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Clemens Ruthner Vorausgeschickt sei: Ich persönlich finde nicht, dass Peter Handke den Nobelpreis für Literatur verdient hat, zumal dieser auch gemäß seiner Satzung verlangt, dass der oder die Prämierte „das Beste in idealistischer Richtung geschaffen“” haben soll, was ich als Bekenntnis zu einer humanistischen Botschaft interpretiere. Eine solche finde ich nicht wirklich in der Spätlese des Preisgekrönten. Unbestritten sind die Meriten von Handkes Frühwerk: seine das Theater revolutionierenden Stücke wie die PublikumsbeschimpJung von 1966 oder etwa sein Mutterroman Wunschloses Unglück von 1972, der ein wichtiges Lektüreerlebnis für ganze Generationen war. Diesen Kanon-Kredit hat der Autor freilich meines Erachtens mit seinem weiteren Werk verspielt; diese bedauerliche literarische Entwicklung umfasst aber nicht nur seine kraftlosen „Versuche“ und seinen sinnlos aufgeblähten Roman Niemandsbucht (1994), sondern vor allem seine Jugoslawien-Texte. Diese offenbaren die Schwächen seiner Poetik und konfrontieren uns mit deren Schattenseiten; zugleich offenbaren sie symptomatisch eine Gestimmtheit, die über das rein Literarische weit hinausgeht und maximal eine Etikettierung als „falscher Idealismus“ zulässt. Zu begrüßen ist freilich, dass die umstrittene Nobelpreisverleihung nicht nur die noch immer virulenten Kriegstraumata des Westbalkan einer globalen Vergessenheit entrissen, sondern auch eine nahezu globale Debatte über das Verhältnis von Autor und Werk sowie von Literatur und Politik im Allgemeinen ausgelöst hat, zu der auch wir beitragen wollen. Was mich indes bedrückt, ist, dass (wie man mir erzählt) zumindest einige Autorinnen und Autoren sich unter dem Existenzdruck des deutschsprachigen Literaturbetriebs im Herbst 2019 zu jener „Unterstützungserklärung“ für Handke genötigt sahen, weil sie es sich nicht mit einflussreichen Türhütern — den Großverlagen, Kulturmanagern und Kritikern — durch vorlautes Auftreten verscherzen wollten. Diese Einschränkungen betreffen mich glücklicherweise nicht. Ich werde daher im Folgenden meine Kritik gleichsam in drei Problemzonen zusammenfassen. Zwei davon setze ich als relativ bekannt voraus, die dritte sche ich als meinen eigenen Beitrag zur Debatte an. Ich bitte die Thesenhaftigkeit mit Zeitmangel zu entschuldigen; ich werde meine Behauptungen weiter ausarbeiten und noch besser belegen können, zumal mein Kollege Vahidin Preljevic (Universität Sarajevo) und ich für 2020 einen Sammelband zur Debatte rund um Handkes Nobelpreis planen; Beiträge pro und contra sind willkommen.’ 1) Ästhetische Vorbehalte Handkes Poetik lässt sich mit den Worten Adornos, die er auf einen ungleich größeren Schreibtischtäter, nämlich Martin Heidegger gemünzt hat, als ein „Jargon der Eigentlichkeit“* bezeichnen, der dem angeblich ‚wahren‘ Wort nachjagt und so die Welt lange nach der Romantik poetisieren — wenn nicht ersetzen — möchte. Man könnte dies auch ein Prinzip der autistischen Einfühlung nennen, die die sogenannten Fakten gerne ignoriert, was ja nichts prinzipiell Schlechtes ist— wenn es eher nicht dazu führt, unsere 24 ZWISCHENWELT 44] Konstruktionen von ‚Wirklichkeit‘ poetisch zu vernebeln als sie besser verständlich zu machen. Hier muss ich indes persönlich als Literaturkritiker einräumen, dass mich Handkes mäanderndes Ringen nach Worten, das den Kitsch nicht scheut und zu seinen berühmt berüchtigten Wortbildungsexzessen führt - Komposita, substantivierte Partizipien bzw. Infinitive und allerlei andere Neologismen - ästhetisch selten überzeugt hat. Diese Methode ‚Adalbert Stifter 2.0°, wie ich sie etwas flapsig nennen möchte - d.h. eine Poetik der kursorischen literarischen Phänomenologie des Peripheren und des Nebensächlichen bei Handke’, die ein Programm des neuen, genauen Hinschens in der Nachfolge von Stifter, Rilke u.a. unternimmt -, scheitert jedenfalls endgültig im Kriegsgebiet. Dazu liegt ein umfänglicher Band von Tilman Zülch vor, betitelt Die Angst des Dichters vor der Wirklichkeit, der die wichtigsten Einwände zu den JugoslawienTexten in den Jahren nach 1996 dokumentiert, während ein cher apologetischer Band von Thomas Deichmann 1999 bei Suhrkamp veröffentlicht wurde, zusätzlich Dutzende andere Publikationen.° Handke fährt 1996 absichtlich ins ‚falsche‘ Land, also nicht nach Bosnien, sondern nach Serbien. Erst nach dem Proteststurm, den seine Winterliche Reise ausgelöst hat, reist er widerwillig kurz nach Bosnien (Sommerlicher Nachtrag). Im Winter berichtet er cher von Marktplätzen und Natur anstatt von Kampfhandlungen und Kriegsverbrechen, die bei ihm nur peripher vorkommen. Dies ist von der Kritik unmittelbar nach Erscheinen der Reiseberichte’ bereits umfangreich moniert worden, weshalb ich es bei zwei kurzen Beispielen belasse: Das Grünwasser des Flusses zwischen den [Drina]-Ufersträuchern; und wieder das schon wochenlange Pappel- und Weidenflaumtreiben, und die allmählich ergrauenden Akazienblütenbüschel, immer noch helle Fährten bergauf bis zu den Nadelbaumsäumen, der zugehörige Nektargeruch schubweise zu den ganz offenen Autofenstern herein: innerstes Serbien. (S. 221) Im Hardigrund, in dem sich noch ein Hauch uralter Wäldereinsamkeit erhalten hat. Gewitter, mit Blitz und Sonnenschein, dazu der Wirbel der Spechte nah und fern. Ein Schwarzspecht strich über mich hin, als ich in einem Eichschlag auf dem Moos lag, und glitt dann spiralig einen alten Baum hinauf‘? Das zweite Textzitat stammt übrigens nicht von Handke, sondern von Ernst Jünger, aus dessen Tagebüchern aus dem Zweiten Weltkrieg.’ Ein genauer Vergleich zwischen den ästhetischen Verfahren beider problematischer Autoren wäre zwar von großem literarhistorischem Interesse, kann aber in diesem Rahmen leider nicht geleistet werden, weshalb ich es bei dieser Anregung belasse. Das ‚neue Sehen‘ Handkes, das aus einer Abscheu über die schwarz-weißen Bilderwelten der Massenmedien heraus als Alternative entwickelt wird, zeigt sich jedenfalls von zweierlei unterminiert: zum einen, dass eine durchaus löbliche Medienkritik, die man etwa auch mit Jean Baudtrillards Begriff der Simulation und des Simulacrums verorten könnte’, ihn in die Nähe rechtsextremer Schlagworte wie der „Lügenpresse“ führt. Zum anderen zeigen sich Handkes Texte durchsetzt von Stereotypen, die ebenso einer