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Bruno Schernhammer Unmittelbar nach Fertigstellung der Westautobahn in Oberösterreich erschien 1965 die Festschrift „Die Autobahn in Oberösterreich“. Auf mehr als 110 Seiten werden technische Leistungen gewürdigt, breiter Raum dem Brückenbau eingeräumt. Für 17 Brücken werden Zeichnungen, Länge, Höhe, technische Details und Kosten angeführt. Zur Almtalbrücke in Vorchdorf wird erwähnt: Die in Granitstein gemauerten portalartigen Pfeiler und Widerlager wurden bereits von der Reichsautobahn errichtet. Da sie fiir die neue Breite zu schmal waren, musste die Fahrbahnplatte weit über die Haupttrager auskragen ... Auch an anderen Stellen kommt die Reichsautobahn (RAB) vor: „Im Jahre 1938 wurde die Westautobahn begonnen. Durch den Krieg bedingt, kam es dann 1942 zur Einstellung der Bauarbeiten. 1945, bei Kriegsende, musste die RAB ihre Aufgaben vollkommen liquidieren.“ Oder zur Wiederaufnahme des Autobahnbaus im Jahre 1955: „Im Bereich von Enns bis Sattledt, in dem die Arbeiten durch die RAB am weitesten fortgeschritten waren ...“' Auf der letzten Seite wird der „beim Bau der Autobahn tödlich verunglückten Personen“ gedacht. Die Sterbedaten der 15 Männer liegen zwischen 1955 und 1963. Gab es in den Jahren 1938-1942 keine Toten? Anfang der 2000er-Jahre ließ die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) Schautafeln unter den Brücken der A 1 aufstellen. An der Almtalbrücke findet sich neben einer Abbildung der Baustelle aus dem Jahre 1940 der Text: Der Spatenstich für den Autobahnbau erfolgte am 7. April 1938 am Walserberg. Ende 1941 wurden kriegsbedingt alle Bauarbeiten eingestellt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Erdarbeiten, vor allem aber der Brückenbauwerke war bereits weitgehend fertiggestellt. Im Sterberegister bzw. in der Chronik der Pfarre Vorchdorf sind sechs Männer vermerkt, die allein bei Arbeitsunfällen an dieser einen Brücke umgekommen sind: zwei Arbeiter aus der Region 1939, vier polnische Zwangsarbeiter 1941. An der Tafel unter der Aitertalbrücke? steht der Satz: Die Errichtung der 7 massiven steinverkleideten Pfeiler und Widerlager erfolgte im Zeitraum von 1939 bis 1941 unter unmenschlichen Bedingungen und es wurden für die Pfeiler- und Widerlagererrichtung bei Baueinstellung immerhin 95% der Leistung erbracht. Was ist mit „unmenschlichen Bedingungen“ gemeint? Im November 1941 wurden die polnischen, französischen und serbischen Zwangsarbeiter abgezogen, die Barackenlager mit doppeltem Stacheldraht umzäunt und sowjetische Kriegsgefangene in die vielen RAB-Lager auf der Strecke Salzburg bis Wien - allein in Vorchdorf gab es zwei, eines das RAB-Lager Almtal — verfrachtet. Die Gefangenen sollten die Einstellungsarbeiten verrichten und dabei „aufgepäppelt“ werden. Der Generalbevollmächtigte für den Straßenbau, zu diesem Zeitpunkt auch Reichsminister für Bewaffnung und Munition Fritz Todt verfügte: „Für diese Aktion stelle ich in RAB-Lagern Unterkunft für sofort 30.000, ab 15.1.1942 50.000 Kriegsgefangene bis auf weiteres bereit.“ Nun beschloss der Heimat- und Kulturverein Vorchdorf im September 2019, eine Gedenktafel für die Opfer zu initiieren. Im Oktober 2019 richtete er ein Schreiben | an den Vorstand der Asfinag. Durch den von Bruno Schernhammer verfassten Roman \, „Und alle winkten. Im Schatten der Au- = tobahn“, der an der ”* RAB-Almtalbrücke in Vorchdorf spielt, © wurde erstmals ei- | nem größeren Publi- \ kum die bisher nicht behandelte Thematik , p N der Opfer unter den x } polnischen Zwangs- : arbeitern und russi- \ schen Kriegsgefangenen geschildert. Wenn an der Autobahn und die Leiden der an ihrem heute am Fufse der Bau beschäftigten Zwangsarbeiter hat, wie Autobahn auf einer ® scheint, ein Umdenken bewirkt .... Schautafel in Jahreszahlen und technischen Beschreibungen über die Entstehung und die Modernisierung der Almtalbrücke Details zu finden sind, dann sollte aber auch an jene Menschen erinnert werden, die hier beim Bau unter unmenschlichen Bedingungen Opfer der NS-Diktatur wurden. ... Wir wünschen uns von Ihnen als ein konkretes Zeichen zur Geschichtsaufarbeitung: dass Sie einer Anbringung einer Gedenktafel am großen westlichen Pfeiler der Brücke zustimmen und als Konzern die Kosten hierfür übernehmen.“ Im Antwortschreiben bedankt sich der Vorstand der Asfinag für die Anregung und stellt fest: Natürlich nehmen wir unsere Verantwortung wahr und möchten gemeinsam mit Ihrem Verein ein Zeichen setzen. Die anfallenden Kosten werden von uns übernommen. Zweifellos ein positiver erster Schritt, dem bald weitere Schritte folgen sollten, etwa die Beauftragung von ZeithistorikerInnen mit der Aufarbeitung von Zwangsarbeit beim Autobahnbau. Anmerkungen 1 Zitiert nach: OÖ. Landesregierung: Die Autobahn in Oberösterreich. Linz 1965, S. 96, 108, 90. 2 Die längste Brücke an der A 1, zwischen Sattledt und Eberstalzell gelegen. 3 Schreiben des Reichsministers für Bewaffnung und Munition an die Wehrkreisbeauftragten, die Vorsitzenden der Prüfungskommission und die Obersten Bauleitungen der Reichsautobahnen betr. Einsatz russischer Kriegsgefangener, 3.12.1941, zitiert nach Keller Rolf Sowjetische Kriegsgefangene im Deutschen Reich 1941/42. Göttingen 2011. 4 Brief Heimat- und Kulturverein Vorchdorf an den Vorstand der Asfinag, 21.10.2019. 5 Brief Vorstand Asfınag an den Heimat- und Kulturverein Vorchdorf, 25.10.2019. März 2020 15