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für den Roman Magellan: Der Mann und seine Tat (1938), in dem der Schriftsteller die vom portugiesischen Eroberer durchgeführte erste Weltumsegelung von 1519 bis 1522 schilderte. „Und natürlich baten mich Lotte und Stefan, in einem Lexikon nachzusehen, wer Magellan war.“ Dass Eva Altmann selbst bald eine schwierige Seereise antreten wiirde, war ihr damals nicht bewusst. Ob sie sich gegen die Verschickung in die USA gewehrt hatte? „Wahrscheinlich legte ich schon Protest ein“, meint sie. „Aber damals wurden Abertausende Kinder im Vereinigten Königreich auf das Land verschickt und nur Menschen, die es sich leisten konnten, evakuierten ihre Kinder nach Nordamerika. Meine Eltern wollten nur das Beste für mich.“ Die Atlantiküberquerung erlebte sie als Albtraum. Nicht nur dass es kalt auf dem Schiff war und sie ständig unter Seekrankheit litt, als auch: „Wir fuhren in einem Konvoi und ein paar Schiffe wurden sogar torpediert.“ Einmal in New York angekommen, wohnte Eva Albermann zuerst bei einer Familie mit einem kleinen Buben, die es sehr gut mit ihr meinte. Sie fühlte sich dort dennoch nicht so richtig wohl. Nur mit dem Hund freundete sich an. Bis heute kann sie sich gewisser Schuldgefühle nicht erwehren: „Ich benahm mich der Familie gegenüber fürchterlich.“ In der Folge veranlassten die Zweigs, dass Eva in das Internat „Amity Hall“ in Croton-on-Hudson übersiedelte, das Olga Schaeffer, die Frau des Dichters Albrecht Schaeffer, für Flüchtlingskinder gegründet hatte. Die Schaeffers waren Protestanten, die aus Abscheu vor dem NS-Regime Deutschland verlassen hatten. Die Gründung des Kinderheims wurde unter anderem von Schriftstellern wie Thomas Mann finanziell unterstützt, und man kann annehmen, dass auch der sehr großzügige Stefan Zweig dies tat, obwohl sich bis jetzt diesbezüglich noch keine Quellen gefunden haben. Auch zwei zur Verlegerfamilie Ullstein gehörende Töchter lebten gemeinsam mit Eva Altmann im Internat sowie der Sohn von Emanuel Feuermann, den Arthur Rubinstein einen der „größten Cellisten aller Zeiten“ nannte. Albrecht Schaeffer hielt die Schüler dazu an, deutsche Bücher zu lesen, und so erhielt sich Eva Altmanns Kenntnis ihrer Muttersprache. In den Briefen, die ihr die Zweigs aus Südamerika schrieben, forderten sie die Nichte immer wieder auf, ihnen zurückzuschreiben, doch bis heute ist Korrespondenz für sie eine mühsame Angelegenheit — worin sie ihrem Vater gleicht. Die Zweigs kamen das Mädchen in New York besuchen, um ihre Übersiedlung nach „Amity Hall“ vorzubereiten. In dieser Schule ereilte sie im Februar 1942 auch die Nachricht vom Freitod ihrer Tante und ihres Onkels. Olga Schaeffer stand ihr in dieser schwierigen Zeit mit mitfühlend bei. Rückblickend meint Eva Albermann: „Ich kann verstehen, wieso sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben.“ Nachdem „Amity Hall“ in finanzielle Schwierigkeiten geraten war und schließen musste, wechselte Eva Albermann auf die Cherry Lawn School in Darien, Connecticut. An Wochenenden und zu den Feiertagen besuchte sie jedoch Franz Neumann, einen Schulfreund ihres Vaters sowie seine Frau Inge. Der Politologe Neumann war gemeinsam mit Iheodor Adorno und Herbert Marcuse in den Zwanzigerjahren Mitglied der Frankfurter Schule gewesen und unterrichtete nun an der Columbia University. Als Eva Alberman seine Familie regelmäßig besuchte, dürfte er gerade an seinem Werk Behemoth: The Structure and Practice of National Socialism 1933-1944 gearbeitet haben. Im Heim der Neumanns fühlte sich Eva Altmann zum ersten Mal so richtig wohl. „In ihrer Wohnung gab es viele Bücher. Alles war mir so vertraut. Ich wusste, worüber sie sich unterhielten und was sie dachten.“ März 2020 9