auch von Seiten der Nationalbank die großen Verdienste von Schwarzwald „an der Schaffung ihrer statutarischen, organisatorischen und finanziellen Grundlagen“ hervorgehoben und gewürdigt. In seiner neuen Funktion erweiterte sich Schwarzwalds Betätigungsfeld — so wurde er auch in der ,,Austro-russischen Industrie A.G.“ aktiv, deren Ziel es war, die Basis für österreichische Firmen zu legen, „welche durch die rasche Entwicklung der bereits eingeleiteten Import- und Exportgeschäfte mit Russland geboten erscheint." November 2019 5/7