OCR
In allen Deinen, auch den späteren Büchern tust Du dies mit den Mitteln, den Methoden und dem Instrumentarium des Historikers, das heißt Du hast Tatsachen, Dokumente, Daten, in Deinem Fall meistens auch Fotos vor Dir und setzt dieses Material, diese Quellen zu etwas Neuem zusammen, bringst die Dinge in einen neuen Zusammenhang, ermöglichst eine neue Zusammenschau, konstruierst — nicht im Sinne von erfinden, sondern bauen - nicht nur einen Erzählstrang, sondern auch eine ganz eigene Wahrheit. Nun mag man einwenden, ja doch, ja doch, na und, das ist doch genau die Aufgabe, das Metier des Historikers — was ist denn hier das Verblüffende, was das so Frappierende? Aber — einmal Hand aufs Herz — wer von uns Historikerinnen und Historikern beherrscht dieses Handwerk schon wirklich — und vor allem in dieser Virtuosität? Die wenigsten von uns können meines Erachtens erzählen, schreiben, ergreifen, jemanden packen. Viele VertreterInnen unserer Zunft glauben, Wissenschaft müsse trocken sein, dürfe nicht mitreißen, nicht aufwühlen, müsse „objektiv“, wenn nicht sogar langweilig bleiben — und möglichst viele Fußnoten haben. Auch ich nehme mich da nicht aus. In dieser akademischen Strenge, in diesem Elfenbeinturm sind Deine Bücher vielleicht wirklich keine Wissenschaft, oszillieren sie ja zwischen Essay, Journalismus und Literatur, allesamt Textsorten, auf die strenge WissenschaftlerInnen ein wenig verächtlich, nicht gerade wertschätzend oder eben als unpassend für ihre Aufgaben und Ziele hinabblicken. Und dennoch würde ich viele Deiner Werke durchaus als wissenschaftlich bezeichnen. Denn neben Deiner erzählerischen Fertigkeit, der Spannung, die Du aufbaust, analysierst Du ja, wertest auf der Basis von belegbaren Quellen, stellst Hypothesen auf, formulierst Fragestellungen, Analysen, Antworten, Wertungen - eigentlich alles, was wir in den Einführungen in die Geschichtswissenschaft und in den Proseminaren auf der Universität eingetrichtert bekommen haben. Und auch der Plot Deiner Bücher ist kein fiktiver, sondern einer, der auf Tatsachen und auf Quellen beruht: Du erfindest nichts, änderst nichts, Du beschreibst bloß die Fakten. Was ist nun Deine Schreibweise dann? Nennen wir es einfach eine einzigartige Symbiose von Zeitgeschichte und Literatur, oder mit einem Anglizismus: Historiography at its best. Ich denke inzwischen kennen alle Deine großen Werke, nicht zu vergessen Deine Übersetzungen aus dem Polnischen, Deine erzählerischen, essayistischen und ,entdeckungsreiserischen’, keinesfalls touristischen oder reiseführerischen Arbeiten zu Ostmitteleuropa, vor allem natürlich Polen und Galizien. Zwei Werke seien hier hervorgehoben, weil sie gewissermaßen Pionierarbeiten waren: „Topografie der Erinnerung“, 2016, und davor „Kontaminierte Landschaften“, 2014, ein literarisches Spiegelbild — meine ich — zu Timothy Snyders 2010 erschienenen „Bloodlands“. Dein Titel allerdings gefällt mir einfach besser, weil es um mehr als nur um Blut und Land geht in diesen wahrlich so vergifteten Landstrichen Europas: Kontaminiert sind oft auch die Seelen, die Beziehungen, die Erinnerungen - auch wenn diese tatsächlich oft blutbefleckt sind. Aber es geht doch um mehr. In diesem Sommer erschien nun „Die Frau ohne Grab“, die Geschichte einer ’Iante Deines Vaters, also Deiner Großtante; wieder lakonisch ein „Bericht“ genannt. Diesmal hast Du die Skizze eines Gegenentwurfes zu den vielen Einzelbiographien Deiner Familie vorgelegt, die andere Geschichte, die Geschichte einer Frau frei von nationalistischen Vorurteilen und großdeutschem Diinkel, ein Beleg dafür, dass man nicht mitmachen musste, anders sein konnte, auch wenn Dein und unser Wissen über sie am Ende eigentlich rudimentär bleiben. Dennoch: Es bleibt eine Geschichte des stillen Widerstands oder weniger, aber präziser: der Widersetzlichkeit. Und gerade sie wird Opfer, Opfer der Tito-Partisanen, als Deutsche abgeholt, verschleppt, Schicksal unbekannt. Es ist auch diese Widersprüchlichkeit, dieses ‚Durcheinander‘ Deiner Familie — Opfer und Täter, Hass und Herzlichkeit, Gewalt und Geborgenheit —, das in Deinen Beschreibungen so fasziniert — eben nicht nur das Verbrecherische Deines Vaters, sondern auch der ethnische Mix und die menschliche Wärme, die aus einem anderen Teil der Familie kommt, der Du zwar mit Empathie begegnest, die aber doch auch fremd bleibt, verschüttet, unscharf, undefiniert. Eben auch ein Produkt dieser kontaminierten Landschaft. Ich möchte hier aber bei aller Wertschätzung Deiner bahnbrechenden Arbeiten der letzten Jahre, oder jener Werke, die wir alle kennen und so schätzen, zuletzt doch auch auf die Zeit davor ein wenig eingehen, weil auch sie für Deinen Werdegang meines Erachtens so wichtig ist. 1984 hast Du im Christian Brandstätter Verlag Dein erstes Buch veröffentlicht. Ich habe „Nach Galizien. Von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenen. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina“ in meiner Bibliothek zu Hause wieder gefunden. Zugegebenermaßen schon etwas in den hinteren Reihen versteckt. Mit meinem Hintergrund als Nachfahre von Flüchtlingen interessierte mich natürlich diese ostmitteleuropäische Geschichte, und als Student habe ich mir dieses bahnbrechende Buch auch zugelegt. Es war die Zeit der konservativen Mitteleuropadebatte, der wir oder besser ich als Linker, ein wenig hilflos gegenüberstanden: Einerseits mochten wir diesen — heute würde man sagen kolonialistischen — Unterton gegenüber den Ostmitteleuropäern nicht, andererseits waren wir aber doch auch ein wenig angetan von der Idee der uns unbekannten und lange so verschlossenen Räume. Wir alle gingen mit Dir oder Dank Dir auf Entdeckungsreise. Inmitten dieser Auseinandersetzung hast Du - trotz aller Entspannung doch noch inmitten des Kalten Kriegs, wenn auch schon bei dessen Abgesang — immer wieder über einen europäischen Landstrich geschrieben, der damals den Wenigsten ein Begriff war, als dieses altösterreichische Kronland aus dem europäischen Gedächtnis gestrichen war, Lemberg noch nicht zu den Topdestinationen des kontinentalen Städtetourismus gehörte. Du warst damit einer der Ersten, der die Geschichte Galiziens, die Geschichte AltÖsterreichs - und zwar ohne habsburgische Dünkel — wieder zu uns zurückgebracht hast — das halte ich auch als Leiter des Instituts fest, das den Namen eines Galiziers — nein nicht Galizianers, wie Antisemiten die im Ersten Weltkrieg nach Wien geflüchteten, häufig jüdischen Menschen bezeichneten — trägt: nämlich Simon Wiesenthal. Dann hast Du das Metier gewechselt, wurdest Journalist beim „Spiegel“, wobei Du vorher eigentlich auch schon journalistisch unterwegs warst: Als linker, antistalinistischer Student hatte ich das „Wiener Tagebuch“, diese wichtige Zeitschrift der unorthodoxen Linken mit meinem kleinen Studentenbudget abonniert, war auch manchmal in der Redaktion in der Wiedner Belvederegasse, wenn ich mich recht erinnere. Gesehen habe ich Dich dort aber sicher nicht. Ein weiteres Mal kreuzten sich unsere Wege schon etwas später: Du wirst Dich ja nicht mehr erinnern, aber Du warst einmal auch in der Redaktion einer Zeitschrift namens „gegenstimmen“. Ohne es nachgeprüft zu haben, hätte ich jetzt gesagt: Zumindest März 2020 21