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Karin Hanta Eva Alberman, geborene Altmann, der letzte Mensch, der mit Stefan und Lotte Zweig noch persönlich eng verbunden war, feierte am 17. August 2019 in London ihren 90. Geburtstag. Dr. Alberman ist die Nichte von Lotte Altmann, Stefan Zweigs zweiter Frau, die gemeinsam mit dem Schriftsteller im brasilianischen Kurort Petröpolis am 22. Februar 1942 aus dem Leben schied. Eva Alberman empfängt mich in ihrem 200 Jahre alten Haus, von dem man den 3,2 km? großen Park von Hampstead Heath in Nordlondon überblickt. Vom Salon schauen wir geradewegs hinein ins englische Idyll: Vor uns ein saftig grüner Rasen, riesige Bäume, die wahrscheinlich schon hier standen, als das Haus 1820 gebaut wurde, Evas Labradorhund, der im Garten durch das Gras streicht. Nach dem Tee gehen wir in die Bibliothek, die mit Stefan Zweigs Bücherschränken bestückt ist. Ich darf mich darin umsehen und ziehe gleich einen Band aus der Sammlung des Dichters heraus, mit einer Widmung von Alfred Kubin. Dr. Alberman zeigt mir die Familienalben, in denen sich viele Fotos von ihrer Tante und ihrem Onkel finden. An den Wänden hängen Bilder von Eva Albermans Eltern, dem Medizinerehepaar Manfred Altmann, von Lotte Zweigs Bruder und seiner Frau Hannah (geborene Mayer). Sie waren bereits 1933 von Berlin nach London geflüchtet, da es beiden aufgrund des NS-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erheblich erschwert wurde, an staatlichen Krankenhäusern tätig zu sein. Außerdem war Manfred Altmann nach Behandlung eines Patienten von Gestapo-Leuten zusammengeschlagen worden und erhielt danach anonyme Morddrohungen. Lotte und Manfred Altmann — 1908 und 1900 geboren 8 _ ZWISCHENWELT — entstammen einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, die in Katowice mehrere Handelsunternehmen besaß. Mütterlicherseits stammten sie von Samson Raphael Hirsch, dem Begründer der Neo-Orthodoxie, ab, doch kehrten sie sowie ihre beiden Brüder Hans und Richard der Religion den Rücken. Nachdem Katowice nach dem Ersten Weltkrieg Teil der neu gegründeten polnischen Republik wurde, zogen Lotte und Manfred Altmann gemeinsam mit ihren Eltern nach Frankfurt. 1934 emigrierte Lotte Altmann ebenfalls nach London, wo die 26-Jährige eine Stelle als Stefan Zweigs Sekretärin und Rechercheassistentin annahm. Bevor sie nach ihrer Heirat am 6. September 1939 zu Stefan Zweig zog, lebte Lotte Altmann bei der Familie ihres Bruders. Ihre Nichte Eva stand ihr sehr nahe. „Lotte war meinem Vater schr ähnlich. Beide waren schr ruhige, warmherzige Menschen“, erinnert sich Eva Albermann. Auch zur zehn Jahre älteren Schwägerin Hannah hatte Lotte ein herzliches Verhältnis. „Meine Großmutter Iherese Altmann war, den damaligen Sitten entsprechend, ein etwas reservierter Mensch. Meine Mutter Hannah übernahm auch für Lotte in gewisser Weise die Mutterrolle.“ Nach ihrer Heirat kauften sich die Zweigs im Kurort Bath in Westengland das prachtvolle frühviktorianische Anwesen Rosemount, das sie mit Mobiliar aus Zweigs Salzburger Villa bestückten und das Freunden und Verwandten eine Zuflucht bot. Gemeinsam mit ihrer zwölfjährigen Cousine Ursula Mayer, der Iochter von Hannah Altmanns Bruder Heiner, übersiedelte Eva ein halbes Jahr lang dorthin, um den Bombenangriffen auf London zu entgehen. Für Eva war dies eine schr glückliche Zeit, die Ruhe vor dem Sturm. Stefan und Lotte Zweig arbeiteten an Manuskripten, Lotte im Arbeitszimmer im Erdgeschoss, Stefan im ersten Stock. „Wenn er schlechte Laune hatte, dann zog er sich zurück“, erinnert sich Eva Albermann. Im Allgemeinen hatte er die Kinder jedoch gern bei sich. Er unternahm mit den Mädchen ausgedehnte Spaziergänge durch die malerische Landschaft und lud sie aufeine heiße Schokolade in einem Teesalon ein, der vielleicht noch aus der Zeit von Jane Austen stammte, die ja bekanntlich auch viel Zeit in Bath verbrachte. Eva Albermann erinnert sich nicht daran, dass Stefan und Lotte Zweig mit ihr spielten. Unternahmen sie jedoch Vortragsreisen durch Europa, dann wurde ihr eine Landkarte vorgelegt und sie musste herausfinden, wohin sich Tante und Onkel gerade aufden Weg machten. In Rosemount wurde bei Tisch nur Französisch gesprochen, damit die Kinder die Sprache erlernen konnten. Evas Cousine Ursula war bereits des Italienischen mächtig, da sie die ersten Jahre im italienischen Exil in der Stadt Como verbracht hatte. Beide Mädchen gingen in Bath zur Schule. In England tat sich Ursula anfangs in der Schule schwer, da sie die Sprache von Grund auf erlernen musste. Das Glück auf dem Land nahm ein jähes Ende, als Evas EItern beschlossen, ihre Tochter in den Bundesstaat New York zu evakuieren. Die Zweigs selbst begannen, eine lange Reise durch Südamerika zu planen, mit Abstechern nach New York, damit sie sich versichern konnten, dass es Eva gut ging. „Im Sommer 1940 schätzte man die Möglichkeit eines deutschen Einmarsches als sehr realistisch ein“, erinnert sich Eva Albermann. „Stefan Zweig wäre ganz oben auf der Liste der Gestapo gestanden.“ Noch vor ihrer Heirat arbeiteten Stefan und Lotte Zweig am Manuskript