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und nachbearbeitet. Aus dieser Zeit stammt auch die Freundschaft zwischen Marcel Ray, Carl Einstein und Georges Grosz. Carl Einstein widmete Marcel Ray 1913 seine Erzählung „Das Mädchen auf dem Dorfe“®. In „La Phalange“ sind übrigens im März 1914 erstmals Gedichte des jungen Medizinstudenten André Breton erschienen.” Marcel Ray war ab Jänner 1913 Journalist beim „Le Figaro“ und regelmäßiger Autor der Zeitschrift „Les Cahiers d’aujourd’hui“. Deren Herausgeber George Besson war Kunsthistoriker, stand politisch links und sollte mit einem der bedeutendsten Dichter des Hauses Gallimard, Louis Aragon, in lebenslanger Freundschaft verbunden sein. „Les Cahiers d’aujourd’hui“ spielen kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Moderner Kunst und Literatur zwischen Frankreich und der Welt. Auch erschienen die ersten französischen Übersetzungen von Karl Kraus in dieser Zeitschrift, es waren von Marcel Ray übertragene Aphorismen. Sie erschien zusammen mit einer Reproduktion des Kraus-Porträts Oskar Kokoschkas im Oktober 1913." Nicht nur Karl Kraus wurde in dieser Zeitschrift publiziert, sondern im Februar-Heft des Jahres 1914 auch Hermann Schwarzwald. Tatsächlich handelt es sich um den pazifistischen Essay, welchen Marcel Ray in „Le Petit Journal“ erwähnt. Unter dem Titel „Propos virils en temps de crise“'!, „Mannesworte in Zeiten der Krise“, skizziert Hermann Schwarzwald nicht nur die Simmung in Wien, wo sich die Reserveofhiziere mit Privatwaffen und Winterkleidung eindecken, sondern vor allem ein Gesprach mit einem Freund nach einem Vortrag eines kriegsbegeisterten Professors an der Universitat. Dieser Freund sah im Krieg die Möglichkeit, als Persönlichkeit zu wachsen, Tugenden zu leben, männlich zu sein. Eigentlich sei der Krieg nur eine Art Sport und jene, die gerne diesen Sport ausüben, sollten auch die Möglichkeit dazu erhalten. Alle anderen, so der Freund, dürften dann das Spektakel genießen. Außerdem garantiere der Krieg auch Fortschritt und Wirtschaftswachstum. Hermann Schwarzwald versteht es, die Argumente des „Sportmannes“ ad absurdum zu führen, doch zeigt er auch auf, dass sie einen gewissen, besorgniserregenden Mainstream darstellten. Doch vor Karl Kraus und Hermann Schwarzwald erschien in „Les Cahiers d’aujourd’hui“ im Dezember 1912 schon der Essay „Larchitecture et le style moderne“'* von Adolf Loos, ebenfalls in der Übersetzung Marcel Rays, der in der Einleitung schrieb, dass in den letzten 15 Jahren alles, was in Österreich im Bereich Architektur und Innenarchitektur entstanden sei, unter dem EinHuss Adolf Loos‘ stehe. Im Juni 1913 erschien Adolf Loos‘ Essay „Ornement et Crime“'3, wieder war Marcel Ray der Übersetzer. Die beiden Loos-Iexte werden die französische Architektur auf den Kopf stellen, vor allem, weil sie Le Corbusier stark beeinflussen werden. Übrigens wird das deutschsprachige Original von „Ornament und Verbrechen“ erst 1929, also 16 Jahre später, in der „Frankfurter Zeitung“ gedruckt.‘ ... und moderne französische Literatur Kraus, Kokoschka, Loos und natürlich Hermann Schwarzwald... Diese vier Autoren der „Cahiers d’aujourd’hui“ sowie den Übersetzer Marcel Ray, verband in erster Linie der Schwarzwald-Kreis. Diesen wird Georges Besson im April 1939 dem französischen Publikum im Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs „LHumanite“ vorstellen und zwar im Rahmen eines längeren 68 _ZWISCHENWELT Beitrages über Oskar Kokoschka, von dem eine Einzelausstellung in Otto Kallirs „Galerie Saint-Etienne“ zu sehen war: Les Frangais qui eurent le bonheur de passer a Vienne vers 1913 conservent le radieux souvenir du rayonnement artistique et litteraire de cette capitale. Que de talents originaux étaient groupé, alors, autour des étonnants animateurs qu étaient Josephstädterstrasse, Genia et Hermann Schwarzwald! C était un centre de culture européenne. On yrencontrait le genial constructeur et théoricien Adolph Loos [...]; le poete Peter Altenberg; le musicien Schoenberg; le plus grand écrivain de langue allemande Karl Kraus [...] Kokoschka [...] —Jene Franzosen, die das Glück hatten um 1913 nach Wien gekommen zu sein, werden die künstlerische und literarische Strahlkraft dieser Hauptstadt in lebendiger Erinnerung behalten. Ausschließlich ungewöhnliche Talente fanden sich in der Josefstddterstrasse unter der erstaunlichen Leitung Genia und Hermann Schwarzwald versammelt. Man traf auf den genialen Erbauer und Theoretiker Adolf Loos [... ], den Dichter Peter Altenberg; den Musiker Schönberg; den größten aller deutschsprachigen Schriftsteller Karl Kraus [...] auf Kokoschka [...]. ° Nicht viele, sondern alle berühmten Intellektuellen Europas waren Georges Besson zufolge Gast bei den Schwarzwalds, darunter auch Marcel Ray. Dieser war im Oktober 1912 nach Wien gekommen. Er hatte Arbeit als Lehrer oder Universitätsdozent gesucht und war in Wien fündig geworden. So schrieb er Valery Larbaud am 13. September aus Berlin, nachdem er nicht die erhoffte Stelle an einer Universität in Paris erhalten hatte: Jirai peut-Etre a Vienne ott il est possible que je trouve a gagner 1200 couronnes avec un cours de 2 heures par semaine.'° Marcel Ray wurde Franzésischlehrer an Eugenie Schwarzwalds „Mädchenlyzeum am Kohlmarkt“. Er dürfte sich gleich nach seiner Ankunft in Wien mit Hermann Schwarzwald angefreundet haben. So schrieben nach einem Abendessen Marcel und Suzanne Ray, Hermann Schwarzwald, Karin Michaßlis, Peter Nansen und Egon Wellesz eine Gemeinschafts-Postkarte an Valery Larbaud. Ein „Grand diner litt£raire“'’ hatte nach einer Lesung der dänischen AutorInnen Peter Nansen und Karin Michaßlis stattgefunden, und Hermann Schwarzwald, der Valery Larbauds neuesten Roman „Barnabooth“ gelesen hatte, schrieb auf die Postkarte: Mon cher Monsieur Barnabooth, je ne peux ouvrir votre livre sans devenir énormément gai — et cest mon patron Schopenhauer qui a dit quon doit la plus grande gratitude a ceux qui nous font rire.'8 Schon ein Jahr nach diesen ersten Begegnungen wohnte das Ehepaar Ray fiir einige Zeit bei den Schwarzwalds in der Josefstädterstraße 68, bevor es eine Wohnung in der Kaiserstraße 43, also fast in der Nachbarschaft der Schwarzwalds, bezog.'? 1913 bis 1914 arbeitete Marcel Ray als Französischlehrer in der Schule von „Fraudoktor“. Er unterrichtete nicht „Corneille und Racine — wie damals üblich —, sondern Voltaire, Balzac, Maupassant und moderne französische Literatur.“”® Es gab in seinem Kurs, wie man 1913 dem „Jahresbericht des Mädchen-Lyzeums am Kohlmarkt“ entnehmen kann, auch die Auseinandersetzung mit „Les utopies et le roman utopique (Wells, William Morris)“.”' Die Gegenüberstellung der beiden Romane „Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells aus dem Jahr 1895 und „Kunde von Nirgendwo“ des Künstlers, Designers, Schriftstellers und Sozialisten William Morris aus dem Jahr 1890 muss spannende Diskussionen provoziert haben. So fressen in H.G. Wells Dystopie die einen Menschen die anderen auf, während William Morris die „vollendete kommunistische Gesellschaft“? beschreibt.