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Fünfpfundnote ohne Unterschrift die Worte beifügte: Ich weiß, was Hunger ist. Es kamen tausende Briefe mit Cheques ohne ein Begleitwort, und wir mußten die Banken anrufen, um Name und Adresse des Spenders zu erfahren, Wo wir keine Auskunft bekamen, schrieben wir den Dankbrief an die Bank. Ich öffnete ein Kuvert und fand einen Scheck mit einer Stecknadel an eine Zeitungsschleife geheftet. Ich fragte Barbara Gould, wie es möglich sei, daß ein Mann, der 100 Pfund verschenken kann, nicht ein Briefpapier verwendet und drauf schreibt: VIEL GLÜCK. Barbara antwortete: „Siehst du, er kann 100 Pfund verschenken, weil er im Leben noch nie ein Blatt Papier verschwendet hat.“ Wir haben fünf’ Tage lang Briefe geöffnet. Fast jeder enthielt den Satz: Danke, daß Sie mir Gelegenheit geben zu helfen. Redaktion „Konvent der Bücher“ Aus: Zwischenwelt Jahrbuch 4: Literatur und Kultur des Exils in Großbritannien. Hg. v. S. Bolbecher, K. Kaiser, Donal McLaughlin, J.M. Ritchie. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 1995, 30-35 Annette Richter, Schauspielerin, Schrifistellerin und Übersetzerin, 1902 in Wien geboren, gelernte Goldschmiedin und Schauspielerin (Arbeiterbühne in Baden bei Wien). Sie emigrierte im August 1939 nach London, wo sie im Austrian Labor Club mitarbeitete. 1946 nach Wien zurückgekehrt, heiratete sie den ehemaligen sozialdemokratischen Nationalratsabgeordneten Paul Richter. Sie war Gründungsmitglied der Theodor Kramer-Gesellschaft und übersetzte 1969 The Jew and the Cross von Dagobert David Runes ins Deutsche. Annette Richter starb 1988 in Wien. Die autobiografischen Zeugnisse von Überlebenden der Konzentrationslager, Exilierten und WiderstandskämpferInnen müssen als ein großer, zusammenhängender literarischer Corpus gesehen werden, der insofern eine neue Periode des Autobiografischen — wenn man so will: eine neue Gattung — darstellt, als dass die AutorInnen mit bislang unerhörten Problemen und Ereignissen konfrontiert sind bzw. waren. Auf einige zu wenig beachtete Charakteristika und Aspekte autobiografischer Exilliteratur wollen wir hinweisen. Erstens die doppelsinnige Einsamkeit der Autobiograflnnen — sie befinden sich als Schreibende in einer isolierten Position, wissen nichts oder wenig über die gleichzeitigen Bemühungen anderer; erst in einer späteren Phase des Exils intensiviert sich die Verständigung über die im Exil geschaffene Literatur bis hin zu dem New Yorker Projekt eines Kompendiums der Exilliteratur, aus welchem dann Franz Karl Weiskopfs Sammlung „Unter fremden Himmeln“' entstanden ist. Zugleich aber ist ungewiss, an welche menschliche Gemeinschaft, an welche Instanzen sie sich adressieren können - die Wahrscheinlichkeit, auf sich selbst zurückgeworfen zu bleiben, ist größer als die irgendeiner Resonanz. Noch im Jahr 1981 betitelte Willy Verkauf-Verlon die erste Fassung seiner Erinnerungen diesem Grundgefühl gemäß mit „Flaschenpost mit Fragezeichen“, Botschaft eines Schiffbrüchigen von einer menschenleeren Insel. Zweitens: Die Autobiografie als Hort der Rettung untergegangener Orte und verlorener Menschen, Rettung in die Erinnerung eines Wien, eines Prag, eines Czernowitz, eines Berlin der Vorkriegszeit, Rettung in die Erinnerung der von den Nazis ermordeten oder zu Tode gequälten Eltern, Verwandten - nicht in ihrem Tod werden sie gewürdigt, sondern in ihrer Lebendigkeit, ihrer Güte, Fürsorge, Ungeduld, ihren Hoffnungen. Doch dieses Bedürfnis der Rettung ist nicht auf Familiarität beschränkt. Z.B. in Fred Wanders „Siebenten Brunnen“” ist die Vergegenwärtigung der Geistigkeit, der Lebensweisheit und des Philosophierens von Mitgefangenen zentral. Als ein Rettender sieht sich der Autobiograf jedoch in eine Umgebung eingekapselt, die aufgrund des Genozids keine Verbindung mehr zu dem von ihm Erinnerten aufweist; allerdings besteht in einer kurzen Periode nach 1945 zumindest die Illusion, ein solches Kontinuum wieder herstellen zu können.? Drittens: Autobiograflnnen kämpfen in ihren Aufzeichnungen gegen Wahnsinn des Weltzustandes und Irrsinn der Köpfe. Das klassische Beispiel dafür sind die als Folge von Essays konzipierten Erwischte uns der Hausmeister, gab es ein paar Watschen. Daher waren wir darauf vorbereitet, einen „schnellen Abgang“ zu machen. Und rennen konnten wir ziemlich schnell. Dieses Davonrennen war auch ein gutes Training für später. Während des Krieges half es mir sehr. Nicht nur einmal musste ich vor „lieben Mitmenschen“ davonlaufen, um nicht geschlagen zu werden. Nach dem Krieg wurde ich eine ganz brauchbare Stafettenläuferin in der Hakoah. Aus: Vilma Neuwirth: Glockengasse 29: Eine jüdische Arbeiterfamilie in Wien. Wien 2008, 15 Vilma Neuwirth wurde 1928 in Wien geboren und war das jüngste von acht Kindern. Der Vater war Friseur, die Mutter Hausfrau. Dank der nichtjüdischen Mutter, die sich der Gestapo entgegenstellte, wurden Vater und Kinder nicht deportiert. Nach der Befreiung arbeitete Vilma Neuwirth zuerst als Friseurin und ließ sich in Folge zur Fotografin ausbilden. Im Milena-Verlag erschienen 2008 ihre Erinnerungen „Glockengasse 29. Eine jüdische Arbeiterfamilie in Wien“. Im Vorwort schrieb Elfriede Jelinek, dass das Buch „nicht mehr und nicht weniger als der Bericht über ganz normale Leute [ist], die zu Verbrechern geworden sind, und das jeden Tag aufs neue, und über ebenso normale Leute, die zu Helden eines Überlebenskampfes geworden sind, der kaum zu gewinnen war.“ 6 _ ZWISCHENWELT